Wir sägen weiter an dem Ast, auf dem wir sitzen 

Rundbrief 2023/3

Der Umsetzungsstand des SDG 15 weltweit und in und durch Deutschland 

Das Ziel für nachhaltige Entwicklung 15 (Sustainable Development Goal, SDG 15) „Leben an Land“ zielt darauf ab, die Landökosysteme zu schützen, wiederherzustellen und ihre nachhaltige Nutzung zu fördern, Wälder nachhaltig zu bewirtschaften, Wüstenbildung zu bekämpfen, Bodendegradation zu beenden und umzukehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende zu setzen. Auf globaler Ebene steht es schlecht um das Erreichen des Ziels, in Deutschland ist die Bilanz gemischt. 

Das Ziel gehört zusammen mit den SDGs 6 (Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtung), 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) und 14 (Leben unter Wasser) zu jenen Zielen, ohne die die Erreichung der anderen SDGs nicht möglich ist.

Im großen Ganzen entspricht das SDG 15 den Zielen der 1992 in Rio de Janeiro vereinbarten UN-Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity, CBD) und jenen des strategischen Plans für Biologische Vielfalt 2011-2020 bzw. dem im Dezember 2022 verabschiedeten Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montréal (Kunming-Montréal Global Biodiversity Framework, KMGBF). 

SDG 15 auf globaler Ebene 

Wie der Globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats[i] von 2019 und der Global Biodiversity Outlook 5[ii] von 2020 zeigen, wurde keines der sogenannten Aichi-Ziele des strategischen Plans für Biologische Vielfalt 2011-2020 erreicht. Dementsprechend sind wir von der Erreichung des SDG 15 nach wie vor weit entfernt: Noch immer stehen weniger als die Hälfte der wichtigen Gebiete unter Schutz, und es kommen nur wenige neue hinzu. Trotz verschiedener Gegenmaßnahmen steigt der Anteil bedrohter Arten weiter an – die Aussterberate liegt etwa 100 Mal so hoch wie vor der Ausbreitung des Menschen und nimmt weiter zu. In Asien, Lateinamerika und Afrika ist sie am höchsten. Nach Angaben des Weltbiodiversitätsrats sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht. 

Obwohl Ziel 15.2 einen Stopp der Entwaldung bis 2020 vorsah, schrumpfen die Wälder der Erde immer weiter, von 31,9 % im Jahr 2000 auf 31,2 % der globalen Landfläche im Jahr 2020 und somit um 100 Mio. Hektar.[iii]  

Zwischen 2015 und 2019 wurden außerdem jährlich über 100 Mio. Hektar fruchtbaren Landes degradiert, eine Fläche doppelt so groß wie Grönland, mit Auswirkungen auf 1,3 Mrd. Menschen. Wir entfernen uns damit weiter von dem SDG 15.3. Die meisten Länder haben inzwischen entsprechend dem SDG 15.9 nationale Zielvorgaben zur Einbindung von Biodiversität in nationale Prozesse verabschiedet. Jedoch sind nur 37 % auf Kurs, diese auch zu erreichen.  

Die Entwicklungshilfe zugunsten der Biodiversität wurde zwischen 2020 und 2021 von 7.7 auf 9.8 Mrd $ erhöht. Dennoch ist es noch ein weiter Weg, bis diese Mittel – wie im Dezember 2022 vereinbart – im Jahr 2030 die Summe von 30 Mrd. $ erreichen. Und auch dies ist nur ein kleiner Beitrag im Vergleich zu den 100 Mrd. $, die von den Entwicklungsländern gefordert wurden. Einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung kann der im KMGBF beschlossene Abbau biodiversitätsschädigender Anreize leisten. Insgesamt gibt die globale Situation wenig Anlass zum Optimismus, trotz einzelner Fortschritte. 

SDG 15 in und durch Deutschland 

Die (Nicht-)Umsetzung der Agenda 2030 in und durch Deutschland hat Folgen sowohl für Deutschland als auch für andere Länder, aus denen bzw. in die Deutschland Waren importiert (sogenannter Spillover-Effekt). Der aktuelle Indikatorenbericht über die Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie[iv] gibt Aufschluss über den Stand der Biodiversitätsziele in Deutschland. Erfreulicherweise liegen gemäß SDG-Indikator 15.1.2 79 % aller für die Biodiversität wertvollen Flächen innerhalb von Schutzgebieten. Hierzu haben systematische Ansätze wie die gesetzlich geschützten Biotope und die Einrichtung des Natura 2000-Gebietsnetzes maßgeblich beigetragen.  

Die Artenvielfalt liegt laut Indikatorenbericht bei 70 % des noch 1970/75 vorhandenen Wertes, wenngleich in den letzten zehn Jahren keine weitere Verschlechterung zu verzeichnen ist. Im Jahr 2018 waren 25 % der durch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU geschützten Arten und 29 % der durch sie geschützten Lebensräume in einem guten Erhaltungszustand und die anderen 75 % bzw. 71 % in einem ungünstigen Zustand. Der Zustand ist seit 2012 unverändert. Dass trotz der guten Abdeckung der wertvollen Gebiete durch das Schutzgebietsnetz der Zustand von Arten und Lebensräumen so schlecht ist, liegt unter anderem an Umsetzungsdefiziten, fehlendem Management und an der Landnutzung außerhalb der Schutzgebiete.[v] 

Der Anteil von Wald an der Gesamtfläche in Deutschland liegt seit 2008 bei 30 % mit nur geringen Fluktuationen. Sorge bereitet hingegen die durch Dürre und Waldsterben hervorgerufene Verschlechterung des Baumzustands. Den größten negativen Einfluss auf die Waldfläche übt Deutschland durch den Import von Produkten wie Palmöl, Soja, Rindfleisch(produkte), Holz, Kaffee und Kakao aus. Die EU ist für 16 % der Tropenwaldabholzung im Zusammenhang mit dem globalen Handel verantwortlich, wobei Deutschland den größten Anteil hat. Es bleibt zu hoffen, dass die im Mai beschlossene EU- Entwaldungsverordnung eine Veränderung bringt.  

Bei der Finanzierung des internationalen Naturschutzes spielt Deutschland eine globale Vorreiterrolle. 2011-2015 gab Deutschland 527 Mio. € jährlich für den internationalen Biodiversitätsschutz aus, 750 Mio. € pro Jahr waren es in den Jahren 2017-2021, und ab 2025 soll dieser Betrag auf 1,5 Mrd. € verdoppelt werden. Gemessen an den Summen, die im KMGBF vereinbart wurden – 20 Mrd $ bis 2025 und 30 Mrd $ bis 2030 an internationalen Mitteln – braucht es dennoch weitere Mittel, auch aus anderen Industrieländern. 

Wie geht es weiter? 

Deutschland unternimmt einiges, um die Biodiversität national wie auch international zu schützen. Gleichzeitig setzen Wirtschaft, Landwirtschaft, Zersiedelung und unser Überkonsum die Natur immer weiter unter Druck. Künftig braucht es einen besseren Abgleich des Handelns verschiedener Sektoren, wie ihn die Agenda 2030 nahelegt und wie er auch von der Biodiversitätskonvention als „whole government approach“ beschlossen wurde. Die neue nationale Biodiversitätsstrategie, die derzeit vorbereitet wird, muss eine Strategie der gesamten Bundesregierung werden und jedes Ministerium alles zur Erreichung der Biodiversitätsziele beitragen, was in seinem Zuständigkeitsbereich liegt. 

 

Autor:

Friedrich Wulf ist Biologe, arbeitet seit 2008 beim Schweizer Naturschutzverband Pro Natura zur internationalen und europäischen Naturschutzpolitik und koordiniert die AG Biodiversität im Forum Umwelt und Entwicklung.

 

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