Leben unter, auf und am Wasser  

Rundbrief 2023/3

Das SDG 14 zwischen Blue Economy und Meeresschutz 

 Als die Agenda 2030 entworfen wurde, war es keineswegs von vornherein klar, dass sie ein Ziel beinhalten würde, das sich auf die Ozeane und Meere bezieht. Letztlich ist die Aufnahme des 14. Ziels für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal, SDG) „Leben unter Wasser“ wesentlich den kleinen Inselentwicklungsländern zu verdanken, unterstützt von einigen weiteren Staaten, darunter Deutschland, sowie Teilen der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, wie der AG Meere des Forums Umwelt und Entwicklung. Bis heute beschränken sich jedoch viele politische Initiativen, obwohl wir auf einem offensichtlich blauen Planeten leben, paradoxerweise allein auf die eher trockenen 29 % Landmasse. Dies ergibt weder aus ökologischer noch aus einer globalen gesellschaftlichen Perspektive Sinn, entspricht nach wie vor aber viel zu oft der gängigen Praxis.  

Nachdem das SDG 14 den Sprung in den Kreis der Agenda 2030-Ziele geschafft hatte, kam es zu einigen durchaus positiven Veränderungen im Hinblick auf dieses politische Ungleichgewicht zwischen Land und Meer, wenn es auch bis heute keinen wirklich konsequenten Ausgleich des Missverhältnisses gegeben hat. Das SDG 14 erfüllt damit eine wichtige Funktion, es wirft zusätzliches Licht auf das Geschehen auf See und hilft so eine Lücke in den Diskursen auf globaler Ebene zu schließen. Als Ziel der Agenda 2030 fügt es sich in die Bemühungen ein, unter anderem seitens der Vereinten Nationen (United Nations, UN), die Meerespolitik als ein Element der internationalen Politik zu etablieren und ihr mehr Gewicht zu verleihen. Die beiden Ozeankonferenzen der Vereinten Nationen in New York und Lissabon, die explizit zur Bilanzierung des SDG 14 ausgerichtet wurden und damit ausdrücklich Agenda 2030-Konferenzen waren, sind zentrale Beispiele dafür. 

 

Umwelt und Entwicklung zusammen denken  

Die Agenda 2030 und mit ihr das SDG 14 konzentrieren sich im Kern auf das Verhältnis von Umwelt und Entwicklung. Gerade auf internationaler Ebene und im Kontext der UN hat das eine seit Langem überfällige interdisziplinäre Betrachtung globaler Probleme gestärkt. Mittlerweile wird in vielen maritimen Diskursen deutlich, wie eng Fragen des Umweltschutzes und der Ozeangerechtigkeit miteinander verknüpft sind. Dies zeigt sich nicht nur im SDG 14, sondern weltweit in vielen politischen Verhandlungsprozessen ebenso wie in meereswissenschaftlichen Forschungsprogrammen.  

Es zeigt sich allerdings immer wieder, dass eine direkte Beteiligung entwicklungspolitischer Organisationen die Voraussetzung für eine solche interdisziplinäre Herangehensweise ist. In den deutschen Debatten wird vieles in der Meerespolitik auf eine Frage des Meeresschutzes reduziert und es ist bei Weitem noch keine Selbstverständlichkeit, die soziale, entwicklungspolitische Dimension von vornherein in Entscheidungsprozesse einzubinden. Es braucht mehr Orte, an denen Widersprüche, Perspektiven und Lösungswege im Spannungsfeld von Umwelt und Entwicklung gemeinsam bearbeitet werden können.  

 Flankiert wird die Einsicht in die Notwendigkeit, kohärentere, übergreifende Ansätze in der Meerespolitik zu wählen derzeit von zwei Phänomenen, die erst in den letzten Jahren voll zur Geltung gekommen sind. Zum einen werden die planetaren Grenzen tatsächlich unübersehbar und der Druck, effektive Antworten auf die sich zuspitzenden Krisen zu finden, steigt kontinuierlich. Die Verknappung von Ressourcen, sich verschärfende Konkurrenzen und die Vielzahl an Umweltdesastern rücken dabei die Ozeane und die Sektoren der Blue Economy ins Blickfeld. Zum anderen schaffen die geopolitischen Verschiebungen zu mehr Multipolarität neue Rahmenbedingungen. Die Länder des Globalen Südens erhalten dadurch neue Spielräume und ein stärkeres Selbstbewusstsein. Sie hoffen auf bessere Entwicklungschancen durch die Erschließung der Ozeane und angesichts von Klima- und Verschuldungskrise verbleiben ihnen kaum Alternativen.  

 

Governance und die Dominanz des Ökonomischen 

Nachdem die Ozeane und Meere lange Zeit vernachlässigt wurden, ergibt die Konzentration vieler internationaler Prozesse auf die Meeresgovernance und die Formulierung allgemeingültiger Regeln Sinn. So ist es stimmig, dass das einzige bisher erfolgreich umgesetzte Unterziel des SDG 14, der Paragraf 14.c zur Verbesserung der Meeresgovernance im Rahmen des Seerechts ist. Die erfolgreiche Verabschiedung des Abkommens zum Schutz und für eine nachhaltige Nutzung der Meeresbiodiversität (Biodiversity Beyond National Jurisdiction, BBNJ) in diesem Jahr war unzweifelhaft ein Erfolg. Doch es krankt letzten Endes an der Kontrolle der schon bestehenden Regularien, es fehlen die Kapazitäten und oftmals der Wille zur Umsetzung von Maßnahmen gegen illegale Fischerei und Meeresverschmutzung. Eine deutliche Stärkung dezentraler, regionaler Konzepte erscheint angesichts dieser Mängel naheliegend. Auch die entwicklungspolitische Dimension der Meerespolitik muss konkret eingebunden werden. Die Kompetenzen lokaler und indigener Küstengemeinschaften gerade im Globalen Süden müssen ausgeweitet werden. Sie sind am abhängigsten von intakten Meeren, und lokal verwaltete Schutzgebiete mit einer hinreichenden finanziellen Unterstützung haben die besten Voraussetzungen flexibel, akzeptiert und effizient und dabei zudem sozial ausgewogen zu sein. 

 Die bisherigen Ergebnisse der Agenda 2030 sind vollkommen unzureichend. Das Gleiche trifft auch auf fast alle der Unterziele des SDG 14 zu. Der Allgemeinzustand der Ozeane verschlechtert sich ungebrochen. Die Belastungen weiten sich aus, intensivieren sich und nehmen an Zahl zu. Neue Technologien und Wirtschaftszweige beschleunigen die Industrialisierung der Küsten- und Meeresregionen. Den vom UN-Generalsekretär, angesichts des drohenden Scheiterns der Agenda 2030, geforderten „Rettungsplan für die Menschheit und den Planeten“ benötigen nicht zuletzt auch die Weltmeere und das SDG 14. Meeresschutzgebiete, eine Verschärfung der Kontrollen auf See oder eine Stärkung der Kompetenzen von lokalen Küstengemeinschaften sind nur dann wirksame Schritte zu mehr Nachhaltigkeit in der Meerespolitik, wenn die wirtschaftliche Erschließung letzten Endes nicht die Dynamik bestimmt und alles andere zu einer Legitimation für eine insgesamt ausgeweitete Nutzung der Ozeane und Meere werden lässt.

 

Der Autor:

Kai Kaschinski ist Projektkoordinator von Fair Oceans sowie Mitbegründer und ein Koordinator der AG Meere beim Forum Umwelt und Entwicklung.

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