„Kein Hunger bis 2030“

Rundbrief 2023/3

Handeln statt Absichtserklärungen 

Was kann gegen die beunruhigende Lage bei der Hungerbekämpfung getan werden? Aus unserer Sicht braucht es mehr Investitionen, einen menschenrechtsbasierten Ansatz und eine stärkere Regierungsführung.  

Genau genommen geht es beim zweiten Ziel für nachhaltige Entwicklung um viel mehr als „Kein Hunger“: Das spiegelt sich auch in den acht Unterzielen und 15 Indikatoren wider, mit denen das Ziel gemessen wird. Lediglich in dem ersten Unterziel geht es nur um Hunger (2.1), also dass Menschen zu wenig Kalorien für ein gesundes Leben zur Verfügung haben. Fehlernährung, der Schwerpunkt des zweiten Ziels (2.2) umfasst auch Übergewicht oder Mikronährstoffmangel. Die Ziele drei bis fünf (2.3-2.5) konzentrieren sich auf die Landwirtschaft und schauen auf Aspekte wie Produktivität, Einkommen, Nachhaltigkeit und genetische Vielfalt von Saatgut, Kulturpflanzen sowie Tiere in der Landwirtschaft. Die letzten drei Ziele (2.a-2.c) decken Investitionen in Infrastruktur, Technologie, Handelsbeschränkungen ab und blicken darauf, ob Märkte funktionieren. [i] 

Die Ziellinie ist in weite Ferne gerückt 

Zur Halbzeit der Agenda 2030 gehört das SDG 2 zu den Zielen, um die es besonders schlecht bestellt ist: Südasien und Afrika südlich der Sahara sind wie in den letzten zwanzig Jahren schon die am stärksten von Hunger betroffenen Weltregionen.[ii] Im Großen und Ganzen ergibt sich ein besorgniserregendes Bild: 735 Millionen Menschen leiden an Hunger, und Schätzungen zufolge werden es im Jahr 2030 immer noch rund 600 Millionen sein.[iii] Das sind sogar etwas mehr als 2015, als die Agenda 2030 verabschiedet wurde. Vereinzelt gibt es aber auch positive Entwicklungen: In sieben Ländern, die im Jahr 2000 einen sehr ernsten Hungerzustand hatten – Angola, Äthiopien, Niger, Sierra Leone, Sambia, Somalia und Tschad –, hat sich die Situation verbessert.[iv]  

Die Datenlage zu den eher auf die Landwirtschaft bezogenen Unterzielen von SDG 2 ist deutlich schlechter, zum Beispiel zur landwirtschaftlichen Produktivität und den Einkommen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die bis 2030 verdoppelt werden sollten. Daher ist es schwierig, hierzu auf globaler Ebene eine klare Aussage zu treffen, außer, dass wir dringend bessere Daten brauchen. Ein weiterer spannender Indikator für das Unterziel 2a ist der Agrarorientierungsindex für Staatsausgaben. Die Daten zeigen, dass viele Staaten in Afrika und Asien weniger für Landwirtschaft ausgeben, als es dem Anteil des Sektors an der gesamten Wirtschaftsleistung nach sein müsste. Es wird also im Schnitt zu wenig in die Landwirtschaft investiert.[v]

Das Ruder herumreißen  

Ohne Geld ist es leider schwer, die Welt zu verändern. Seit den 70er-Jahren haben sich die Geberländer dazu verpflichtet, mindestens 0,7 % ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die öffentlichen Mittel für Entwicklungsleistungen (Official Development Aid, ODA) aufzuwenden. Außerdem haben sie versprochen mindestens 0,2 % ihres BNE für die sogenannten am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries, LDCs) bereitzustellen. Die erste Verpflichtung erfüllt Deutschland derzeit noch, die zweite nicht. Das jüngste Haushaltsgesetz, das die Bundesregierung dem Parlament vorgelegt hat, sieht zudem Kürzungen ab 2024 vor, darunter eine Milliarde Euro weniger für humanitäre Hilfe und Krisenprävention. Dabei handelt es sich um Mittel, die häufig an die am wenigsten entwickelten Länder gehen. Wir fordern daher von der Bundesregierung und den anderen Geberländern, eine stabile Finanzierung zu gewährleisten. Auch wegen der großen Rolle, die die Landwirtschaft für die Wirtschaftsleistungen vieler Partnerländer spielt, ist es wichtig hier anzusetzen. 

Frei von Hunger leben zu können, ist ein Menschenrecht. Wie das umgesetzt werden kann, erklären Leitlinien, die die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) vor 20 Jahren beschlossen hat.[vi] Darin steht etwa, dass Staaten den Zugang zu Ressourcen wie Land, Wasser oder Vieh erleichtern sollten, insbesondere für schutzbedürftige und diskriminierte Gruppen. Zum Beispiel wird in mehr als 100 Ländern Frauen nach wie vor das Recht verweigert, den Besitz ihrer Ehemänner zu erben, was ihren Zugang zu Land stark einschränkt (Leitlinie 8). Wie wichtig es ist, dass Regierungen die Zivilgesellschaft und andere Schlüsselakteure, einschließlich Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie der Privatsektor einbeziehen, betont Leitlinie 3.8. Partizipation ist eine Frage der Gerechtigkeit und wichtig, um sicherzustellen, dass wirklich das getan wird, was die betroffenen Menschen brauchen. Es liegt in erster Linie in der Verantwortung von Staaten, das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen. 

Außerdem müssen Regierungen die Agenda 2030 in Gesetzen, in der Politik und in der Wirtschaft verankern und sich konkrete Ziele setzen, die messbar und verpflichtend sind. Letzteres war auf Gipfeln, die die Vereinten Nationen 2021 und 2023 veranstaltet haben, um der Umgestaltung von Ernährungssystemen neuen Schwung zu geben, nicht der Fall. Viele SDG-Indikatoren sind unzureichend, weil Daten fehlen und sie Begriffe wie „nachhaltig“ nicht definieren (z.B. Indikator 2.4.1: Anteil der landwirtschaftlichen Fläche, die produktiv und nachhaltig bewirtschaftet wird). Ohne eine klare Ausgangslage sowie verbindliche und messbare Ziele ist es für Parlamente, Wissenschaft und Zivilgesellschaft schwer, Lücken aufzuzeigen und Entscheider:innen zur Verantwortung zu ziehen. Sie müssen ausreichend beteiligt werden, damit das SDG 2 erreicht werden kann. 

 Autorinnen:

Johanna Braun und Frauke Bohner sind Referentinnen für Landwirtschafts- und Entwicklungspolitik bei der Deutschen Welthungerhilfe.

 

 

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