Wendepunkt Sevilla?

Rundbrief 2025/2

Vor der 4. Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung

Ende Juni 2025 werden die Regierungen der Mitglieder der Vereinten Nationen in Sevilla zur 4. Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (FfD4) zusammenkommen. In einem herausfordernden wirtschafts- und geopolitischen Umfeld werden hohe Erwartungen an die Konferenz gestellt. Einerseits sollen Mittel und Wege gefunden werden, zusätzliche Gelder zu mobilisieren, um die gewaltige Finanzierungslücken bei Klima und Entwicklung zumindest signifikant zu reduzieren. Andererseits soll FfD4 auch ein Meilenstein für die Reform der internationalen Institutionen sein, also dazu beitragen, die internationale Finanz- und Handelsarchitektur fit für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu machen.

Der Prozess zur Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development, FfD) ist ein Kind der Jahrtausendwende. Besonders die Entwicklungsländer bestanden darauf, dass das Thema prominent auf die Agenda der Vereinten Nationen kommt. Entsprechend haben drei Konferenzen (2002 in Monterrey, 2008 in Doha und 2015 in Addis Abeba) den „holistischen Ansatz“ des FfD-Prozesses etabliert. Es geht dezidiert nicht nur um die Mittel der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) im engeren Sinne, sondern um alle finanziellen und nicht-finanziellen Instrumente, die potenziell zur Verwirklichung von Entwicklungszielen herangezogen werden können. Entsprechend ist der FfD-Prozess in sieben Themengebiete strukturiert:

  1. Mobilisierung heimischer finanzieller Ressourcen
  2. Ausländische Direktinvestitionen und andere private Finanzflüsse
  3. Finanzielle und technische Zusammenarbeit
  4. Handel als Entwicklungstreiber
  5. Staatsverschuldung
  6. Systemische Fragen, u.a. Geldpolitik und internationales Finanzsystem
  7. Wissenschaft, Technologie, Innovation

Zu den Erfolgen des FfD-Prozesses zählt, dass gewisse Themen über viele Jahre hinweg auf der Agenda gehalten werden konnten, bis das politische Klima für eine Umsetzung reif war. Ein Beispiel hierfür sind die internationale Steuerpolitik und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung. Schon im Vorlauf zur Konferenz in Monterrey 2002 hatte eine Expertenkommission die Schaffung einer Internationalen Steuerorganisation vorgeschlagen. In Addis Abeba war das am härtesten verhandelte Thema, ob ein mit Regierungsvertreter:innen besetztes Gremium zu Steuern bei den Vereinten Nationen eingerichtet werden sollte. Ende 2022 ergriff die Afrikagruppe bei den Vereinten Nationen die Initiative und schlug mittels eines Resolutionsentwurfs der UN-Generalversammlung die Schaffung einer UN-Steuerkonvention vor. Im Februar 2024 traten die UN-Mitglieder zusammen, um die Verhandlungen zur Konvention einzuleiten.

Warum eine vierte Konferenz?

Eigentlich hätte bereits 2019 über eine Nachfolgekonferenz für FfD3 in Addis Abeba entschieden werden sollen. Das politische Zaudern der Akteure und die Corona-Pandemie verzögerte ihre Einberufung. Dass es Bedarf gab, globale Finanz- und Wirtschaftspolitik kontinuierlich weiterzuentwickeln, war allerdings unbestritten. Das zeigt sich schon allein daran, dass die G20 seit 2008 jährlich auf Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, und sogar mehrfach pro Jahr auf Ebene der Zentralbankchefs und Finanzminister:innen – allerdings unter weitgehender Ausklammerung der Mehrheit der Entwicklungsländer. Wenig überraschend entsprechen die getroffenen Vereinbarungen nicht (primär) deren Interessen und Bedürfnissen. Das soll sich bei FfD4 ändern.

Der enorme Rückstand bei der Umsetzung der Agenda 2030 verdeutlicht, dass nicht genügend finanzielle und nicht-finanzielle Instrumente zur Verfügung stehen, um international vereinbarte Entwicklungsziele auch tatsächlich zu erreichen. Die Härte, mit der die Coronakrise den Globalen Süden wirtschaftlich und finanziell getroffen hat, zeigt, dass auch weiterhin effektive internationale Finanzinstitutionen fehlen, die weniger resiliente Länder vor Schocks schützen und ihnen in Krisenzeiten Zugang zu Finanzmitteln zu erschwinglichen Bedingungen gewährleisten können. In der Folge ist eine ganze Reihe von Ländern in tiefe Staatsschuldenkrisen geraten, für deren nachhaltige und rasche Behebung auch im G20-Kontext noch kein effektives Instrumentarium bereitgestellt werden konnte.

Große Aufgaben für FfD4

Die Themen, die bei FfD4 im Zentrum der politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit stehen werden, ergeben sich aus den großen Herausforderungen, vor denen die globale Ökonomie momentan steht und die durch eine mehr als angespannte multilaterale Großwetterlage weiter befeuert werden:

  • Angetrieben durch das insgesamt noch immer inflationäre Umfeld, durch die jüngsten Verwerfungen in der Handelspolitik, die Kürzungsorgien in Sachen ODA und unzureichende Reformen bei den internationalen Finanzinstitutionen (allen voran Internationaler Währungsfonds und Weltbankgruppe) hat sich die Finanzierungssituation weltweit verschlechtert. Kredite werden teurer, Haushalte schmaler.
  • In vielen Ländern hat dieses Umfeld zu veritablen Schuldenkrisen geführt. Neben akuten Zahlungsschwierigkeiten führt dies dazu, dass der Schuldendienst, der sowohl inländische als auch ausländische Schuldzahlungen umfasst, im Globalen Süden stark gestiegen ist.
  • Gleichzeitig ist der internationale Finanzierungsbedarf wohl so groß wie nie. Die dreifache ökologische Krise – Klimaerhitzung, Artensterben und Verschmutzung – verlangt nach immer größeren (staatlichen) Interventionen und internationaler finanzieller Solidarität.
  • Globale und interregionale Handelsströme stoßen immer stärker an Grenzen. Geopolitische Erwägungen, neue „Logiken“ und der Zugang zu als kritisch eingeschätzten Rohstoffen dominieren internationale Zusammenhänge. Die Welthandelsorganisation steht unter enormem Reformdruck.

Die weiteren Artikel im Schwerpunktteil dieses Rundbriefs führen in die weiteren Details zu den verschiedenen Themengebieten des FfD-Prozesses ein. Gemeinsam haben sie aber die dreifache Herausforderung: a) Mehr und effizientere Mittel müssen bereitgestellt werden, sowohl in finanzieller als auch nicht-finanzieller Form (bspw. in Form von global abgestimmten Regulierungen); b) die Kapitalkosten für öffentliche wie private Investitionen, die in die nachhaltige Entwicklung primär der armen und ärmsten Länder fließen müssen, müssen drastisch gesenkt werden; c) die Entscheidungsstrukturen, die über all das wachen, müssen für die Belange v.a. der kleineren Länder des Globalen Südens geöffnet und deren Mitbestimmung gestärkt werden.

Wann wäre FfD4 erfolgreich?

Nach zehn langen Jahren der primär technischen Diskussionen auf Arbeitsebene wird der FfD-Prozess mit der Konferenz in Sevilla wieder auf das nötige politische Niveau gehoben. Sie gibt der Mehrheit der UN-Mitglieder (die entweder in den exklusiven Clubformaten wie G7 oder G20 gar nicht bzw. wie bei OECD oder den Bretton-Woods-Institutionen nicht gleichberechtigt agieren können) die Möglichkeit, über die zentralen Fragen der internationalen Finanz- und Wirtschaftsarchitektur mitzuentscheiden. Besonders für die am wenigsten entwickelten Länder, die den größten Aufholbedarf haben, und für kleine Inselstaaten, die als besonders vulnerabel für Schocks durch den Klimawandel gelten, ist das von großer Bedeutung. Auch für zivilgesellschaftliche Akteure bietet der FfD-Prozess größere Mitwirkungsmöglichkeiten. Er ist deutlich transparenter und partizipativer als vergleichbare Prozesse. Zivilgesellschaft – und damit auch die Vertreter:innen vulnerabler Bevölkerungsgruppen, Gewerkschafter:innen uvam. – sitzen bei FfD mit im Raum und nicht in telegenen, aber wenig einflussreichen Parallelveranstaltungen.

Selbstverständlich muss FfD4 Ergebnisse produzieren, damit die Konferenz und der ihr nachgeschaltete Umsetzungsprozess als Erfolg bezeichnet werden kann. Vorstellbar wären bspw. unter anderem folgende Ergebnisse:

  • Ein echtes, regelbasiertes Staatsinsolvenzregime, um aktuelle Schuldenkrisen schneller und mit weniger Kollateralschäden für Entwicklung zu lösen, und zukünftige Schuldenkrisen zu vermeiden
  • Die Schaffung frischer, nicht schuldengenerierender Liquidität für die Entwicklungsländer. Eine Reform des Sonderziehungsrechte-Regimes des IWF könnte Abhilfe schaffen.
  • Die Einleitung echter institutioneller Reformen der Bretton-Woods-Institutionen
  • Die Wiederaufnahme der Diskussionen über global abgestimmte Steuern, bspw. einer Finanztransaktionssteuer, von global abgestimmten CO2-sensiblen Vermögensteuern, Flugticketabgaben uvam.
  • Die Sicherstellung der Finanzierung der internationalen Institutionen – allen voran der Vereinten Nationen –, die mit der Umsetzung bzw. deren Überprüfung beauftragt werden

Gerade der letztgenannte Punkt verdeutlich die politische Komplexität, in der der Verhandlungsprozess vor Sevilla steckt. Die US-Regierung will am liebsten gar keine substanziellen Beschlüsse in Sevilla und bemüht sich selbst um die Streichung aller Verweise auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Diese radikale Haltung hat bei diversen anderen Regierungen dazu geführt, dass sie Reformbemühungen einstellen und sich auf eine Bewahrung des Status quo zurückziehen – obwohl dieser für die verschiedenen Krisensymptome mitverantwortlich ist. Während also für die Lösung der verschiedenen ökonomischen Probleme mehr multilaterale Abstimmung notwendig wäre, verhindern die Regierungen des Globalen Nordens echte Reformen in diese Richtung.

Dabei bietet diese Situation eine ideale Gelegenheit dafür, dass neue Allianzen jenseits der traditionellen Nord-Süd-Spaltung geschmiedet werden. Es ist nun an den Regierungen u.a. Deutschlands, diese Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und sich damit von hergebrachten Abhängigkeiten zu befreien. Dazu müssen sie allerdings die lange gepflegte Arroganz gegenüber den potenziellen Partnern überwinden und einsehen, dass sie nicht länger in der Lage sind, eigene Belange rücksichtlos durchzusetzen. Ob diese Erkenntnis bis Sevilla zur Reife gekommen ist, bleibt abzuwarten.

Wolfgang Obenland

Der Autor leitet den Arbeitsbereich Internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik im Forum Umwelt & Entwicklung.