Die Weltnaturschutzunion (IUCN) debattiert über den Einsatz von Gentechnik in natürlichen Lebensräumen
Sollen gentechnisch veränderte Organismen künftig nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in natürlichen Ökosystemen eingesetzt werden? Die Ausrottung von Krankheitsüberträgern, die Beseitigung invasiver Arten, Überlebenshilfen für bedrohte Spezies, selbst die Wiederbelebung bereits ausgestorbener Lebensformen sollen nun mittels Gentechnik erreicht werden. Die möglichen Auswirkungen auf unsere ohnehin angeschlagenen Ökosysteme sind nicht absehbar. Doch nicht nur deshalb sollte die Weltnaturschutzunion solchen Anwendungen klare Grenzen setzen.
Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) debattiert derzeit über die „synthetische Biologie“ im Zusammenhang mit dem Naturschutz. Mit dem Begriff „synthetische Biologie“ wird eine neue Generation gentechnischer Verfahren bezeichnet, deren Anwendung weit über landwirtschaftliche Kulturpflanzen hinausgeht. Dabei sollen einzelne Organismen und ganze Ökosysteme bewusst verändert oder neu konstruiert werden. Ein Beispiel sind sich selbst verbreitende Impfstoffe, um die Tollwut bei Wildtieren zu kontrollieren, ein anderes sind sogenannte Gene Drives zur Ausrottung Malaria übertragender Stechmücken.
Gentechnik soll aber auch Naturschutzzielen dienen, etwa um die genetische Vielfalt des bedrohten Schwarzfußiltis künstlich zu erweitern. Korallen sollen robuster und widerstandsfähiger gegen Hitze gemacht werden. Arten, die bereits ausgestorben sind – wie das Wollhaarmammut oder der Schattenwolf – sollen durch gentechnische Eingriffe an verwandten Arten wieder „zurückgeholt“ werden. Mittels Gene Drives sollen invasive Nager auf Inseln beseitigt werden.
Zur Abschätzung und Bewertung der langfristigen, ökosystemaren Folgen derart massiver und in aller Regel nicht rückholbarer Eingriffe in die Evolution fehlen bisher allerdings wissenschaftliche Grundlagen und Konzepte. Die Heilsversprechen dieses neuen Naturdesigns sind dafür umso größer.
Gefährdete Natur als Versuchslabor
Aus der klassischen Gentechnik stammt die einfache Erkenntnis, dass gentechnisch veränderte Pflanzen, die Insektizide produzieren, die Biodiversität gefährden können, zumal ihr Gift nicht nur die Zielorganismen tötet. Was aber sind die Folgen, wenn Gene-Drive-Organismen ihre ganze Art ausrotten oder mit neuen genetischen Eigenschaften versehen? Das ist sehr viel schwerer zu beurteilen. Die Natur wird zum Versuchslabor.
Wie verhalten sich die gentechnisch veränderten Tiere zu anderen wildlebenden Arten, etwa hinsichtlich Paarungsverhalten, Populationsdynamik und Nahrungsnetzen? Was passiert, wenn bestimmte Arten künstlich ausgerottet werden – wer besetzt die ökologische Leerstelle? Und wer trägt die Verantwortung, wenn ein Staat oder ein Unternehmen gentechnisch veränderte Organismen in ein Ökosystem einbringt und dadurch im eigenen Land oder über Grenzen hinweg Schäden entstehen?
Das größte Problem: Ist eine gentechnische Veränderung einmal in der freien Natur, lässt sie sich meist nicht mehr zurückholen. Es gibt keinen Aus-Schalter für selbstverbreitende Impfstoffe oder neue, möglicherweise invasive Arten. Gentechnische Eingriffe sind dauerhaft. Die Risiken tragen nicht die Entwickler, sondern die Natur selbst und künftige Generationen. In einer Situation, in der unsere Ökosysteme ohnehin schon weitgehend geschädigt sind, ist dies nicht zu verantworten.
Ethik und Gerechtigkeit – wer entscheidet über die Natur von morgen?
Die Anwendung von Gentechnik in natürlichen Ökosystemen wirft tiefgreifende ethische Fragen auf. Fragen der intergenerationellen Gerechtigkeit stehen ebenso im Raum wie die Frage, wer überhaupt das Recht haben soll, so weitreichend in die Natur einzugreifen. Wer bestimmt, welche Arten verändert oder sogar ausgerottet werden dürfen? Und wer entscheidet, dass für ein konkretes ökologisches Problem statt einer ganzheitlichen Lösung ein technischer Eingriff ausreicht? Hier geht es nicht nur um wissenschaftliche Bewertungen, sondern auch um weltanschauliche und moralische Grundhaltungen. Sie sollten gesellschaftlich breit und demokratisch verhandelt werden.
Viele der vorgeschlagenen technischen Eingriffe stehen im Widerspruch zu den Perspektiven indigener Gemeinschaften und traditioneller Wissenssysteme, die häufig auf einer engen Beziehung zwischen Mensch und Ökosystemen beruhen. Gentechnische Anwendungen wie Gene Drives gehören zu einem Weltbild, das die Natur kontrollieren und manipulieren will, und mit anderen Weltbildern nicht vereinbar ist.
Der Einsatz von Gentechnik zum Zwecke des Naturschutzes wäre keine Ergänzung bestehender Methoden, sondern ein Paradigmenwechsel: Die Natur würde nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern so verändert und „verbessert“, wie Menschen dies für richtig halten. Anstatt die Wechselwirkungen innerhalb von Ökosystemen zu respektieren und zu stärken, würden künstlich erzeugte Organismen in die Natur eingebracht. Ob das mit den Werten und Prinzipien des Artenschutzes vereinbar ist, ist mehr als fraglich.
Diskussion in der Weltnaturschutzunion IUCN
Auf dem Weltnaturschutzkongress der IUCN im Oktober 2025 soll über zwei Resolutionen abgestimmt werden. Die eine fordert ein Moratorium für die Freisetzung von synthetischer Biologie in natürliche Ökosysteme. Sie schließt zunächst die Tür für Gentechnik an wildlebenden Organismen in der Natur und zwingt zu einer breiten gesellschaftlichen Verständigung über den Einsatz solch unkalkulierbarer und unumkehrbarer Technologien. Die andere Resolution sieht keine grundsätzlichen Probleme im Einsatz von Gentechnik in der Natur und setzt lediglich auf die Einzelfallprüfung jeder möglichen Anwendung. Sie sieht Gentechnik als ein Werkzeug, dessen Risiken und versprochenen Vorteile im Einzelfall vor Ort gegeneinander abgewogen werden sollen. Die Naturschutzgemeinschaft könnte so instrumentalisiert werden, um den Weg für den Einsatz von Hochrisikotechnologien vor allem in der Landwirtschaft und Bioökonomie zu ebnen.
Welche Resolution eine Mehrheit findet, wird weitreichende Auswirkungen haben. Denn die Weltnaturschutzunion vereint Umweltschutzorganisationen, indigene Gemeinschaften, Unternehmen und Regierungen, um die Ausrichtung der weltweiten Naturschutzbemühungen zu bestimmen. Ihre Beschlüsse haben Signalwirkung für internationale Übereinkommen wie die Konvention für biologische Vielfalt der Vereinten Nationen.
Für eine zukunftsfähige Naturschutzpolitik
Das Vorsorgeprinzip sollte weiterhin als Leitprinzip im Naturschutz gelten. Zahlreiche Naturschutzorganisationen fordern seit Langem einen ganzheitlichen Ansatz im Naturschutz, der auch die Ursachen des Artenschwunds und nicht nur seine Symptome bekämpft. Nichts dergleichen bringt die Gentechnik. Sie steht für teilweise spektakuläre, technologische Scheinlösungen, die Gelder und Aufmerksamkeit von nachhaltigen Lösungen ablenken und im schlimmsten Falle ein Business as usual rechtfertigen.
Die IUCN-Mitglieder haben bis zum 21. Juni die Möglichkeit, sich online an der internen Diskussion über den Umgang des Naturschutzes mit synthetischer Biologie zu beteiligen. Sollte es – wie absehbar – keine klare Meinung dazu geben, wird beim Weltnaturschutzkongress in Abu Dhabi im Herbst über die beiden Resolutionen abgestimmt.
Naturschutzorganisationen sollten sich jetzt hierzu positionieren und ihren nationalen und internationalen Dachorganisationen, staatlichen und wissenschaftlichen Partner:innen klare Signale senden. Save Our Seeds unterstützt Sie gerne bei der Bildungsarbeit für Mitglieder und politischen Initiativen zum Schutz der Natur vor gentechnischem Design.
Naomi Kosmehl und Franziska Achterberg
Die Autorinnen arbeiten bei Save Our Seeds zur Gentechnik mit dem Ziel, Natur und Menschen vor deren negativen Auswirkungen zu schützen.
Weiterführende Literatur
Bundesamt für Naturschutz (2022): Gentechnik, Naturschutz und biologische Vielfalt: Grenzen der Gestaltung. Bonn.
https://www.bfn.de/publikationen/positionspapier/gentechnik-naturschutz-und-biologische-vielfalt
Gen-ethisches Netzwerk (2020): Herausforderungen für die Zukunft – Gentechnik im Naturschutz? Berlin.
https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/publikationen/gid/253
Aktuelle Informationen zum Fortgang der IUCN-Debatte unter www.saveourseeds.org und www.stop-genedrives.eu.