Die Kluft auf dem Weg zu kohlenstoffarmen Technologien überwinden

Rundbrief 2023/3

Grüne Industrialisierung und die Rolle von Technologietransfers 

 Zugang zu Technologien für erneuerbare Energien ist eine Möglichkeit für Länder, wirtschaftliche Entwicklung durch Produktion und Innovation zu fördern und gleichzeitig nachhaltige Energie zu erhalten. Der fehlende Zugang zu diesen Technologien macht den Weg der grünen Industrialisierung für kleinere Länder jedoch schwierig. Damit die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDCs) durch die Umstellung auf saubere Energie von einer verstärkten Industrialisierung profitieren können, sind politische Maßnahmen sowie internationale Zusammenarbeit und Unterstützung erforderlich. 

Der Zweck des 9. Ziels für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal, SDG) ist, eine widerstandsfähige Infrastruktur aufzubauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen zu unterstützen. Bei einigen der Unterziele des SDG 9 sind erhebliche Verbesserungen zu verzeichnen, allerdings variiert der Fortschritt stark zwischen den Ländern. Die am wenigsten entwickelten Länder und die afrikanischen Länder südlich der Sahara sind in der globalen Industrie nach wie vor unterrepräsentiert und haben im Vergleich zu Europa, Nordamerika und Asien einen geringeren Anteil an der Produktion von Hoch- und Spitzentechnologien. Diese Ungleichheiten wiederholen sich derzeit bei der Entwicklung und Herstellung von Technologien, die für die Energiewende benötigt werden. Windturbinen, Solarmodule, Batterien und Technologien zur Koordinierung von Energieerzeugung, -speicherung und -verbrauch werden größtenteils in Ländern mit vorhandenem Know-how wie Deutschland, den Vereinigten Staaten und China entwickelt und hergestellt.  

Hoffnung auf eine grüne Industrialisierung? 

Viele Entwicklungsländer haben ihr Interesse an einem Aufstieg in den globalen Wertschöpfungsketten für diese Technologien bekundet, d. h. an einem Wechsel von der Installation zu höherwertigen Segmenten wie Fertigung sowie Forschung und Entwicklung. Ein solcher Aufstieg wäre eine Chance für die lokale Industrialisierung und Innovation. Die Weitergabe von Wissen würde es den Ländern ermöglichen, Technologien anzupassen, zu integrieren oder zu verbessern (Technologietransfer).  

China gilt als Erfolgsgeschichte, weil es Technologien herstellt, die auf der ganzen Welt eingesetzt werden. Bis Mitte der 2000er-Jahre wurden die meisten Technologien für erneuerbare Energien in Nordamerika und Europa hergestellt, aber China wurde in den vergangenen Jahren immer wichtiger für die massenhafte Herstellung von Solarpaneelen, wodurch die Preise sanken und Solarpaneele auf der ganzen Welt eingesetzt werden konnten. Ein wichtiger Teil von Chinas „grüner Industriestrategie“ besteht darin, die nationalen Fertigungskapazitäten zu steigern, um technologisches Know-how zu gewinnen. So verlangt Chinas „Negativliste“ für strategisch wichtige Technologien (zu denen Solar- und Windkraftanlagen sowie Elektrofahrzeuge gehören) von ausländischen Firmen, dass sie rechtliche Beziehungen mit Unternehmen vor Ort eingehen und Technologien an lokale Firmen weitergeben. Darüber hinaus haben Lokalisierungsanforderungen (sogenannte local content requirements) den Aufbau einer lokalen Industrie gefördert. Diese Lokalisierungsanforderungen verpflichten Unternehmen dazu, einen bestimmten Anteil des Endwerts einer Ware oder Dienstleistung von inländischen Unternehmen zu beziehen, entweder durch den Einkauf bei lokalen Unternehmen oder durch die Herstellung oder Entwicklung der Ware oder Dienstleistung vor Ort. Der internationale Technologietransfer in Kombination mit den hohen lokalen Kapazitäten des chinesischen „Innovationsökosystems“ hat es dem Land ermöglicht, bei vielen Technologien wie Batterien, Elektrofahrzeugen und Fotovoltaik führend zu werden. 

Aufholbedarf bei kohlenstoffarmen Technologien 

Anderen Ländern gelang es jedoch nicht, Chinas Erfolg bei der grünen Industrialisierung zu wiederholen. Dies ist teilweise auf die Kapazitäten zurückzuführen: China war in der Lage, auf seinen bestehenden Produktions- und Innovationsinfrastrukturen aufzubauen und öffentliche Mittel zur Unterstützung von Unternehmen und Forschung bereitzustellen. Darüber hinaus verfügt China über einen großen Binnenmarkt für saubere Technologien, der den Unternehmen Anreize für einen Technologietransfer bietet. Andere Länder, die versucht haben, Fertigungskapazitäten im Bereich der Fotovoltaik mit Hilfe von Lokalisierungsanforderungen aufzubauen, hatten Mühe, den Erfolg Chinas zu wiederholen. Einige Wissenschaftler:innen argumentieren auch, dass solche Maßnahmen ohne bestehende industrielle Kapazitäten zur Herstellung von Technologien Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien teurer machen und Investitionshemmnisse erhöhen können. 

Die ungleiche Verteilung von Herstellern sauberer Technologien (vor allem in den Industrieländern und in China) ist eine verpasste Chance für die Energiewende. Darüber hinaus kann sie sich als Hindernis für internationale Klimaschutzmaßnahmen erweisen, da viele Entwicklungsländer ihre Emissionsreduzierungen in den national festgelegten Beiträgen zum Pariser Abkommen von der Finanzierung und dem Technologietransfer aus den Industrieländern abhängig gemacht haben. 

Initiativen zum Technologietransfer 

Derzeit leistet die internationale Gemeinschaft keinen ausreichenden Technologietransfer und stellt keine ausreichenden Mittel für die grundlegenden Infrastrukturen für Energie und Verkehr bereit, die für die Industrialisierung erforderlich sind. Ein Flickenteppich von Initiativen zielt darauf ab, die Technologielücke durch den Austausch von Wissen zu schließen, aber sie konzentrieren sich oft eher auf die Entwicklung und den Zugang zu Energie als auf den Aufbau von lokalem Wissen und Know-how für den Technologietransfer, mit einigen Ausnahmen wie den Climate Innovation Centers, die kleine Unternehmen in Schwellenländern unterstützen.[i] 

Zur Förderung des Technologietransfers ist weitere internationale Unterstützung für Entwicklungsländer erforderlich. Dazu gehören auch Finanzmittel und Unterstützung für die am wenigsten entwickelten Länder und Entwicklungsländer mit kleineren Märkten, wo es geringe Anreize für private Investitionen gibt. Länder mit attraktiveren Märkten können darauf drängen, dass internationale Entwickler:innen ihre Fähigkeiten und ihr Know-how weitergeben, indem sie zum Beispiel verlangen, dass neue Projekte lokale Ausbildungszentren finanzieren. Darüber hinaus können einige Länder mit wichtigen Ressourcen für die Energiewende, z. B. kritischen Mineralien, attraktiv genug sein, um ebenfalls Lokalisierungsanforderungen stellen zu können, und damit ihre Industrialisierung fördern.  

Grüne Industrialisierung und Innovation bieten neue Möglichkeiten für Länder, Hightech-Güter zu produzieren und die lokale Wertschöpfung zu steigern. Um sicherzustellen, dass diese Industrie nicht den bestehenden Mustern folgt, bei denen die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) und die Länder der Subsahara-Region unterrepräsentiert sind, müssen sich die internationale Gemeinschaft und die nationalen Regierungen bezüglich der Finanzierung und des Technologietransfers abstimmen. 

 

Autorin:

Silvia Weko arbeitet seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Research Institute for Sustainability (RIFS) und ist Doktorandin an der Universität Erfurt.  

Aus dem Englischen von Eileen Roth

 

  • [i] Weiterführende Informationen: Weko, Silvia und Goldthau, Andreas (2022): Bridging the low-carbon technology gap? Assessing energy initiatives for the Global South, Energy Policy, Volume 169.

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