Wie steht es um das globale Plastik-Abkommen?

Rundbrief 2024/1

Verhandlungen zwischen Reduktionsforderungen und Lobbyeinfluss

Die ersten drei Verhandlungsrunden zum globalen Plastik-Abkommen sind abgeschlossen; zwei weitere sollen folgen. Ein fertiger Vertragstext bis Ende des Jahres, wie ursprünglich geplant, erscheint aktuell jedoch unrealistisch. Denn Industrievertreter:innen und einige Verursacherländer blockieren immer wieder inhaltliche und strukturelle Debatten.

Jubel bricht aus, als im März 2022 bei der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (United Nations Environment Assembly, UNEA) im großen Saal des UN-Geländes in Nairobi der Plastik-Hammer auf den Tisch knallt: Es ist beschlossen, ein globales Plastik-Abkommen wird verhandelt werden. Eineinhalb Jahre später sitzen die Delegierten wieder in diesem Saal, bei dem dritten Treffen des International Negotiation Committee (INC3), dem Verhandlungskomitee für das Plastikabkommen, und Ernüchterung macht sich breit. Die Staaten der sogenannten Like-minded group, also der Gruppe, die ein ambitioniertes Abkommen vermeiden will, nutzen jeden Winkelzug, um möglichst wenig Einschränkungen zu erreichen. „Wir werden hier nicht über eine Reduzierung von Primärplastik sprechen“, so ein Delegierter aus dieser Gruppe.

Reduktion der Plastikproduktion als wichtigstes Ziel

Reduzierung von Primärplastik ist eines der wichtigsten Ziele, das mit diesem Abkommen umgesetzt werden sollte. Auch die Bundesregierung, die EU und die sogenannte High Ambition Coalition, ein Zusammenschluss von ambitionierten Ländern, möchten dies erreichen, und es ist dringend nötig: Um das 1,5 Grad Ziel zum Klimaschutz einzuhalten, bräuchten wir bis 2040 eine Reduktion der Plastikproduktion um 75 %.

Eine der größten Herausforderungen in den Verhandlungen ist es, eine Einigung über verbindliche Ziele zur Verringerung der Produktion zu erzielen. Soll es verpflichtende oder freiwillige Ziele für jedes Land geben? Soll die Reduktion durch das Verbot von bestimmten Plastikmaterialien erreicht werden? Und welche Rolle spielen dabei die öl- und plastikproduzierenden Länder?

Neben der Frage der Reduktion gibt es noch weitere wichtige Themen, die das Abkommen adressieren sollte, unter anderem das Verbot von schädlichen Polymeren und Chemikalien, die Offenlegungspflicht von Inhaltsstoffen in Materialien und Produkten, den Handel mit Plastik und Plastikmüll, die Einbeziehung von Rechteinhaber:innen, Herstellerverantwortung, Umgang mit Mikroplastik, Vermeidung von Gesundheitsgefahren, die Plastikverschmutzung in der Umwelt. Darüber hinaus muss geklärt werden, nach welchen Spielregeln die INC-Verhandlungen und das zukünftige Abkommen gestaltet sein werden.

Konsens, Mehrheitsentscheidungen und Verzögerungstaktiken

Bisher arbeitet das INC nach dem Konsensprinzip, welches immer einstimmige Beschlüsse erfordert. Dieses Prinzip wird jedoch von einigen Ländern wie Saudi-Arabien, India und China genutzt, um ambitionierte Vorschläge durch ein Veto zu blockieren. In Nairobi wurden beispielsweise dadurch die Vorschläge zu weiteren themenspezifischen Verhandlungen (intersessional process), die dringend nötig sind, um bestimmte Themen auszuarbeiten, abgeschmettert. Darüber hinaus werden immer wieder Verfahrensfragen missbraucht, um eine zügige Abarbeitung von Themen zu verhindern. Bei INC2 in Paris konnte beispielsweise die inhaltliche Arbeit durch diese Verzögerungstaktik erst am dritten von fünf Tagen beginnen. In informellen Gesprächen rechnet man daher mittlerweile damit, dass fünf INCs nicht ausreichen werden, um einen fertigen Vertragstext präsentieren zu können – vielmehr geht man von mindestens zwei zusätzlichen Treffen aus, um zu einem Abschluss zu kommen.

Es liegt auf der Hand, dass das Konsensverfahren das größte Hindernis für die Erreichung eines dringend notwendigen ambitionierten Abkommens darstellt. Leider muss für die Abänderung in eine Mehrheitsabstimmung wiederum eine einstimmige Entscheidung vorliegen, was sehr unrealistisch ist. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment Programme, UNEP) könnte jedoch generelle Änderungen diesbezüglich vornehmen. Darüber hinaus sollte der Vertragstext des zukünftigen Plastik-Abkommens einen Passus enthalten, der Abstimmungen als letzte Möglichkeit vorsieht. Dies ist auch schon in anderen Konventionen, z.B. der Stockholm Konvention der Fall.

Eingeschränkte Teilnahme von Zivilgesellschaft und Wissenschaft

Neben inhaltlichen und prozeduralen Fragen ist die Teilhabe der Zivilgesellschaft ein viel diskutiertes Thema. So war es während INC2 in Paris vielen Vertreter:innen von NGOs nicht möglich, effektiv am INC teilzunehmen, da das INC-Sekretariat zwei Wochen vor den Verhandlungen mitgeteilt hat, dass nur eine Person pro Organisationen statt der maximal fünf registrierten Personen teilnehmen darf. Viele Delegierte konnten die Reise- und Hotelkosten nicht mehr stornieren und blieben auf ihren Ausgaben sitzen, zusätzlich zum Ärger über die verpasste Möglichkeit, sich in die Verhandlungen einzubringen. Auffallend war jedoch, dass trotz dieser Regelung einige Wirtschaftsvertreter:innen, z.B. von Coca Cola, einen offenbar unerschöpflichen Vorrat an Einlasskarten besaßen. Während der Verhandlungswoche wurden die Bestimmungen zwar gelockert, aber dieser Schritt kam für viele NGO-Vertreter:innen zu spät.

Ein weiteres strukturelles Problem betrifft die Teilnahme von Wissenschaftler:innen an den INC-Verhandlungen: Sie können sich in der Regel nicht über ihre Forschungseinrichtungen registrieren, denn das Registrierungssystem enthält diese Option nicht. Daher versuchen viele Forscher:innen, sich über andere Organisationen zu registrieren. Im Falle einer Anwesenheitsbeschränkung wie der in Paris sind es oft die zusätzlich Registrierten, die dann als erste von der Liste fallen. Bei INC3 konnten entsprechend nur 38 Wissenschaftler:innen der Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty teilnehmen. Dem gegenüber stehen 143 Lobbyist:innen der Öl-, Gas- und Chemieindustrie. Für zukünftige Verhandlungen sollten daher dringend ausreichende Registrierungsmöglichkeiten für unabhängige Wissenschaftler:innen durch UNEP eingerichtet werden. Die Verhandlungen müssen auf unabhängiger Forschung aufbauen und auch marginalisiertes Wissen, z.B. von Indigenen, miteinbeziehen. Dazu ist Anwesenheit unabhängiger Wissenschaftler:innen und Rechteinhaber:innen während der Verhandlungen unabdingbar.

Verhandlungen unter massivem Lobbyeinfluss

Der Einfluss der Industrie und ihrer Lobbyorganisationen bei den Verhandlungen ist enorm. Gerade die Interessen dieser Gruppen stehen jedoch oft im offenen Gegensatz zu den Zielen des Plastik-Abkommens. So zeigt z.B. die Vision der Business Coalition for a Global Plastics Treaty[1], dass eine wirkliche Transformation und ein Schutz von Umwelt und Gesundheit vor Plastik nicht ihr Ziel sind.

Recherchen der Organisation CIEL[2] bei der INC3 in Nairobi ergaben, dass Lobbyist:innen der Öl-, Gas- und Chemieindustrie zahlreicher vertreten waren als Delegierte der 70 kleinsten Staaten. Sechs Staaten hatten sogar Lobbyist:innen dieser Industrien als offizielle Vertreter:innen in ihren Delegationen aufgenommen. Im Vergleich mit der INC2 wurde sogar ein Anstieg der Industrielobbyist:innen um 36 % festgestellt.

Dieser Trend wird sich wahrscheinlich bei den nächsten INCs weiter fortsetzen, solange es keine strikte Regelung zu Interessenkonflikten gibt. Die Rahmenkonvention zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt, dass eine solche Reglementierung möglich ist: Die FTCT ist das einzige internationale Abkommen, welches durch einen Passus im Vertragstext (Artikel 5.3) der Konvention den Einfluss der Verursacher-Industrie auf die Verhandlungen limitiert. Zu den Maßnahmen gehören z.B. die Umsetzung eines Codes of Conduct, Transparenz von Public-Private-Interaktionen und die Veröffentlichung von Interessenskonflikten.[3]

Für die nächsten INC-Verhandlungen und das spätere Abkommen gilt es, ähnliche Regelungen aufzunehmen. Idealerweise könnten damit Verursacher-Industrien von den Verhandlungen teilweise oder ganz ausgeschlossen werden.

Kurz vor INC4, das im April 2024 in Ottawa stattfinden wird, sind die Ziele und die Herausforderungen der nächsten Verhandlungsrunde klar. Alle Akteur:innen werden ihr Bestes geben, um ihre Ziele zu erreichen. Wichtig ist, dass der Druck der Zivilgesellschaft weiterhin stark bleibt, NGOs und Wissenschaftler:innen die Möglichkeit haben, vor Ort ihre Arbeit zu machen.

In der Hoffnung, dass bald Jubel ausbricht über den endgültigen Beschluss eines ambitionierten und durchsetzungsstarken Plastik-Abkommens.

 

Alexandra Caterbow ist Ko-Direktorin von HEJSupport. Sie engagiert sich u.a. in verschiedenen Politikprozessen auf UN-Ebene und ist auch bei den Verhandlungen zum Plastik-Abkommen vor Ort. HEJSupport ist die Host-Organisation des NRO-Bündnisses Exit Plastik in Deutschland.

 

Quellen:

[1] www.businessforplasticstreaty.org

[2] CIEL (2023): Fossil Fuels and Chemical Industries Registered More Lobbyist at Plastics Treaty Talks than 70 Countries Combined.
https://www.ciel.org/news/fossil-fuel-and-chemical-industries-at-inc-3/

[3] Ralston, R. et al. (2023): Corporate interests and the UN treaty on plastic pollution: neglecting lessons from the WHO Framework Convention on Tobacco Control
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(23)02040-8/abstract

Bild: Photo by IISD/ENB | Anastasia Rodopoulou

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