Kommunen brauchen für die multiplen Herausforderungen mehr Sensibilität, Ressourcen und angepasste Prozesse
Den Städten und Gemeinden, dem Lebensraum von 84 Millionen Menschen, kommt eine zentrale Rolle bei der Lösung multidimensionaler Problemlagen zu. Dort, „vor Ort“, soll sie stattfinden, die Transformation: angemessenen (und bezahlbaren) Wohnraum schaffen, allen Menschen Zugang zu nachhaltigen Verkehrssystemen und Grünflächen sichern, den Katastrophenschutz ausbauen, die von Städten ausgehende Umweltbelastung senken. Schon dieser Auszug aus den Zielsetzungen des SDG 11 lässt fragen: Wie soll das alles nur gehen?
Die 10.789 Städte und Gemeinden in Deutschland bewegen sich in dem permanenten Widerspruch, am liebsten alles alleine entscheiden und regeln zu wollen und einem eklatanten Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen. Nicht selten fehlt auch schlicht der politische Wille, die drängendsten Herausforderungen überhaupt anzugehen. Das Stichwort „Parkraumreduzierung“ dürfte als Hinweis dafür genügen.
Mangel an politischem Willen, an Geld und Personal sind das eine. Die Rahmenbedingungen das andere: Das hohe Gut der kommunalen Planungshoheit, verbunden mit unzulänglichen Eingriffs- und Ausgleichsregelungen und oft großzügiger Genehmigungspraxis seitens der Aufsichtsbehörden erlaubt den Städten und Gemeinden weitreichenden Zugriff auch auf ökologisch sensible, klimarelevante oder landwirtschaftlich genutzte Flächen. So kommt der vom Umweltbundesamt bereits 2016 erstellte „Aktionsplan Flächensparen“ zu dem Schluss, dass das derzeitige Bau- und Planungsrecht nicht genüge, die angestrebten Ziele zur Eindämmung des Flächenverbrauchs zu erreichen. Erst auf Druck von Umweltverbänden und schließlich durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurde der „Flächenfraßparagraf“ 13 b im Baugesetzbuch für nichtig erklärt. Viele Kommunen, gerade in den reichen Bundesländern, hatten damit ohne Umweltprüfung ungebremst vor allem Einfamilienhausgebiete auf der „grünen Wiese“ erschlossen und damit viel Platz für wenig Gutverdienende geschaffen. Oft zu Lasten von Biodiversität und wertvollen Agrarflächen. Angemessener Wohnraum?
Hinzu kommt die zunehmende Erkenntnis, dass die historisch gewachsenen kommunalen Verwaltungsstrukturen mit ihrem vorwiegend sektoralen Aufbau in einem gewissen Gegensatz zur erforderlichen Governance (nicht hierarchische Form der Steuerung) stehen, um all die Herkulesaufgaben bewältigen zu können.
Es wird zu wenig themenübergreifend geplant und gehandelt
Dazu ein Blick in die Praxis: Unter dem anhaltenden und sich verschärfenden Klimawandel sind bereits heute gesundheitliche Folgen in der Bevölkerung zu verzeichnen. So trägt etwa die hohe Versiegelung in verdichteten Stadtquartieren zu erheblichen Hitzebelastungen insbesondere von älteren Menschen und Kindern bei. Allein im Sommer 2022 waren in Deutschland 8.173 Hitzetote zu beklagen. Die Handlungsmöglichkeiten für ein gesundheits- und bewegungsförderliches Verhalten sind in den Kommunen schon allein räumlich vielfach eingeschränkt: Wo Häuser und Autos stehen oder Leitungen liegen, können keine Bäume wachsen. Hinzu kommt ein geringer Sensibilisierungsgrad relevanter Akteure und betroffener Zielgruppen, etwa bezogen auf die Notwendigkeiten des Hitzeschutzes.
Mit der Ottawa-Charta von 1986 legte die Weltgesundheitsorganisation einen Grundstein für wichtige Handlungsstrategien zur Gesundheitsförderung. Daraus begründet sich die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung in verschiedenen „Lebenswelten“, also etwa an Schulen oder in Stadtquartieren und allen Politikbereichen (health in all policies). Nun bestehen zwischen Stadtplanung, Stadtentwicklung, Umwelt-und Klimaschutz und Gesundheit naheliegende und vielfältige thematische Beziehungen, welche etwa im Baugesetzbuch auch an prominenter Stelle (§ 1, Abs.6) angesprochen werden. Allerdings drückt sich dieser Zusammenhang bisher wenig bis gar nicht in der kommunalen Planungspraxis aus – weder in Strategien zur Gesundheitsförderung noch in der umweltorientierten Stadtplanung, noch in integrierten Stadtentwicklungskonzepten, zögerlich in ersten Hitzeaktionsplänen weniger Großstädte. Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – klassische Querschnittsthemen – gehören dabei noch nicht einmal zu den kommunalen Pflichtaufgaben, welche die Deutsche Umwelthilfe gemeinsam mit anderen Verbänden schon lange fordert.
Es geht besser: Was muss in Kommunen anders laufen?
Die notwendige themenintegrierte Vorgehensweise findet sich etwa in Amsterdam. Das Konzept „The active city“ verfolgt das Ziel, körperliche Bewegung wieder zum natürlichen Bestandteil des täglichen Lebens zu machen. Der Mensch, seine Gesundheit und Wohlbefinden stehen im Mittelpunkt, die Stadt wird um ihn herum gebaut. Paris verfolgt mit der „15-Minuten-Stadt“ (la ville du quart d´heure) einen ähnlichen Ansatz: Stadtgestaltung, die es erlaubt, alles Wesentliche im Alltag zu Fuß oder per Rad erledigen zu können. Barcelona strebt mit seinen Superblocks an, 60 % der bisher für das Auto reservierten Flächen für Aufenthalt, klimafreundliche Mobilität und Grün frei zu machen. Ludwigsburg gestaltet tageweise ganze Plätze und Straßen unter dem Motto „Pop-up-Innenstadt“ zu Spiel- und Sportzonen mit Yoga-Sessions, mobilen Skateparks oder Basketballkörben um. Die „Sommerstraßen“ von Wien und München machen „die neue Stadt“ zumindest temporär erlebbar.
Zur Bewältigung der sich thematisch überlagernden Herausforderungen braucht es auf der Ebene der Kommunen mehr praxisorientierte Lernprozesse und Handlungsempfehlungen, die Akteure in relevanten Strukturen themen- und sektorenübergreifend zusammenbringen und fortbilden. Hier sind dezidiert auch die Landkreise gemeint, die für eine Qualifizierung des Stadt-Umland-Kontextes sorgen müssen. Dies erfordert, gerade mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung innovative und querschnittsorientierte Ansätze, verschiedene Planungsinstrumente, Institutionen und Stakeholder zu berücksichtigen und zu beteiligen. Kommunen brauchen dazu aber mehr Sensibilität, mehr Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten – an manchen Stellen auch restriktivere Vorgaben und zeitgemäßere Regelwerke.
Für die tägliche Arbeit in den Kommunen bedeutet dies mehr integrierte Zusammenarbeit und Planung, der verschiedenen Bereiche in hierarchiefreien, projektbezogenen Steuerungsgruppen, die örtliche Bedarfslagen themenübergreifend – und an den Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet – bearbeiten. Denn letztlich geht es schlicht darum, den begrenzten Raum im Sinne von Klimaschutz, Klimaresilienz, Biodiversität und Gesundheit neu zu bewerten und zu verteilen.
Autor:
Markus Zipf leitet den Bereich Kommunaler Umweltschutz bei der Deutschen Umwelthilfe e.V.