Carbon Farming

Rundbrief 2023/1

Von neuen Geschäftsmodellen und falschen Versprechen

Auf der Suche nach wirksamen Instrumenten zur Eindämmung der Klimakrise taucht ein Schlagwort immer häufiger auf: Carbon Farming. Mitunter entsteht dabei der Eindruck, hierbei handele es sich um eine echte Win-win-Lösung: die Landwirtschaft könnte zukünftig einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten und dabei gleichzeitig profitable Gewinne erzielen. Den Landnutzer:innen werden lukrative Geschäftsmodelle versprochen und neue Einkommenschancen, z.B. durch Humuszertifikate angekündigt. Was auf den ersten Blick wie eine vielversprechende Idee erscheint, birgt allerdings eine ganze Reihe von Fallstricken und Risiken.

Eine allgemein gültige Definition von Carbon Farming (etwa: Kohlenstoff-Landwirtschaft) gibt es nicht. Auch wenn das Konzept nach Innovation oder neuester Technik klingt, beschreibt es im Grunde die elementare Eigenschaft von Ökosystemen, CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen und zu speichern. Der klare Fokus liegt also auf der Kohlenstoffbindung durch Ökosysteme, was zweifellos ein recht eindimensionaler Blick auf deren vielfältige Funktionen ist. Da es selbst bei erreichter Klimaneutralität bis 2045 noch sogenannte unvermeidbare Restemissionen geben wird, gewinnt die Erhöhung der Kohlenstoffvorräte in Wäldern, Mooren und Böden jedoch zunehmend an klimapolitischer Bedeutung. Umso relevanter sind natürliche Senken bzw. negative Emissionen auch für den Landwirtschaftssektor selbst, da die prognostizierten Restemissionen vor allem aus dem Bereich Landwirtschaft kommen werden, etwa aus Düngung und Tierhaltung.

Gemüse, Getreide, Kohlenstoff?

Beim Carbon Farming sollen landbezogene Aktivitäten finanziell honoriert werden, die zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und zur Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung in Biomasse und Böden führen. Dazu zählen Praktiken wie Humusaufbau, die Wiedervernässung von Mooren (organische Böden), Agroforstsysteme, Umwandlung von Ackerfläche zu Dauergrünland, (Wieder-)Aufforstung, naturnahe Waldbewirtschaftung und teilweise auch die Tierhaltung. In der agrarpolitischen Debatte wird darunter jedoch häufig vorrangig die Steigerung des Humusgehalts auf landwirtschaftlich genutzten Ackerböden (mineralische Böden) verstanden. Dies kann etwa durch Zwischenfrüchte, den Anbau von Leguminosen, mehrjährige und tiefwurzelnde Kulturen, verbesserte Fruchtfolgen oder Heckenpflanzungen erfolgen.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es zur Frage, ob nur die konkrete CO2-Entnahme aus der Atmosphäre oder auch die Vermeidung bzw. Minderung von Treibhausgas(THG)-Emissionen unter Carbon Farming gefasst werden sollte. Eine durchaus relevante Unterscheidung mit politischen Implikationen, da sich aus dieser Definition sowohl die möglichen Geschäftspraktiken als auch die tatsächliche Klimawirkung ergeben. Zumindest wenn Carbon-Farming-Praktiken als landbasierte Optionen zur Kohlenstoffentnahme (carbon dioxide removal, CDR) politisch forciert werden, sollte auch nur die tatsächliche CO2-Entnahme gemeint sein und eine scharfe Trennung zwischen Zielen zur Emissionsminderung und der Kohlenstoffentnahme erfolgen. Andernfalls werden hier Kategorien vermengt, die in der Folge Schlupflöcher eröffnen und am eigentlichen Ziel von negativen Emissionen vorbeigehen.

 

EU setzt auf Carbon-Farming-Zertifikate

 

Trotz dieser und anderer Unklarheiten setzt die Politik aktuell verstärkt auf Carbon Farming. Im Dezember 2021 hat die EU-Kommission ihre Mitteilung zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen (sustainable carbon cycles) präsentiert. Darin nimmt Carbon Farming als „ein grünes Geschäftsmodell“ eine prominente Rolle ein. Aktuell befindet sich zudem ein Vorschlag für einen EU-Zertifizierungsrahmen zur Kohlenstoffentnahme (carbon removal certification framework, CRCF) im Gesetzgebungsverfahren der europäischen Institutionen. Die Verordnung soll einen EU-weiten Rahmen für die Messung, Überprüfung und Zertifizierung von Kohlenstoffentnahmen etablieren. Dabei hat die EU-Kommission für die CO2-Entnahmen drei Optionen im Blick: erstens durch die Festlegung in kohlenstoffspeichernden Produkten und Materialien wie Holz, zweitens durch technische Lösungen zur Deponierung des Kohlenstoffs mittels Bioenergie mit CO₂-Abscheidung und -Speicherung (BECCS) oder direkter CO2-Abscheidung aus der Luft (DACCS). Technologien, die bislang unausgereift und teuer sowie mit einer Vielzahl von Risiken verbunden sind. Und drittens durch landbasierte Optionen, also Carbon Farming. Wobei in der Realität allerdings nahezu die gesamten derzeitigen globalen Kohlenstoffentnahmen (99,9 %) durch Landökosysteme erfolgen, wie ein aktueller, umfassender CDR-Bericht[i] aufzeigt.

Der CRCF-Vorschlag lässt aktuell wesentliche Fragen offen, birgt politische wie praktische Risiken und wird daher zu Recht von Umweltorganisationen scharf kritisiert[ii]. Zentral ist die Gefahr, dass durch die Möglichkeit zur Kompensation (Offsetting) mittels CO2-Zertifikaten emissionsintensive Praktiken legitimiert und somit tatsächliche Emissionsminderungen untergraben würden. Große CO2-Verursacher wie fossile Industrien bekämen so neue Möglichkeiten des Greenwashings und die dringend nötige drastische THG-Reduktion würde ausgebremst. Nicht nur der Anwendungsbereich der Verordnung ist ungewiss und eröffnet damit die Möglichkeit des Offsettings. Wichtige Entscheidungen sind in eine Expert:innengruppe ausgelagert worden und können von der Kommission durch delegierte Rechtsakte erlassen werden. Auch Fragen der Haftung für langjährige Verpflichtungen zur Kohlenstoffbindung sind ungeklärt und mögliche soziale Nebeneffekte, etwa die Auswirkung auf Bodenpreise, bleiben unberücksichtigt. Darüber hinaus sind die Nachhaltigkeitskriterien zu schwach, sodass etwa positive Effekte auf die biologische Vielfalt nicht als Grundvoraussetzung für Carbon Farming gelten. Auch wird im CRCF nicht ausreichend zwischen geeigneten und ungeeigneten Verfahren der CO2-Entnahme differenziert.

Fehlende Permanenz – fragliches Potenzial

Dass etwa Humuszertifikate kein geeignetes Instrument zum (an sich erstrebenswerten) Erhalt und Aufbau von Humus in landwirtschaftlichen Böden sind, betonen Umweltorganisationen schon länger[iii]. Denn eine der großen Herausforderung bei der Honorierung von Kohlenstoffbindung in Landökosystemen ist die Gewährleistung von Permanenz: Weder bei Humuszertifikaten noch bei Waldprojekten kann eine dauerhafte Speicherung des Kohlenstoffs sichergestellt werden. Veränderte Bewirtschaftung, natürliche Störungen, Extremwettereignisse oder klimatische Veränderungen können den gebundenen Kohlenstoff schnell wieder freisetzen. Schon heute können Landwirtschaftsbetriebe den Verlust ihrer organischen Kohlenstoffmenge im Boden nur schwer vermeiden. Unter den prognostizierten Veränderungen durch die Klimakrise wird eine Erhöhung des Humusgehalts umso schwerer. Außerdem lassen sich Humusgehalte in Agrarböden nicht beliebig steigern und auch die Messung und Überwachung des Bodenkohlenstoffs ist aufwendig und teuer. Auch haben jene Betriebe das Nachsehen, die in der Vergangenheit bereits gute, humusfördernde Maßnahmen umgesetzt haben, da ihr Potenzial zur weiteren Steigerung verhältnismäßig geringer ist. So kamen zuletzt auch zahlreiche Wissenschaftler:innen zu dem Schluss, dass Humuszertifikate „als Instrument für den Klimaschutz ungeeignet“ sind[iv]. Die Erwartungen an die Potenziale zur zusätzlichen Kohlenstoffbindung durch Carbon Farming sollten ebenso gedämpft werden. Die Veränderungen des Kohlenstoffs in Landökosystemen werden im Sektor Landnutzung (Land Use, Land Use Change and Forestry, LULUCF) erfasst. Für die THG-Berichterstattung im LULUCF-Sektor werden Emissionen und Senkenleistungen von Wäldern und Forsten, Wiesen und Weiden (Grünland), Ackerland, Siedlungen sowie Feuchtgebieten und Mooren bilanziert. In Deutschland ist nicht nur die Senkenleistung der Wälder in den letzten Jahren rückläufig. Auch das Potenzial auf landwirtschaftlich genutzten Böden ist begrenzt: Nach Berechnungen des Thünen-Instituts könnten jährlich maximal drei bis sechs Millionen Tonnen zusätzliches CO2 in Böden und Biomasse gebunden werden (ohne den fragwürdigen Einsatz von Pflanzenkohle)[v]. Zum Vergleich: Allein die entwässerten Moorböden verursachen in Deutschland jährlich Emissionen von etwa 53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, immerhin 7,5 % der Gesamtemissionen. Darüber hinaus war der Landwirtschaftssektor 2021 für weitere 56 Millionen Tonnen Emissionen verantwortlich. Gemeinsam machen Landwirtschaft und LULUCF-Sektor einen Anteil von rund 14 % der Gesamtemissionen Deutschlands aus.

Kein Ersatz für konsequente Emissionsreduktion

Spätestens bei Gegenüberüberstellung der THG-Emissionen mit dem Senkenpotenzial sollte klar werden: Der Fokus muss auf der Vermeidung von Emissionen liegen. Die CO2-Speicherfunktion von Ökosystemen ist von großem Wert, aber Kohlenstoffentnahmen können kein Ersatz für schnelle und tiefgreifende Emissionsreduktion in allen Sektoren sein. Für Landwirtschaft und Landnutzung bedeutet dies vor allem: Reduzierung von Tierbeständen und Konsum tierischer Produkte, effizientere und geringere Düngung sowie konsequente Moor-Wiedervernässung. Dabei ist die Wahl der Instrumente entscheidend: Echte Klimaschutzbemühungen dürfen nicht durch Offsetting, zweifelhafte Versprechen oder Scheinlösungen unter dem Label Carbon Farming unterminiert werden.

Autor:

Björn Pasemann ist Referent für Naturschutz und Agrarpolitik beim Deutschen Naturschutzring (DNR).

Zur aktuellen Ausgabe:

Rundbrief 2023/1
Zu unserer Website
www.forumue.de