Private Profite, öffentliche Krisen

Rundbrief 2025/2

Warum die internationale Schuldenarchitektur dringend reformiert werden muss – und wie eine Lösung aussehen kann

In den Jahren 2025 bis 2027 müssen 47 Länder im Globalen Süden durchschnittlich mehr als 15 % ihrer jährlichen Staatseinnahmen für den Schuldendienst an ausländische Gläubiger aufbringen. In 28 weiteren Staaten liegt die jährliche Schuldenlast mit zwischen 10 und 15 % ebenfalls auf hohem Niveau.[i] Angesichts eines derart knappen fiskalischen Handlungsspielraums ist es schwierig bis unmöglich, die SDGs zu erreichen. Man kann angesichts der Lage von einer ausgewachsenen Schuldenkrise sprechen. Die Antwort der internationalen Gemeinschaft auf diese Krise bleibt allerdings hinter dem Erforderlichen zurück. Vor allem fehlt bis heute ein verbindliches, transparentes und institutionell eingebettetes Verfahren zum Umgang mit Staatsschuldenkrisen.

Die aktuelle Schuldenkrise ist das Ergebnis einer marktorientierten Ausrichtung in der Entwicklungsfinanzierung über die letzten Jahrzehnte sowie der strukturellen Benachteiligung der Länder des Globalen Südens im internationalen Finanzsystem. Nach der Finanzkrise 2008 suchten Investoren aus dem Globalen Norden nach neuen Anlagemöglichkeiten und fanden sie im Globalen Süden, wo hohe Zinsen lockten. Dieser Kapitalfluss wurde gezielt von internationalen Institutionen wie der Weltbank gefördert, die durch die Hebelung privater Mittel ihre Aktivitäten auszweiten versuchten. Auch China trat als Kreditgeber auf den Plan und finanzierte bspw. im Rahmen der Neuen Seidenstraßen-Initiative großflächig Infrastrukturprojekte.[ii] Das Ergebnis war eine massive Kreditexpansion, die zum Aufbau hoher Auslandsverschuldung führte.

Ab dem Einbruch der Rohstoffpreise 2015 und verschärft durch die Pandemie, den Krieg in der Ukraine und geopolitische Spannungen versiegte dieser Kapitalstrom. Ausschlaggebend war auch die Zinswende, die ab 2022 von den USA ausging. Zahlten Länder des Globalen Südens 2020 im Schnitt 4 % Zinsen auf die Ausgabe neuer Staatsanleihen, waren es 2024 bereits 6 %, die Länder Subsahara-Afrikas sogar fast 8 %. Vierzehn Länder gaben 2023 und 2024 US-Dollar denominierte Staatsanleihen zu Zinssätzen von mehr als 8 % aus. Eine Kreditaufnahme zu solch hohen Zinssätzen verschleppt die Lösung von Schuldenkrisen, anstatt sie durch umfassende Schuldenstreichungen nachhaltig zu überwinden.

Wenn Umschuldung nicht hilft: das strukturelle Versagen der Schuldenarchitektur

Obwohl Überschuldung kein neues Problem ist, gibt es nach wie vor keinen verbindlichen, transparenten und fairen Prozess zur Lösung von Schuldenkrisen. Stattdessen dominieren Ad-hoc-Verfahren, bei denen die Gläubiger die Regeln bestimmen. Wenn Schuldnerstaaten in die Situation kommen, über Anpassungen der Zahlungsverpflichtungen und Schuldenstreichungen zu verhandeln, müssen sie sich den Regeln des Pariser Clubs beziehungsweise des Common Frameworks der G20-Staaten unterwerfen, also Zusammenschlüssen von Gläubigerstaaten, darunter auch Deutschland. Die Gläubigerstaaten verpflichten Schuldnerstaaten in aller Regel, ein Kreditprogramm beim IWF aufzunehmen und die darin vorgesehenen wirtschaftspolitischen Auflagen umzusetzen. Diese Auflagen zielen gewöhnlich darauf ab, die Rückzahlung an die Gläubiger im größtmöglichen Umfang zu gewährleisten und dafür etwa die Wirtschaft des Landes weiter auf Exporte auszurichten und öffentliche Ausgaben im Inland umfassend zu kürzen. Der IWF spielt zudem eine wichtige Rolle, da er – bei Niedrigeinkommensländern gemeinsam mit der Weltbank – den Umfang der notwendigen Schuldenerleichterungen (wie Streichungen, Zinssenkungen oder Laufzeitverlängerungen) berechnet, um eine „tragfähige“ Verschuldungssituation zu erreichen.

Diese Praxis weist mehrere Mängel auf: Zum einen sind IWF und Weltbank selbst Gläubigerinstitutionen, beanspruchen aber eine privilegierte Stellung in der internationalen Schuldenarchitektur und beteiligen sich daher selbst nicht an Schuldenstreichungen. Zudem werden sie von Gläubigerstaaten dominiert: Die G7 und EU-Staaten halten zusammen über 50 % der Stimmrechte bei IWF und Weltbank. Zum anderen wird keine Menschenrechtsfolgeabschätzung vorgenommen, um die Auswirkung der Schuldenrückzahlungen und der geforderten wirtschaftlichen Anpassungen auf die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte der Bevölkerung des Schuldnerlandes zu berücksichtigen. Und es gibt keine rechtliche Verpflichtung, dass Gläubiger den berechneten Schuldenerlass tatsächlich gewähren.

Das führt zu absurden Situationen: Weil menschenrechtliche und ökologische Kriterien fehlen, berechnen IWF und Weltbank den Bedarf für Schuldenerlasse oft von vornherein zu niedrig. Und selbst geringe Erleichterungen werden von Gläubigern – insbesondere privaten Gelgebern – oft nicht gewährt. So etwa bei der Umschuldung Surinams 2023. Der IWF hatte ursprünglich berechnet, dass private Gläubiger 40 % der Nominalforderungen streichen müssten. Letztlich wurden jedoch auf dem Papier nur 25 % der Nominalforderungen gestrichen. Dieser Betrag wurde jedoch nahezu vollständig durch die Strafzinsen aufgefressen, die aufgrund des deutlich verlängerten Verhandlungsprozesses – bedingt durch das unkooperative Verhalten der privaten Akteure – höher ausfielen als ursprünglich vom IWF angenommen.

Soziale Repression statt struktureller Reformen

Die mangelnde Aussicht auf echte Erleichterung sorgt dafür, dass viele Länder Umschuldungen vermeiden. Stattdessen werden Haushaltskürzungen, Privatisierungen und Steuererhöhungen durchgesetzt, meist zu Lasten der ärmsten Bevölkerungsschichten. So vermeidet etwa die kenianische Regierung trotz einer sehr hohen Auslandsschuldenlast bisher Umschuldungsverhandlungen und hat stattdessen Subventionen für lebenswichtige Produkte abgeschafft und regressive Steuern auf Güter des alltäglichen Bedarfs eingeführt.[iii] Im Sommer 2024 kam es zu landesweiten Protesten gegen die in diesem Kontext von der kenianischen Regierung vorgestellten Finance Bill. Diese wurden von den kenianischen Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt; zahlreiche Menschen kamen ums Leben.

Viele Schuldnerländer bleiben mangels unzureichender Erlasse zudem in nicht nachhaltigen Wirtschaftsmodellen gefangen. So etwa in Surinam, wo nun die Erschließung neu entdeckter Offshore-Öl- und Gasfelder beabsichtigt wird. Die privaten Gläubiger konnten durchsetzen, dass in der Umschuldungsvereinbarung eine Klausel eingeführt wurde, durch die sie von der zukünftigen Ölförderung profitieren und für die minimalen Erleichterungen, die bei der Umschuldung gewährt wurden, mehr als entschädigt werden.

Reformblockade und Auswege

Eine andere Schuldenpolitik ist möglich – und lange überfällig. Seit Jahrzehnten fordern Länder des Globalen Südens, Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen ein gerechtes, verbindliches Entschuldungsverfahren unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Zentrale Merkmale eines solchen Verfahrens sollten sein:

  • Die Feststellung des Schuldenerlassbedarfs durch eine unabhängige Institution im Rahmen eines transparenten Verfahrens;
  • eine menschenrechtliche Folgeabschätzung als Bewertungsgrundlage für die Bestimmung der Schuldentragfähigkeit und des Erlassbedarfs;
  • eine rechtliche Verpflichtung aller Gläubiger zur Beteiligung an der Umschuldung – analog zu nationalen Insolvenzverfahren.

Die 4. Internationale Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (FfD4) im Juni 2025 hat diese Forderungen zurück auf die internationale Agenda gebracht. Länder des Globalen Südens, darunter die Afrikanische Staatengruppe und die Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS), sprechen sich klar für solche strukturelle Reformen aus. Doch wie schon in der Vergangenheit stellen sich Länder des Globalen Nordens, darunter Deutschland und die EU, bisher gegen diese Vorstöße. Stattdessen beharren sie darauf, schuldenpolitische Entscheidungen in den von ihnen kontrollierten Institutionen zu treffen.

Auch auf nationaler Ebene lassen sich Hebel nutzen, um einer gerechteren internationalen Schuldenarchitektur näher zu kommen. So wurde in der vergangenen Legislaturperiode unter anderem durch eine vom Entwicklungsministerium beauftragte Studie bestätigt, dass ein deutsches Safe-Harbour-Gesetz wirksam und rechtlich umsetzbar wäre. Ein solches Gesetz macht es privaten Gläubigern unmöglich, internationale Restrukturierungsverhandlungen auf den Rechtsweg in Deutschland zu unterlaufen und könnte so dazu beitragen, die gleichwertige Beteiligung von Investmentbanken, -fonds und anderen privaten Akteuren an Schuldenstreichungen sicherzustellen.[iv]

Das Anliegen der Kampagne Erlassjahr2025, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit getragen wird, ist es, den politischen Druck zu erhöhen, damit diese längst identifizierten Reformoptionen auf nationaler und internationaler Ebene nicht länger aufgeschoben, sondern endlich auf den Weg gebracht werden: Die Schuldenkrise duldet keinen Aufschub – die Zeit zu handeln ist jetzt!

Malina Stutz

Die Autorin ist politische Referentin beim deutschen Entschuldungsbündnis erlassjahr.de.