Die Böcke müssen nicht die Gärtner sein 

Rundbrief 2023/3

Demokratie wächst eher von unten  

Viele SDGs sind grundsätzlich auch für autoritäre Machthaber akzeptabel. Das SDG 16 ist hingegen ein diplomatisch entschärfter Aufruf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und stellt sich damit gegen den weltweiten Trend zu autoritärer und populistischer Herrschaft. Gibt es trotzdem Chancen für Demokratieförderung?  

Richteten sich die Millennium Development Goals durch Auswahl und Eingrenzung der Ziele noch deutlich an die entwicklungspolitische Community, adressieren die Sustainable Development Goals globale Entscheidungsträger:innen für fundamentale politische Weichenstellungen. So auch beim SDG 16. 

Angesprochen sind hier dieselben Akteure, die den UN-Generalsekretär wählen. Wie in einer Unschärferelation fällt dann auch dessen Halbzeitbilanz[i] zu SDG 16 zwar im Grundton sehr kritisch aus, wird aber umso verwaschener, je mehr sie sich den Hauptverantwortlichen nähert. Zum Unterziel 16.3 (Rechtsstaatlichkeit) werden subjektlose „Herausforderungen beim Justizzugang“ beobachtet; zu Nr. 16.7 („Dafür sorgen, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist“) fällt dem Bericht als einziges Problem auf, dass Personen unter 45 Jahren in den Parlamenten unterrepräsentiert sind. Die begleitende statistische Auswertung der UN[ii] zur Zielerreichung beim SDG 16 konzentriert sich auf Kriminalität außerhalb der staatlichen Institutionen.  

Deutlicher ist die Analyse des Global Policy Forums: 

„Fest steht zur Halbzeit der Umsetzung von SDG 16 jedenfalls, dass kriegerische Konflikte und Militärausgaben zugenommen haben, autoritäre Regime auf dem Vormarsch sind und weiterhin schwache Institutionen, mangelnde demokratische Teilhabe und der begrenzte Zugang zu rechtstaatlichen Institutionen die Verwirklichung der Agenda 2030 in ihrer Gesamtheit gefährden.“[iii] 

Ziele für nachhaltige Entwicklung in der Zwickmühle 

Das Dilemma der SDGs wird im Ziel 16 besonders deutlich: Ausgerechnet die Machtzentren, die Umweltkatastrophen, Militarisierung und Autoritarismus maßgeblich verantworten, sollen sich für das Gegenteil engagieren. Auf der Weltkarte des CIVICUS-Monitors[iv] muss man offene Gesellschaften mit der Lupe suchen. Das SDG 16 muss also eher gegen die überwältigende Mehrheit der Regierungen durchgesetzt werden. 

Derselbe Widerspruch taucht wieder auf, wo in Kooperation mit anderen Regierungen versucht wird, SDG-Ziele wie Nr. 16 durch Programmfinanzierungen zu realisieren. Exemplarisch sind hier die Politikfelder der Justiz- und Sicherheitssektorreform (JSSR) sowie die Wahlbeobachtung. Zur JSSR hat sich in den übergreifenden Konzepten langsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass Ziele und Grundsätze wie Professionalisierung, Verantwortung vor Ort (Local Ownership), Sicherheit oder Terrorismusbekämpfung autoritäre Regime mit demokratischer Fassade eher stärken als reformieren. Ausrüstungshilfen und Ausbildung werden gern übernommen, institutionelle Reformen jedoch nicht oder nur auf dem Papier. Inzwischen enthalten daher alle einschlägigen Strategiepapiere[v] Bekenntnisse zur Einbindung der Zivilgesellschaft und einen Paradigmenwechsel von der nationalstaatlichen Sicherheit zu einer Sicherheit, die den Menschen in den Fokus rückt. 

Inwieweit sich dies in der Praxis niedergeschlagen hat, ist hingegen schwierig zu bewerten. Im Gegensatz zu den Webauftritten von Innen- und Verteidigungsministerium berichten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) immerhin transparent über ihre Programme. Ziele und Arbeitsansätze der Polizei-Kooperationen passen gut zu den SDGs. Nur selten wird jedoch über die Wirkungen berichtet. Wenn doch, dann in der Möglichkeitsform („Potenziale neuer Regeln und Techniken“) und ohne erkennbaren Abgleich mit der Wahrnehmung der Bürger:innen über das tatsächliche Verhalten der Sicherheitskräfte.[vi] 

Ähnlich kontextabhängig wie JSSR-Programme sind auch die Finanzierung von Parlamentswahlen und Wahlbeobachtung. Die rein technische Ermöglichung von Abstimmungen ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Voraussetzungen und die Beschränkung der Wahlbeobachtung auf Auffälligkeiten im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Wahlgang können auf eine aufwändige Legitimation undemokratischer Herrschaft hinauslaufen. 

Zivilgesellschaft muss in Demokratieförderungsprogramme einbezogen sein 

Nun ist es Ministerien und nachgeordneten Organisationen demokratischer Staaten kaum anzulasten, dass sich ihre formellen Counterparts in Kreisen finden, wo Vorkämpfer:innen für Demokratie und Rechtsstaat eher selten anzutreffen sind. Es ist auch wichtig, Chancen für Veränderungen auf dieser Ebene zu nutzen. Botschaften und Auftragsverantwortliche müssen aber in der praktischen Begleitung von Programmen zur Demokratieförderung auf Kooperation mit geeigneten zivilgesellschaftlichen Akteuren hinwirken. Diese wiederum müssen ihnen dabei auch entgegenkommen. Die Partnerorganisationen des Weltfriedensdiensts haben gute Erfahrungen damit gemacht, gleichzeitig mit staatlichen bzw. kommunalen Akteuren und der örtlichen Zivilgesellschaft zu arbeiten, und dies ein Stück entfernt von den politischen Machtzentren, wo oft größeres Interesse an einvernehmlichen Lösungen vorherrscht. Beispiele aus verschiedenen Ländern umfassen  

  • die Beratung kommunaler Dienste zur Rechenschaftslegung bei gleichzeitigem Empowerment der Bevölkerung, Transparenz einzufordern; 
  • Workshops zur gemeinsamen Sicherheit unter Beteiligung von Polizei, Militär, Verwaltung und Zivilgesellschaft; 
  • landesweites Forumtheater mit Bevölkerung, Parteien und Beamt:innen zur offenen Problematisierung tabuisierter Themen – etwa die des kollektiven Kaufs von Wahlstimmen über Dorfchefs; 
  • Legislativtheater mit Behördenvertreter:innen und Bevölkerung zur Erarbeitung von Gesetzesinitiativen gegen strukturelle Konfliktursachen; 
  • Kooperation überlasteter Justiz und bürgerlicher Friedenskomitees in der Anerkennung außergerichtlicher Streitschlichtung 

Wo Demokratieförderung von oben auf Grenzen stößt, kann sie auch von unten wachsen. Denn Demokratie und Rechtstaatlichkeit sind zu wichtig, um sie nur staatlichen Akteuren zu überlassen. 

 

Autor:

Hans Jörg Friedrich ist Berater für den Zivilen Friedensdienst beim Weltfriedensdienst e.V.

 

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