Zur aktuellen Debatte um die Reform der internationalen Finanzarchitektur
Seit der COVID-19-Krise gibt es eine rege Diskussion um die Reform der internationalen Finanzarchitektur. Bisher wurden jedoch nur wenige oberflächliche Maßnahmen beschlossen. Der langjährige Unwille europäischer Staaten, systemische Reformen in Betracht zu ziehen, statt auf kleinere Korrekturmaßnahmen bei den Bretton-Woods-Institutionen zu setzen, fällt ihnen nun unter Donald Trump auf die Füße. Die 4. Internationale Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (FfD4) wäre die optimale Chance, diesen Kurs zu korrigieren, neue Partnerschaften zu pflegen und dafür auch Zugeständnisse zur machen.
In den vergangenen Jahren haben sich diverse Krisenphänomene weiter zugespitzt und dabei verdeutlicht, wie dysfunktional und ungerecht die bestehende internationale Finanzarchitektur ist. Insbesondere die COVID-19-Krise hat die unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten zwischen Nord und Süd und die strukturellen Ungleichheiten in der internationalen Finanzarchitektur deutlich gemacht. Während reiche Staaten zu sehr niedrigen Zinsen milliardenschwere Konjunkturprogramme aufsetzten, fehlte vielen Staaten im Globalen Süden ausreichend finanzieller Spielraum. Die auf die Pandemie folgende rapide Anhebung der Leitzinsen in den USA und in der Eurozone verschärfte die Situation weiter und führte in Ländern des Globalen Südens zu steigenden Kreditkosten, Kapitalflucht und Währungsabwertungen. Dass jahrzehntelang vor allem auf marktbasierte Finanzinstrumente gesetzt wurde, ist ein wesentlicher Faktor in der aktuellen Schuldenkrise. Viele Länder konnten primär über Anleihen an internationale Gelder gelangen, auf die sie jedoch sehr hohe Zinsen zahlen müssen.
Krisen befeuern Reformdiskussion
Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren (wieder) vermehrt über eine Reform der internationalen Finanzarchitektur diskutiert und gestritten. Es gab verschiedene Vorschläge für Reformansätze: von den verschiedenen Versionen der Bridgetown Initiative aus Barbados über Vorschläge des UN-Generalsekretärs António Guterres bis hin zu zivilgesellschaftlichen Positionen.[i]
Die Kritik an der bestehenden internationalen Finanzarchitektur lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:
- Das Volumen der zur Verfügung stehenden Finanzmittel ist nicht ausreichend.
- Die Vergabebedingungen für Finanzmittel sind zu hart (z. B. hohe Zinsen und andere Konditionalitäten).
- Die Mitbestimmungsrechte in zentralen internationalen Organisationen und anderen Gremien, die aktuell de facto über Regeln, Standards und Bedingungen entscheiden, sind extrem ungleich verteilt zwischen Nord und Süd.
Hinzu kommen strukturelle Asymmetrien wie die Dominanz des US-Dollars als internationaler Leitwährung.
„Die internationale Finanzarchitektur“ – was ist das eigentlich?
„Die internationale Finanzarchitektur bezeichnet die Lenkungsmechanismen, die die Stabilität und Funktionsfähigkeit des globalen Währungs- und Finanzsystems gewährleisten. Sie hat sich nach und nach, häufig ad hoc und in Abhängigkeit von den politischen Präferenzen großer Volkswirtschaften und als Reaktion auf wirtschaftliche und finanzielle Schocks und Krisen entwickelt.“[ii] Hinzuzuzählen sind u. a. öffentliche Finanzinstitutionen IWF und Weltbank, Normsetzungsorgane wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, informelle Clubs wie G7 oder G20, Gläubigerabsprachen zum Umgang mit zu hoher Staatsverschuldung wie der Pariser Club oder der G20 „Common Framework“, globale Ratingagenturen sowie die Vereinten Nationen.
Wichtig zu verstehen ist, dass es sich nicht um einen abgeschlossenen Begriff und erst recht nicht um ein kohärentes System handelt, sondern dass die Fragen, was genau hinzuzählt, was reformiert werden sollte und vor allem wo und wie welche Entscheidungen und Absprachen getroffen werden, politisch hart umkämpft sind.
Systemische Reformen oder Erhalt des Status quo
Dies zeigt sich auch in den Verhandlungen zu FfD4. Von vielen Staaten aus dem Globalen Süden sowie von zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde ein breites und systemisches Verständnis der Reform der internationalen Finanzarchitektur eingefordert, für die gerade der inklusive FfD-Prozess gute Voraussetzungen bietet. Vorschläge zielen darauf ab, endlich die massive Regelungslücke im Umgang mit Staatsinsolvenzen zu schließen, durch ein faires und inklusives Vorgehen in den UN, ebenso wie auf die Reform von Kreditratingagenturen, einer besseren Regulierung von Vermögensverwaltern, sowie die Demokratisierung und Stärkung der Mitbestimmungsrechte aller Länder in wesentlichen Entscheidungen. Die Liste ist lang.
Die USA und europäische Staaten zeigten sich hingegen bemüht, systemische Fragen primär auf IWF und Weltbank zu reduzieren. Das ist selbstverständlich kein Zufall, sondern ein Akt der Besitzstandswahrung. Sie verfügen in beiden Organisationen dank der ungleichen Stimmrechtsverteilung und anderer Mechanismen über enormen Einfluss und wirtschaftliche Gestaltungsmacht.
Aktuell fällt es Deutschland und anderen europäischen Staaten leicht, ihre häufig geringen Ambitionen auf die schwierige geopolitische Lage und die blockierende Rolle der USA unter Donald Trump zu schieben. In der Debatte um die Reform der internationalen Finanzarchitektur kann dies nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch vor Trump ihr Hauptfokus auf einer Stärkung von Weltbank und IWF lag. Bei beiden Organisationen wurde in den letzten Jahren viel politische Aufmerksamkeit auf Prozesse verwendet, die zwar den Anschein der Reform und Neuerung erwecken, die aber am Kern des Problems vorbeigehen und von der Notwendigkeit systemischer Reformen ablenken. Nun wird diesen Reformprozessen in der Ära Trump ihre offizielle Legitimation – die Stärkung der Klimafinanzierung – unter den Füßen weggezogen.
IWF und Weltbank
Der neue Klimafonds des IWF (Resilience and Sustainability Trust, RST) speist sich vor allem aus weitergeleiteten Sonderziehungsrechten (SZR, eine Art globaler Reservewährung) von reichen Staaten und ermöglicht es dem IWF erstmals in seiner Geschichte, langfristige Kredite mit einer Laufzeit von 20 Jahren zu vergeben. Im Jahr 2021 hatte der IWF SZR im Wert von 650 Mrd. US-Dollar ausgeschüttet. Die Verteilung geschah jedoch anhand der ungleichen Quoten im IWF. Deutschland erhielt so mehr SZR als alle Länder Afrikas zusammen. Ein Bruchteil der SZR reicher Länder (47 Mrd.) sind nun zurück an den RST des IWF geflossen. Anfängliche Hoffnungen darauf, dass durch systemische Reformen SZR als Instrument deutlich besser genutzt werden könnten für die Finanzierung von Klimaschutz und die Bewältigung anderer Krisen, etwa durch jährliche Ausschüttungen oder durch die Verteilung nach Bedarfen, wurden bisher ausgebremst.[iii]
Der groß angelegte Reformprozess der Weltbank, der 2022 gestartet ist, zielt darauf ab, diese stärker auf die Förderung globaler öffentlicher Güter, insbesondere den Klimaschutz, auszurichten und sie finanziell zu vergrößern, um mehr Kredite vergeben zu können. Für Letzteres setzt die Bank bisher vor allem auf die Einführung verschiedener sog. Finanzinnovationen, die zwar Neuerung signalisieren, nach oben aber klar begrenzt sind. Sie sind letztlich ein Akt der Mangelverwaltung und kaschieren nur notdürftig den politischen Unwillen reicher Staaten, signifikante Kapitalerhöhungen beizusteuern oder andere strukturelle Reformen auf den Weg zu bringen. Zwar wurde der Zielkatalog der Weltbank ergänzt, dem Reformprozess lag jedoch keine Analyse dazu zugrunde, wo die Weltbankgruppe selbst zu Problemen und Krisen beigetragen hat und welche tiefgreifenden Änderungen daher für eine strukturelle Neuausrichtung nötig gewesen wären.[iv]
Die Reformen bei IWF und Weltbank ordneten sich ein in einen problematischen Trend, der die Frage der Klimafinanzierung zunehmend weg von den UN und in Institutionen verlagert hat, in denen die Länder, die historisch am meisten zum Klimawandel beigetragen haben, über die größte Entscheidungsmacht verfügen. Dass insbesondere die USA in beiden Organisationen als größter Anteilseigner und Vetomacht sehr stark sind, fällt den Klimaschutzambitionen nun unter Trump auf die Füße. Die gesamte Frühjahrestagung 2025 von Weltbank und IWF war davon geprägt, ja nicht über die Klimakrise zu sprechen, um die Kulturkämpfer im Weißen Haus zu besänftigen.
Die anstehende FfD4-Konferenz in Sevilla bietet nun Deutschland und anderen europäischen Staaten die Möglichkeit für eine Kurskorrektur, für neue internationale Partnerschaften und für die Stärkung eines inklusiven und gleichberechtigten multilateralen Systems.
Dr. Verena Kröss
Die Autorin arbeitet als Referentin für internationale Finanzen und Wirtschaft bei WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V.
[i] Vgl. Vereinte Nationen (2023): Reform der internationalen Finanzarchitektur. Unsere gemeinsame Agenda. Kurzdossier 6. New York.
https://www.un.org/Depts/german/gs/OCA-PB6.pdf
sowie GPF Europe (2024): Building new foundations: Reimagining the International Financial Architecture. Views and proposals from civil society. Bonn.
https://www.globalpolicy.org/en/building-new-foundations-reimagining-international-financial-architecture
[ii] Vereinte Nationen (2023), S. 4.
[iii] WEED (2023): IWF-Sonderziehungsrechte und ihre Weiterleitung. Eine kritische Bestandsaufnahme. Berlin.
https://www.weed-online.org/de/publikationen-detailansicht/iwf-sonderziehungsrechte-und-ihre-weiterleitung-eine-kritische-bestandsaufnahme
[iv] WEED (2024): Der Reformprozess der Weltbank greift zu kurz. Berlin.
https://www.weed-online.org/de/publikationen-detailansicht/briefing-der-reformprozess-der-weltbank-greift-zu-kurz
Foto © WEED e.V.