Globale Solidarität neu aufstellen 

Rundbrief 2023/3

Die Verwirklichung der Agenda 2030 krankt auch an den fehlenden Mitteln zur Umsetzung

Wer diese Rundbrief-Sonderausgabe bis hier hin aufmerksam gelesen hat, kommt unweigerlich zu dem Schluss: Es sieht nicht gut aus. Die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bis 2030 wird immer unwahrscheinlicher. Das liegt – nicht nur, aber eben auch – an den nur zögerlich und unter Vorbehalt bereitgestellten Mitteln zu ihrer Umsetzung. Dass es dabei nicht nur um Geld, bspw. in Form von Mitteln der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) geht, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil.

Noch bevor die Agenda 2030 mit ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung im September 2015 verabschiedet wurde, hatten die Regierungen im Juli desselben Jahres mit der sog. Aktionsagenda von Addis Abeba gemeinsame Ideen dazu verabschiedet, wie die nötigen Mittel zu ihrer Verwirklichung aussehen könnten. Dabei konnten sie auf den Ergebnissen der Diskussionen innerhalb des Financing for Development-Prozesses aufbauen, der diese Fragen seit Anfang der 2000-er Jahre bearbeitet. Dass das eine grundsätzlich richtige Entscheidung war, zeigt sich zur Halbzeit der Agenda-Umsetzung mehr als deutlich.

Finanzierungslücken allerorten

Wie groß die Finanzierungslücke zur Verwirklichung der SDGs tatsächlich ist, ist eine mühsame Rechenaufgabe. Die große thematische Breite der Agenda 2030 führt hier zu enormen Summen. Die Weltbank beziffert die nötigen Ausgaben allein in Entwicklungsländern auf ca. 2,4 Billionen US-Dollar, und das „nur“ zur Reaktion auf Klimawandel, Pandemie und Konflikte bis 2030. Eine Expertengruppe der G20 rechnet mit zusätzlichen Investitionsbedarfen von 3 Billionen in diesem Zeitraum. Bei der 27. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention wurden Summen zwischen 4 und 6 Billionen Dollar pro Jahr an nötigen Investitionen in erneuerbare Energien genannt, um Treibhausgasneutralität bis 2050 möglich zu machen. 1

Gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit, diese Summen in Form von Haushaltsmitteln tatsächlich mobilisieren zu können, nicht gerade hoch. Das liegt u.a. daran, dass gerade die reichen Länder des Globalen Nordens – teils durch selbst gesetzte Beschränkungen wie Schuldenbremsen blockiert, teils durch tatsächliche Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit – nicht willens oder in der Lage sind, ihren globalen Verpflichtungen nachzukommen. Das spiegelt sich auch im aktuell im Bundestag verhandelten Haushaltsgesetz für 2024. Laut Regierungsentwurf sollen bspw. die Mittel im Einzelplan 23, dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aus dem neben der Entwicklungszusammenarbeit auch internationale Klimaprogramme finanziert werden, ca. 5 Prozent niedriger liegen als noch im laufenden Jahr. Problematisch ist das unter anderem deshalb, weil mit den knappen Mitteln immer neue Aufgaben, zuletzt bspw. der Krieg in der Ukraine, bewältigt werden müssen. Das gilt auch international: Zwar haben die ODA-Zahlen 2022 mit 204 Milliarden US-Dollar (was einem Anteil von 0,36 % der Bruttonationaleinkommen (BNE) der OECD-Mitglieder entspricht) einen nominellen Höchststand erreicht. Das erklärt sich allerdings primär aus angerechneten Kosten für Flüchtlinge.

Ein weiterer Faktor, der die Finanzbedarfe nach oben treibt, sind sich zuspitzende Schuldenstände in immer mehr Ländern des Globalen Südens. Die Crisis Response Group der UN etwa rechnet vor, dass sich die öffentlichen Schulden weltweit seit dem Jahr 2000 verfünffacht haben, von 17 auf 92 Billionen US-Dollar. Mehr als 50 Länder sind so hoch verschuldet, dass sie mehr als 10 % ihrer jährlichen Staatseinnahmen nur für Zinsausgaben aufwenden. Die Ausgaben für Zinszahlungen sind im Globalen Süden in den letzten Jahren schneller gewachsen als die Ausgaben für Bildung oder Gesundheit. 2

Kurz- und langfristige Lösungsansätze

Die Dramatik dieser Situation hat gerade im Jahr 2023 eine Reihe von Lösungsvorschlägen provoziert. António Guterres bspw. schlägt einen „SDG-Stimulus“ in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar jährlich vor. Die Mittel, die primär über zinsgünstige Kredite von Entwicklungsbanken bereitgestellt werden sollen, sollen es Ländern ermöglichen, in wichtige und SDG-relevante Bereiche zu investieren. Tatsächlich wurden bspw. bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Marrakesch im Oktober 2023 Schritte in diese Richtung unternommen. Der Weltbank wird die Mobilisierung zusätzlicher Mittel ermöglicht, bspw. soll ihr Eigenkapital auch jenseits formeller Kapitalerhöhungen durch sog. hybrides Kapital aufgestockt werden.[iii] Die Bundesrepublik wird voraussichtlich zu einer ersten Geberin solchen Kapitals. Allerdings stehen damit nicht unbedingt mehr Mittel für die ursprüngliche Kernaufgabe der Bank – die Armutsbekämpfung – bereit. Denn zugleich wurde das Mandat der Institution erweitert. Sie soll nun nicht mehr „nur“ wirtschaftliche und soziale Entwicklung ermöglichen, sondern auch zum Schutz sog. globaler öffentlicher Güter (Klima, Biodiversität etc.) beitragen. Dass die Entwicklungsbank damit nicht mehr ausschließlich die Länder des Globalen Südens unterstützt, sondern auch die selbstverursachten Probleme des Globalen Nordens mit beheben soll, wird durchaus kontrovers diskutiert.[iv]

Ein anderer Vorschlag, über den Expert:innen momentan debattieren, wäre die Nutzung von Währungsinstrumenten, allen voran die Sonderziehungsrechte des IWF. Diese „Währung“, die die IWF-Mitglieder in praktisch unbegrenzter Höhe schöpfen können, könnte bspw. zur Absicherung von Entwicklungsbankkrediten herangezogen werden. Leider tritt die Bundesregierung – bzw. genauer gesagt die Bundesbank, die über die deutschen Sonderziehungsrechte wacht –hier eher auf die Bremse.[v]

Positiv zu vermerken ist insgesamt, dass sich die Debatte über Reformen der internationalen Finanzarchitektur gerade in diesem Jahr beschleunigt hat. So hat der UN-Generalsekretär im Rahmen der Vorbereitungen für den „Summit of the Future“, der im September 2024 in New York stattfinden wird, eine ganze Reihe von teilweise sehr weitreichenden Vorschlägen gemacht.[vi] Dabei geht es neben einer institutionellen Reform der internationalen Finanzinstitutionen – allen voran IWF und Weltbank – um eine stärkere internationale Zusammenarbeit in Sachen Steuern sowie schnellere und umfassendere Ansätze zur Behebung der Schuldenkrise. Diese Themen werden, neben den oben genannten Ansätzen, auch auf der Agenda der 4. Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung stehen, die voraussichtlich im Jahr 2025 in Spanien tagen wird und ein Nachfolgeabkommen für die Aktionsagenda von Addis Abeba hervorbringen soll.

 

Autor:

Wolfgang Obenland leitet im Forum Umwelt & Entwicklung gemeinsam mit Nelly Grotefendt den Arbeitsbereich „Marktmacht und Finanzen“.

 

 

Quellen:

  1. Z.n. Development Committee (2023): Ending Poverty on a Livable Planet: Report to Governors on World Bank Evolution. Washington D.C., S.3.
  2. UN Global Crisis Response Group (2023): A World of Debt. New York/Genf.

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