„Gesundheit für alle“ in Gefahr

Rundbrief 2023/3

Der Fachkräftemangel erschwert die Erreichung des SDG 3

Ohne Fachkräfte kommt kein Gesundheitswesen aus. Doch die Fachkräfte sind knapp. Die Corona-Pandemie hat den Wettbewerb um sie noch angeheizt – auch von deutscher Seite aus. Verlierer sind die Länder des Globalen Südens. Denn ihnen fehlen ohnehin Ärzt:innen, Pflegepersonal und Hebammen. Hält der Wettstreit an, werden wir das Nachhaltigkeitsziel Nummer drei – „Gesundheit für alle“ – bis 2030 verfehlen.  

Jeder Mensch hat das Recht auf Gesundheit. Das ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankert. Dazu zählen auch die in der Agenda 2030 genannten Unterziele des Ziels für nachhaltige Entwicklung Nummer drei (SDG 3), etwa eine Gesundheitsversorgung für alle, die Bekämpfung der großen drei Infektionskrankheiten Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids – aber eben auch die Erhöhung der Zahl von Gesundheitsfachkräften in Ländern des Globalen Südens. 

Corona macht Fortschritte in der Gesundheitsfürsorge zunichte 

An einigen Stellen hat sich die Gesundheitsvorsorge in den letzten Jahren verbessert. Laut dem SDG-Report 2023 der Vereinten Nationen starben in vielen Ländern weniger Kinder als noch 2015; es gab weltweit auch weniger Aids-bedingte Todesfälle und mehr Frauen und Mädchen haben heute einen besseren Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten.[i] Doch die COVID-19-Pandemie hat auch viele Erfolge zunichte gemacht: Weltweit erkrankten mehr als 768 Millionen Menschen an einer COVID-19-Infektion, mehr als 6,9 Millionen starben daran.[ii] In vielen Ländern, vor allem des Globalen Südens, sind infolge der Pandemie auch grundlegende Gesundheitsdienste eingebrochen.[iii] So wurden weniger Kinder als in den zurückliegenden drei Jahrzehnten geimpft, und es sind wieder mehr Menschen an Tuberkulose und Malaria gestorben als vor der Pandemie. Auch verbesserte sich die allgemeine Gesundheitsversorgung nicht wie noch 2015 mit den SDGs geplant.  

Deutschlands Rolle bei der Anwerbung von Gesundheitsfachkräften  

Hinzu kommt, dass die Pandemie die internationale Anwerbung von Gesundheitspersonal beschleunigte – zu Lasten der Länder des Globalen Südens.[iv] Zwar steht Deutschland im internationalen Vergleich nicht schlecht da, was die Zahl seiner Gesundheitsfachkräfte betrifft. Doch auch hierzulande wächst die Personallücke – mit gravierenden Folgen für die Versorgung. Auch deswegen setzt die Bundesregierung auf die internationale Anwerbung von Gesundheitspersonal und dies nun auch verstärkt in Ländern des Globalen Südens. Dort fehlt dieses Personal dann und eine grundlegende Gesundheitsversorgung ist im schlimmsten Fall nicht mehr möglich. Diese Abwerbepolitik gefährdet das SDG 3 und es gefährdet Menschenleben in Ländern, die ohnehin ein instabiles, chronisch unterfinanziertes Gesundheitssystem aufweisen.  

Brot für die Welt fordert die Akteur:innen in der Debatte um die Anwerbung von Gesundheitspersonal aus dem Ausland auf, Folgendes zu beachten:  

1. Berücksichtigung des WHO-Verhaltenskodex zur internationalen Anwerbung von Gesundheitspersonal  

Im Jahr 2010 haben alle Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) einen globalen Verhaltenskodex zur internationalen Rekrutierung von Gesundheitspersonal beschlossen.[v] Auch Deutschland hat ihn unterzeichnet. Trotz seiner Unverbindlichkeit sollte die Bundesregierung den WHO-Kodex umfassend anwenden. So sollte sie aus Ländern mit kritischem Personalmangel grundsätzlich nicht anwerben. Des Weiteren sollte die Bundesagentur für Arbeit bei der Anbahnung von bilateralen Abwerbeabkommen mit anderen Ländern verpflichtend mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und mit unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen der Herkunftsländer zusammenarbeiten. Nur so können die entwicklungspolitischen Perspektiven und die Interessen der Länder des Globalen Südens stärker berücksichtigt werden.  

2. Aufbau und Erhalt eines Personalbestands an Gesundheitsfachkräften

Zuwanderung befreit nicht von der Verantwortung, die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen grundsätzlich zu verbessern. Um vorhandenes Personal zu halten und neue Fachkräfte, die bereits in Deutschland leben, zu gewinnen, müssen Gehaltsstrukturen sowie weitere Bedingungen im Arbeitsumfeld verbessert werden – auch, um die bestehenden Belastungen abzubauen. Hierzu gehören auch eine wirksame Personalplanung und Strategien zur Aus- und Weiterbildung, die auf den Erhalt des Personalbestands und die Motivation der Mitarbeitenden hinwirken. Aber auch wirtschaftlich schwächere Länder sollten von Deutschland unterstützt werden, entsprechende Strukturen im Gesundheitswesen vor Ort zu verbessern, etwa durch technische und finanzielle Unterstützung der Gesundheits- und Ausbildungssysteme. 

3. Verlässliche Informationen und Evaluationsdaten über die Anwerbung einholen  

Damit die Bundesregierung entsprechend dem WHO-Kodex sicherstellen kann, dass die Vorteile für das Herkunftsland in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen stehen, von denen das deutsche Gesundheitssystem profitiert, braucht es eine klare Datenlage. Doch das ist bislang nicht der Fall. Es braucht eine umfassende Datenerhebung und begleitende Forschung aller staatlichen und privaten Anwerbeverfahren, wobei die lokale und zivilgesellschaftliche Expertise mit einbezogen werden müssen. Nur so können wir die Auswirkungen der Abwerbung von Personal in den Herkunftsländern und Regionen verstehen und mit Programmen gegensteuern.  

 

Autorin:

Julia Stoffner ist Referentin für internationale Gesundheitspolitik bei Brot für die Welt.

 

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