Kriege, Wirtschaft und Migration dominieren gegenwärtig die Schlagzeilen und Deutschland sucht seine Rolle international zwischen Verteidigungsfähigkeit und Friedensmacht, zwischen wertegebundener Außenpolitik und nationalen Eigeninteressen, die oft innenpolitisch gefärbt sind. Gleichzeitig ist zivilgesellschaftlichen Organisationen klar: Die Entwicklungspolitik darf kein Anhängsel der Außenpolitik werden, denn sie ist entscheidend für eine nachhaltige und gerechte Zukunft Deutschlands in einer vernetzten Welt.
Am 5. Mai 2025 unterzeichneten CDU/CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“. Umwelt- und entwicklungspolitische Organisationen verbinden damit die Erwartung, dass die neue Regierung unter Führung von Kanzler Friedrich Merz auch künftig politische Verantwortung für globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung in der Einen Welt übernimmt. Die Entscheidung, Entwicklungspolitik als eigenständiges Politikfeld mit Ministerium und Fachausschuss zu erhalten, ist ein wichtiges und richtiges Signal für die politische Verantwortungsübernahme in den Themenfeldern Entwicklung, Frieden, Konfliktprävention und für den Einsatz zur Linderung von Hunger und Armut. Denn die internationale Kooperation und weltweite Solidarität mit Partner:innen im Globalen Süden ist angesichts der globalen Krisen und der mehr oder minder offenen Entsolidarisierung anderer Staaten für Deutschland wichtiger denn je. Von zentraler Bedeutung bleibt dabei die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und des Pariser Klimaabkommens wie auch der Überwindung von Armut und Not.
Zehn Jahre nach dem Pariser Klima-Abkommen und der Verabschiedung der SDGs besteht die Gefahr, dass die internationale Gemeinschaft diese Wegmarken nicht nur verfehlt, sondern zudem als moralischen und politischen Kompass aus den Augen verliert. Die Bilanz des bisher Erreichten ist verheerend und zeigt, dass die Weltgemeinschaft ihren eigenen Zielen in keiner Weise gerecht wird. Politisch ebenso brisant ist, dass diese internationalen Ziele als politische Richtschnur durch die aktuellen geopolitischen Entwicklungen verdrängt zu werden drohen. Trotz einzelner Erfolge – etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder der stärkeren Nachhaltigkeitsorientierung von Finanzflüssen – ist Deutschland auf einem Pfad, der die eigenen Klimaziele deutlich verpasst. Dadurch und durch die massiven Kürzungen bei den internationalen Mitteln für Entwicklung der letzten Jahre verliert Deutschland weltweit an Glaubwürdigkeit und Einfluss. Im Ringen um neue Partner:innen auf dem internationalen Parkett ist und bleiben Vertrauen und Verlässlichkeit allerdings die zentrale Währung.
Kürzungswelle in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit
Sorgen bereiten uns vor allem die dramatischen Einschnitte bei der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA). Damit gerät eine der wichtigsten Säulen der internationalen Entwicklungsfinanzierung – nicht zuletzt durch den faktischen Wegfall der durch USAid geleisteten Hilfen – massiv unter Druck. Die Kahlschlagpolitik der Trump-Administration hat schwerwiegende Folgen im Globalen Süden: Sie reißt Lücken in der Versorgung von Menschen und gefährdet Kooperationen, die über Jahrzehnte gewachsen waren. Aber auch andere traditionell starke Geber ziehen sich, getrieben durch rechtskonservative Tendenzen, aus der globalen Solidaritätsarbeit zurück. Und das in dem Jahr, in dem mit der 4. Internationalen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4) sowie der Initiative für ein neues Erlassjahr 2025 im Rahmen des Heiligen Jahres der Katholischen Kirche der politische Erwartungsdruck gerade für den Bundeskanzler wie für die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs groß ist, sichtbare Beiträge für eine gerechte Reform der globalen Finanzarchitektur auf den Tisch zu legen.
Weltweit sind die öffentlichen Entwicklungsleistungen der OECD-Mitglieder, so die vorläufigen Zahlen der OECD für das Jahr 2024, um 7,1 % auf einen Stand von 212,1 Mrd. US-Dollar zurückgegangen. Nur noch Dänemark, Luxemburg, Norwegen und Schweden erfüllen das 0,7-%-Ziel, während die Zahlungen in 22 OECD-DAC Mitgliedstaaten sanken. Besonders deutlich ist die weltweite Unterstützung für die Humanitäre Hilfe zurückgegangen (minus 9,6 %). Und in Deutschland sank die ODA-Quote von 0,82 % des Bruttonationaleinkommens im Jahr 2023 auf 0,67 % im Jahr 2024. Dies entspricht einer Reduktion um 16 %. Die OECD sagt voraus, dass für das Jahr 2025 mit einem weiteren Schrumpfen der globalen Entwicklungszusammenarbeit zwischen 9 und 17 % zu rechnen ist. Schätzungen des Entwicklungsministeriums zufolge könnte der deutsche ODA-Anteil im Jahr 2025 mit voraussichtlich 0,54 % den niedrigsten Stand seit zehn Jahren erreichen. Ein Armutszeugnis! Die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen machen da Sorgen: Mit dem globalen Finanzierungsvorbehalt für praktisch alle Regierungsausgaben stehen auch in Deutschland harte Verteilungskämpfe um die Mittel des Bundeshaushalts bevor. Die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung und Humanitärer Hilfe ist globale Strukturpolitik im wohlverstandenen eigenen Interesse!
Starke Partnerschaften wichtiger denn je
Denn die internationale Zusammenarbeit ist ein wichtiger Baustein für eine Zukunftspolitik und braucht somit eine starke Stimme in der künftigen Regierung. Ein Rückzug aus internationaler Verantwortung würde Deutschland schwächen und ist keine zukunftsfähige Option. Denn Partner:innen weltweit verfolgen sehr genau, wie die Bundesregierung sich in dieser Abwärtsspirale des globalen Vertrauensverlusts positioniert.
Entsprechend ist die neue Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan aufgefordert, keine weiteren Kürzungen im Bundeshaushalt für die Entwicklungszusammenarbeit hinzunehmen und damit die existenzielle Not von Millionen von Menschen zu vergrößern. Schon jetzt müssen entwicklungspolitische Organisationen wie Misereor Projektmittel zur Anpassung an den Klimawandel und Ernährungssicherung in Ostafrika und Bangladesch, zu Gesundheitsprojekten für Mütter und Kinder im Sahel oder zur Versorgung von Flüchtlingen in Myanmar oder im Kongo reduzieren. Weitere Mittelkürzungen würden bedeuten, dass der Kampf gegen die Klimakrise, gegen Hunger, Armut und Krankheiten massiv geschwächt würde. Auch mit Blick auf Partner:innen, die in ihren Ländern gegen Menschenrechtsverletzungen kämpfen und dafür oft bedroht und gefährdet sind, bedeuten weitere Einschnitte, dass langfristig gewachsenen Partnerschaften in Gefahr geraten und damit den erstarkenden autokratischen Tendenzen weltweit künftig noch schwieriger begegnet werden kann.
Gemischt fällt die Bewertung der Vorhaben der neuen Bundesregierung im Bereich der internationalen Kooperation aus. Positive Ansatzpunkte existieren mit dem klaren Bekenntnis zu Humanitärer Hilfe und Krisenprävention, dem Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen und dem Fokus auf die gefährdete Zivilgesellschaft und der Absicht die Lücken zu füllen, die andere hinterlassen. Auch setzen sich entwicklungspolitische Organisationen schon seit Langem für ein kohärenteres Regierungshandeln in der internationalen Zusammenarbeit – neudeutsch die Reduzierung der negativen Spillover-Effekte ein, wie es jetzt auch von der Bundesregierung beabsichtigt ist. Das alles kann positiv wirken, aber angesichts der Reduktion der für den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Humanitären Hilfe zur Verfügung stehenden Finanzmittel und der gigantischen Herausforderungen bei der Bekämpfung von Hunger, Krankheit und Klimakrise reicht es nicht aus.
Mit großer Sorge zu sehen ist allerdings, wie die Entwicklungszusammenarbeit zur Migrationsabwehr verbogen werden soll. Dies hat bereits in der Vergangenheit nicht funktioniert und geht an den lokalen Bedarfen vorbei – Hungern und Armut haben nichts damit zu tun, wie lokale Regierungen mit der EU zu Migration kooperieren. Und auch die Betonung eigener Wirtschafts- und Rohstoffinteressen sorgt nicht für faire Partnerschaften weltweit, wenn nicht Menschenrechte und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen weltweit gestärkt werden. Der Ansatz zu Energie- und Rohstoffpartnerschaften betont ein staatszentriertes Entwicklungsverständnis. Die Stärke Deutschlands in diesem Bereich war aber immer auch der Fokus und die Stärkung der Zivilgesellschaft vor Ort. Aufstrebende Gesellschaften müssen genau so in den Blick genommen werden – als Gesellschaften. Gerade in Regionen mit fragiler Staatlichkeit.
Deutschland ist ein wirtschaftlich wie gesellschaftlich reiches und wohlhabendes Land. Es ist im politischen Interesse Deutschlands, einen wirksamen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel, wachsenden sozialen Ungleichheiten, Bedrohungen durch Pandemien oder die Folgen von Kriegen und anderen gewaltsamen Konflikte zu leisten. Gerade deshalb ist es jetzt so wichtig, die Entwicklungspolitik als zentrales Politikfeld zu stärken und aufzuwerten, anstatt sie außenpolitisch zu vereinnahmen. Daran wird sich die neue Bundesregierung messen lassen müssen.
Dr. Klaus Schilder und Jonas Wipfler
Klaus Schilder ist Referent für Entwicklungsfinanzierung, Jonas Wipfler Leiter der Repräsentanz Berlin beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR.