Wasser ist das Problem – und die Lösung  

Rundbrief 2023/3

Warum wir den Luxus Leitungswasser in Deutschland genießen sollten 

 Der universelle Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Versorgung ist der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung zahlreicher Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Dazu zählen zentrale Bereiche wie Gesundheit, Klimaschutz, Bildung, Frieden, wirtschaftliche Entwicklung oder das Empowerment von Frauen. Nachhaltige Wasserpolitik muss im Zentrum nationaler und internationaler Bestrebungen stehen. 

 Das SDG 6 „Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen“ beinhaltet den sicheren und stabilen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung für alle Menschen, den die Vereinten Nationen (United Nations, UN) bereits 2010 als Menschenrecht anerkannt haben. Zusätzlich hat die UN von 2018 – 2028 eine Wasserdekade ausgerufen.  

 Erst durch den sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung können viele SDGs erreicht werden. Die Bedingung für ein gesundes Leben (SDG 3) ist Wasser. Darüber hinaus kann integriertes Wassermanagement Konflikte entschärfen, zu Frieden führen (SDG 16) und den Hunger bekämpfen (SDG 2). Wenn es eine funktionierende Wasserversorgung gibt, dann verbringen Millionen von Mädchen und Frauen nicht mehr mehrere Stunden pro Tag mit dem Wassertragen, sondern können zur Schule oder Arbeit gehen und eigene Selbstwirksamkeit erreichen (SDG 4 und 5). All diese Faktoren können wiederum die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort verbessern (SDG 8). Das Zusammendenken der verschiedenen SDGs ist daher für den Erfolg der Agenda 2030 unerlässlich. 

Kaum Verbesserungen seit 2015 

Seit der Vereinbarung der SDGs 2015 hat sich der Anteil der Menschen, die Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, nur marginal von 69 auf aktuell 73 % erhöht.[i] In absoluten Zahlen entspricht das einer leichten Reduzierung von 2,3 auf 2,2 Milliarden Menschen, die von einer sicheren Trinkwasserversorgung ausgeschlossen sind. Von diesen 2,2 Milliarden Menschen leben 700 Millionen ohne jegliches sauberes Wasser in der Nähe. Das Bild der verfügbaren sauberen Sanitäreinrichtungen ist noch dramatischer. So hat sich die Anzahl zwar von 3,8 Milliarden 2015 auf 3,5 Milliarden 2022 verbessert, aber immer noch hat die halbe Menschheit keinen Zugang zu sauberen Sanitäreinrichtungen. Durch den schlechten Zugang ist das Risiko für ansteckende Krankheiten erhöht und führt durch die Notdurftverrichtung im Freien zusätzlich zur Verschmutzung von Wasserressourcen.  

In Deutschland und Europa zeigt sich ein positiveres Bild. Die allermeisten Menschen in der EU (98,5 %) haben Zugang zu sanitärer Grundversorgung mit fließendem Wasser und einer Toilette und sind größtenteils (81 %) an das Abwassernetz angeschlossen.[ii] Allerdings gibt es auch in Deutschland und Europa Handlungsbedarf bei der Verschmutzung des Wassers durch Nitrat, Phosphat, (Mikro-)Plastik oder Umweltgifte. Heiße Sommer und eine Reihe von Winterdürren führen in mehr Regionen zu Wasserknappheit – nicht nur in Südeuropa. Neben natürlichen Faktoren, die zunehmend drastischer durch den voranschreitenden Klimawandel werden, führt die Übernutzung des Wassers für Tourismus, Landwirtschaft und Industrie zu Problemen. Ein einprägsames Beispiel waren die abgeschalteten Atomkraftwerke in Frankreich im Sommer 2022 aufgrund von fehlendem Kühlwasser. Deutschland hat sich 2023 mit der nationalen Wasserstrategie auf den Weg gemacht, das Management der Wasserressourcen und den Gewässerschutz zukunftsfähig aufzustellen.  

Wechselwirkungen der multiplen Krisen 

Die globalen Vorhaben zur Verbesserung der Situation werden erschwert durch starke Wechselwirkungen zwischen Wasser und den drei globalen Umweltkrisen: Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Verschmutzung der Umwelt. Wasserressourcen sind besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Durch stärkere Klimaschwankungen gibt es häufiger extreme Wetterereignisse mit lang anhaltenden Dürren oder starken Überschwemmungen. Durch die Hitze verdampft mehr Wasser – und Wasserdampf ist der wichtigste Treiber des natürlichen Treibhauseffekts. Die Aspekte verstärken sich gegenseitig: Wenn einer Dürre viel Regen folgt, sind die Böden so ausgetrocknet, dass der Starkregen nicht eindringen kann und größtenteils oberflächlich abfließt. Um Grundwasserreservoirs wieder aufzufüllen, wäre jedoch ein wochenlanger gleichmäßiger Landregen nötig. Die Menschheit hat nicht nur das Klima aus der Bahn geworfen, sondern auch den Wasserkreislauf.  

 Die Dringlichkeit des Themas hat 2023 zur ersten Weltwasserkonferenz seit 50 Jahren geführt, auf der mehr als 700 freiwillige Verpflichtungen eingereicht wurden.[iii] Die eingereichten Verpflichtungen sind sehr unterschiedlich in ihrer Ausdehnung und ihrem Detailgrad. Deutschland hat beispielsweise die nationale Wasserstrategie als Beitrag gemeldet. Es bleibt abzuwarten, ob die Selbstverpflichtungen ausreichen, um den Zugang zu Wasser, den das SDG 6 formuliert, tatsächlich massiv zu beschleunigen. 

Luxus Leitungswasser wertschätzen 

Trotz der sehr guten Trinkwasserqualität in Deutschland genießen wir kaum den Luxus von Leitungswasser und es fehlt an Wertschätzung für die funktionierende Wasserversorgung. Statt Leitungswasser zu konsumieren, wird viel Aufwand betrieben, um Wasser in Verpackungen abzufüllen und zu verkaufen. Dabei sollten wir laut der EU-Trinkwasserrichtlinie den Konsum von Leitungswasser fördern und den Zugang über Trinkbrunnen im öffentlichen Raum verbessern. Das hätte auch viele positive Auswirkungen auf andere SDGs. Das Trinken von Leitungswasser spart Geld und CO2 gegenüber dem Konsum gekaufter Getränke, was wiederum gegen Armut und den Klimawandel hilft. Zudem ist es gesünder als viele zuckerhaltige oder alkoholische Getränke. Durch die Verfügbarkeit von Trinkwasser im öffentlichen Raum wird die Aufenthaltsqualität in Städten verbessert und ein Beitrag zur Vorbeugung von Hitzeschäden geleistet. Leitungswasser ist ein regionales Produkt, immer saisonal, verpackungsfrei, günstig, emissionsarm und gesund. Nachhaltiger geht Konsum eigentlich nicht – ein wahrer Luxus, den wir mehr schätzen sollten.

 

Autor:

Samuel Höller ist Gründer und Geschäftsführer von a tip: tap e.V.

 

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