Menschenwürdige Arbeit in einer globalisierten Welt 

Rundbrief 2023/3

Eine erschreckende Halbzeitbilanz mit Hoffnungsschimmern 

 Ziel acht der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung sieht unter anderem vor, menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern sowie Kinder- und Zwangsarbeit abzuschaffen. Ist das geschafft? Nein, wie der Blick auf ein paar Zahlen und Fakten zeigt. Doch Maßnahmen, wie das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz lassen auf Besserung hoffen. 

Laut Fortschrittsbericht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) aus dem Jahr 2023 lebten im Jahr 2022 214 Millionen Beschäftigte trotz Arbeit in extremer Armut. 28 Millionen Menschen verrichteten im Jahr 2021 Zwangsarbeit. Und zwei Milliarden Beschäftigte sind informell tätig und daher meist nicht sozialversichert. Und das in einer globalisierten Welt, von der sich viele Menschen einen Ausweg aus der Armut erhofften. Besonders betroffen sind Frauen. Hoffnung bieten eine Reihe neuer Regelungsvorschläge auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. 

Die Globalisierung hat Millionen von Frauen in Ländern des Globalen Südens Arbeit verschafft. Heutzutage stammen beispielsweise die Waren in deutschen Supermärkten und Bekleidungshäusern aus Fabriken und Farmen auf der ganzen Welt. Die Mehrheit der Beschäftigten am Anfang globaler Lieferketten – bei der Ernte und Verpackung von Obst, beim Nähen von Bekleidung, beim Schneiden von Blumen – sind Frauen. Ihre Arbeit nährt das kostbare nationale Exportwachstum. Und ihre Jobs könnten für sie Einkommen, Sicherheit und Hilfe bedeuten, um sich und ihre Familien aus der Armut zu befreien. Stattdessen werden die Arbeiterinnen systematisch um ihren gerechten Anteil an den Früchten der Globalisierung betrogen. 

Prekäre Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten 

Zahlreiche Medienberichte und Fallstudien der Zivilgesellschaft belegen die strukturell bedingte Ausbeutung in globalen und nationalen Lieferketten deutscher Unternehmen, sei es im Bergbau, im Lebensmittel-, Fischerei- oder Bekleidungssektor: Zwangs- und Kinderarbeit, Gesundheitsschäden durch mangelnden Arbeitsschutz, u.a. beim Einsatz von hochgiftigen Pestiziden und überlange Arbeitszeiten, Diskriminierung von Frauen einschließlich sexualisierter Gewalt, Hungerlöhne und systematisch unterdrückte Gewerkschaftsrechte sind in Produktionsländern an der Tagesordnung und verhindern, dass sich Betroffene aus ihrer prekären Lage befreien können.[i], [ii], [iii], [iv] Auch in „Europas Gemüsegarten“ in Spanien, wo Migrant:innen aus Afrika für frische Früchte für EU-Bürger:innen das ganze Jahr hindurch sorgen, oder in Deutschland, wo Ostereuropäer:innen den bei Verbraucher:innen beliebten Spargel und Erdbeeren ernten, ist die Lage ähnlich problematisch.[v] 

Die Verantwortung deutscher Unternehmen 

Deutsche Supermarktketten und transnational agierende Bekleidungsunternehmen wären in der Lage, das zu ändern. In Deutschland teilen sich die vier großen Lebensmitteleinzelhändler – die Aldi-Händler Nord und Süd, die Edeka-Gruppe mit dem Nettomarkendiscount, die Schwarzgruppe mit Kaufland und Lidl sowie die Rewe-Gruppe mit Rewe und Penny – 85 % des deutschen Marktes auf, das heißt, kein Hersteller kommt an ihnen vorbei, wenn er seine Ware an die Kundinnen und Kunden bringen will. Mit anderen Worten, diese Einzelhändler können Herstellern aus der ganzen Welt ihre Preise und Vertragsbedingungen aufdrücken und dabei auf Kosten von Arbeiter:innen und Kleinbäuer:innen Milliardengewinne machen. Anstatt flächendeckend für bessere Einkommen und Preise zu sorgen, sorgen sie für immer größere Gewinne für sich selbst zum Leidwesen der Arbeiter:innen und Kleinbäuer:innen, die um ihre Existenz bangen. Oxfams Supermarktcheck hat aufgezeigt, dass deutsche Supermarktketten Verantwortung übernehmen können, wenn sie wollen.[vi] Die beiden Aldis und Lidl haben sich zum Beispiel auf den Weg gemacht und schauen sich jetzt systematisch ihre Risikoprodukte und -lieferketten an, um anschließend die Verbesserung der Arbeitsbedingungen anzugehen. 

Neue Gesetze als Lösung? 

Nicht nur bei Unternehmen tut sich was. Nicht zuletzt durch die enorme gemeinsame Kraftanstrengung der Zivilgesellschaft gilt seit Anfang dieses Jahres in Deutschland das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, nach dem Unternehmen Maßnahmen ergreifen müssen, um Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in ihren Produktionsschritten zu verhindern und Abhilfe zu schaffen. Bei Verstößen drohen Unternehmen Bußgelder bis zu 2 % des Umsatzes, immerhin. Die Zivilgesellschaft und Arbeiter:innen aus dem Globalen Süden setzen viel Hoffnung in das Gesetz. Der ehemalige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann bezeichnete die Verabschiedung als „gute[n] Tag für Menschenrechte“.[vii] Laut der Initiative Lieferkettengesetz ist das Gesetz ein „Paradigmenwechsel“.[viii] Die Zivilgesellschaft nutzt das neue Regelwerk bereits und reichte erste Beschwerden über Arbeitsrechtsverletzungen in Bangladesch und China gegen Ikea und VW ein. Auch wenn Bußgelder für Unternehmen Arbeiter:innen vor Ort nicht sofort helfen können, ist das Gesetz ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zu einer regelbasierten Weltwirtschaft, die Menschenrechte achtet. Zukünftig brauchen Betroffene jedoch ein Gesetz, nach dem sie Unternehmen in EU-Ländern auf Schadensersatz verklagen können.  

Und das ist in Sicht. Die EU-Kommission hat einen Richtlinienentwurf über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen vorgelegt, der auch eine zivilrechtliche Klagemöglichkeit vorsieht. Der Widerstand ist jedoch groß. Die Wirtschaftsverbände warnen mantrahaft vor zu viel Bürokratie und Bundesjustizminister Marco Buschmann hat bis vor Kurzem die deutsche Positionierung im Rahmen der anstehenden Trilog-Verhandlungen über eine neue EU-Richtlinie hinausgezögert. Daher sind jetzt alle Befürworter:innen des Gesetzes und politischen Akteure gefordert, dafür zu sorgen, dass die Richtlinie rechtzeitig vor der Europawahl verabschiedet wird.

 

Autorin:

Dr. Franziska Humbert leitet das Team Gerechtes Wirtschaften bei Oxfam Deutschland.

 

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