Marines Geoengineering

Rundbrief 2023/1

Zwischen Profiten und Klimaschutz werden unsere Ozeane zum Experimentierfeld

In einem seltenen Beispiel erfolgreicher internationaler Zusammenarbeit zur Lösung ökologischer Probleme einigten sich die Vereinten Nationen im vergangenen Monat auf einen Vertrag zum Schutz der Hohen See, um, wie António Guterres es ausdrückte, „zerstörerischen Trends entgegenzuwirken, die die Gesundheit der Ozeane gefährden, jetzt und für künftige Generationen“ 1 [1]. Die Länder sind nun verpflichtet, die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere in Gebieten außerhalb ihrer nationalen Gerichtsbarkeit sicherzustellen. Und dennoch: Die Ozeane werden zunehmend als Mittel gegen die globale Erwärmung angepriesen, indem sie als CO2-Senken fungieren oder die Albedo der Erde erhöhen. Das Stichwort dazu lautet marines Geoengineering und bietet enorme Geschäftsmöglichkeiten.

Geoengineering reagiert auf die grundsätzlich begründete Angst vor einer Klimakatastrophe. Verzweifelte Zeiten verlangen nach verzweifelten Maßnahmen. Aber die Technologien und Techniken, die vorgeschlagen werden, um die Ökosysteme und natürlichen Prozesse der Erde zu manipulieren, sind mit großen Risiken und Unsicherheiten sowie mit vorhersehbaren negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen verbunden. Vieles was unter dem Begriff Geoengineering kursiert, befindet sich derzeit noch in der Konzeptions- und frühen Forschungsphase. Um mehr Mittel und Legitimität für die Forschung zur Beseitigung von Kohlendioxid zu erhalten, werden die Forschungsergebnisse oft mit einer großen Portion übertriebener Behauptungen über Wirksamkeit, Durchführbarkeit und Sicherheit präsentiert. Der Industrie für fossile Brennstoffe bieten sie eine perfekte Ausrede für die weitere Verschmutzung.

Vorschläge zum marinen Geoengineering fallen in der Regel in eine von zwei breiteren Kategorien des Geoengineerings: Solar Radiation Management (Reduzierung der Solarstrahlung, die den Erdboden erreicht, SRM) und Carbon Dioxide Removal (Entnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre und Bindung, CDR). Im Fokus der Forschung zum marinen Geoengineering stehen vor allem folgende drei Methoden:

  • Die Ozeandüngung (Ocean Fertilisation, OF) ist eine CDR-Technik. Hier werden Nährstoffe ausgebracht, um das Wachstum von Phytoplankton anzuregen. Dieses nimmt Kohlenstoff auf und bindet diesen in der Tiefsee, wenn es abstirbt und auf den Meeresboden sinkt. Überschüssige Nährstoffe stören jedoch das ökologische Gleichgewicht, lösen schädliche Algenblüten aus und verstärken die Versauerung der Ozeane.
  • Eine weitere CDR-Methode ist das Ocean Alkalization Enhancement (Erhöhung des Alkaligehalts der Meere, OAE), mit dem versucht wird, den Prozess der natürlichen Verwitterung schnell zu wiederholen, und mit dem Kohlenstoff in Form von Karbonat im Ozean gebunden wird. Dabei werden Millionen von Tonnen Mineralien entlang der Küsten in den Ozeanen und an Land ausgebracht. Für OAE müssen riesige Mengen an abgebautem Gestein zerkleinert, transportiert und verteilt werden, was mit einem erheblichen CO2-Fußabdruck für die Umwelt, einem enormen Mineralienbedarf und wahrscheinlich der Verletzung von Menschenrechten in der gesamten Wertschöpfungskette einhergeht.
  • Marine Cloud Brightening (MCB) – das sowohl marines Geoengineering als auch solares Geoengineering ist – zielt darauf ab, Meerwassertröpfchen in 2 Kilometer (km) Höhe zu versprühen, um einfallende Sonnenstrahlen zu reflektieren. Tausende von Schiffen würden Meerwassertröpfchen mit einer Geschwindigkeit von 50 Kubikmetern pro Sekunde über einen großen Teil der Meeresoberfläche der Erde versprühen. Dies hätte das Potenzial, regionale und sogar globale Wettermuster zu beeinflussen.

Besorgniserregend ist, dass das marine Geoengineering derzeit sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft auf großes Interesse stößt. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen, um zu erforschen, wie die Fähigkeit des Ozeans, CO2 zu absorbieren oder Sonnenlicht zu reflektieren, verändert bzw. verbessert werden kann. Die meisten dieser Gremien sind im Globalen Norden angesiedelt, wie das von der EU finanzierte OceanNETs-Projekt und der von der US National Academy of Sciences mit 125 Mio. US-Dollar ($) bis 2,4 Mrd. $ finanzierte Forschungsstrategieplan Ocean Visions.

Es regt sich Widerstand

Während sich die Kapitalisten bei der Aussicht auf marines Geoengineering die Lippen lecken, sind Gemeinden auf der ganzen Welt, insbesondere an den Versuchsstandorten, weniger begeistert. Reale Experimente in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Befürworter des Geoengineering alles tun, um nationale Politiken und Vorschriften zu umgehen oder lokale Gemeinschaften für die Durchführung ihrer Pläne zu gewinnen.

Aber auch die Gegenseite schaut nicht tatenlos zu. Bspw. wehren sich wissenschaftliche Gemeinschaften in Lateinamerika und leisten Lobbyarbeit, damit die nationalen Regierungen Maßnahmen ergreifen, die ihre Ozeane vor den Versuchen des kanadischen Unternehmens Oceanous schützen, die Fischbestände durch Ozeandüngung wieder aufzufüllen. Die in Chile ansässige Terram-Stiftung hat wissenschaftliche Berichte erstellt, in denen die Notwendigkeit hervorgehoben wird, sich mit dem grenzüberschreitenden Charakter der Auswirkungen des marinen Geoengineerings zu befassen.[2]

Neben wissenschaftlichen Instituten kritisieren vor allem Fischereigemeinschaften die marinen Geoengineering-Techniken. Im Vorfeld der Klima-COP27 lehnten sowohl die indische National Platform for Small-Scale Fish Workers (NPSSFW) als auch die FishNet Alliance, ein Netzwerk von handwerklichen Fischern auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, das Konzept als eine Option zur Bekämpfung des Klimawandels ab. Die NPSSFW schrieb dazu: „Verschmutzte Meere verlieren ihre Fähigkeit, Kohlenstoff zu binden – es ist weitaus wichtiger, die Verschmutzung der Meere zu stoppen und den Ozeanen bei der Wiederherstellung und Steigerung ihrer Fähigkeit, Kohlenstoff zu binden, zu helfen, als auf falsche und riskante Experimente zurückzugreifen“[3]. Andernorts haben sich indigene Gemeinden in Alaska gegen das Arctic Ice Project gewehrt, weil es gegen ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung verstößt. Philippinische Aktivisten haben sich erfolgreich gegen ein Ozeandüngungsexperiment gewehrt, mit dem Kohlenstoffgutschriften generiert werden sollen.

Meeresschutz versus Klimaschutz?

Seit 1999 hat die Internationale Meeresorganisation Vorschriften für das marine Geoengineering erlassen und in der Londoner Konvention/Londoner Protokoll (LC/LP) zur Prävention der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972 verankert.[4]

2010 wurde im LC/LP beschlossen, die Ozeandüngungsforschung zu regeln und sicherzustellen, dass sie wissenschaftlichen und nicht kommerziellen Zwecken dient. Im Jahr 2013 wurde das LC/LP erweitert, um gefährliche marine Geoengineering-Projekte zu stoppen. Die wissenschaftlichen Gruppen, die der LC/LP Bericht erstatten, haben Bedenken geäußert, dass viele marine Geoengineering-Techniken das Potenzial haben, weit verbreitete, langanhaltende oder schwerwiegende Schäden zu verursachen.

Andere Politikbereiche wie das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) untergraben diese Bemühungen jedoch, indem sie Kohlenstoffausgleiche fördern, anstatt die Produktion fossiler Brennstoffe einzuschränken. Marktbasierte Ansätze, bei denen Länder weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen und die Lücke zu ihren Emissionsreduktionszielen durch den Kauf von Emissionsgutschriften überbrücken, die im Rahmen von Systemen generiert werden, die angeblich atmosphärische Emissionen abwenden oder beseitigen, sind bereits üblich. Es gibt auch Bestrebungen, das marine Geoengineering in die Diskussion einzubeziehen. Die meisten dieser Programme haben eine schlechte Bilanz, wenn es um Menschenrechte und Umweltintegrität geht, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie zu einer tatsächlichen Reduzierung der Emissionen beigetragen haben.

Das Weltwirtschaftsforum, die American Geophysical Union und die britische Regierung versuchen, einen ethischen Rahmen für die CDR-Forschung im Meer zu schaffen, unabhängig von den derzeitigen Empfehlungen der LC/LP.

Klimaschutz ist kein Profitmodell

Steht die Forschung im Bereich des marinen Geoengineering im Einklang mit dem Präzedenzfall des vorsorgenden Regierens oder versucht sie, diesen zu missachten und die Zukunft des ermöglichenden Regierens zu gestalten? Angesichts der beträchtlichen Mittel, die in die Forschung fließen, beginnen die Forscher, die oft langsam arbeitenden Regulierungsbehörden zu überholen. Dies stellt ein Problem dar, das nur dadurch gelöst werden kann, dass sich die kritische Zivilgesellschaft in Bereichen engagiert, in denen bereits eine Regulierung stattfindet, um zu versuchen, das Vorsorgeprinzip durchzusetzen.

Im Grunde geht es beim marinen Geoengineering, wie bei allen Formen des Geoengineering, um das Streben nach Profit unter dem Deckmantel des Klimaschutzes, der als Rammbock gegen den Widerstand eingesetzt wird. Man wird die, die darauf hinweisen, dass es klüger ist, sich um Energieeffizienz und einen gerechten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu bemühen, als sich auf das Wunschdenken zu verlassen, dass zukünftige Technologien die Menschheit vor der Gier der Eliten retten werden, als Technologiefeinde und Primitive verunglimpfen. Aber es ist wichtig, auf der Wahrheit zu beharren. Unsere beispiellose Verbrennung von Kohlenstoff in den letzten 200 Jahren richtet in den Systemen der Erde verheerenden Schaden an. Eine weitere Einmischung in diese Systeme, die wir nicht vollständig verstehen, auf der Grundlage spekulativer Technologien ist buchstäblich das Letzte, was wir brauchen.

Autor:

Nathan Thanki ist ein Autor und Aktivist, der seit über zehn Jahren in der globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit aktiv ist.

Aus dem Englischen übersetzt von Tom Kurz.

[1] United Nations (2023): UN News. UN delegates reach historic agreement on protecting marine biodiversity in international waters
https://news.un.org/en/story/2023/03/1134157

[2] Terram Fundacion (2017): Canadian company project worries scientific community. https://www-terram-cl.translate.goog/2017/05/proyecto-de-empresa-canadiense-preocupa-a-comunidad-cientifica/?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=en&_x_tr_hl=en&_x_tr_pto=wapp

[3] National Platform for small scale fishworkers (2022): National Platform for Small-Scale Fish Workers Rejects Ocean Geoengineering Calls Upon All States to Stop Resorting to False Solutions and Experimentations to Resolve Climate Crisis https://smallscalefishworkers.org/wp-content/uploads/2020/05/NPSSFW-Statement-on-Ocean-Geo-Engineering_removed_221110_095637.pdf

[4] International Maritime Organization (2019): Ocean Fertilization under the LC/LP.

https://www.imo.org/en/OurWork/Environment/Pages/OceanFertilization-default.aspx

  1. United Nations (2023): UN News. UN delegates reach historic agreement on protecting marine biodiversity in international waters

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