Wie Tech-Konzerne aus den USA und China den Globalen Süden ausbeuten
Wie zu Zeiten des historischen Kolonialismus dominieren Tech-Konzerne aus den USA und inzwischen auch aus China Wirtschaft und Gesellschaft im Globalen Süden. Sie beuten Daten und Rohstoffe aus und sehen zu, wie autoritäre Regime ihre Bevölkerung mit einem Arsenal an digitalen Repressionsinstrumenten unterdrücken. Hauptsache: Ihr Machtradius erweitert sich und ihre Profite steigen.
„Move fast and break things“: Unter diesem Motto begann Mark Zuckerberg 2005 mit Facebook einen Markt nach dem anderen zu erobern. Für kulturelle Besonderheiten oder die politische Situation vor Ort interessierte er sich nicht. Autoritär oder diktatorisch geführte Regierungen wie Ägypten unter General Abdel Fattah al-Sisi oder das von einem Einparteiensystem regierte Vietnam konnten deswegen in den vergangenen 15 Jahren ungestört digital aufrüsten. Sie installierten Netzsperren, erließen Zensurgesetze, kauften Überwachungstechnologien und übten sich in digitaler Propaganda. Ihr Ziel: die Kontrolle und Einschüchterung der Bevölkerung und insbesondere von Nichtregierungsorganisationen und Aktivist:innen. Für viele Gesellschaften des Globalen Südens erwies sich der Facebook-Gründer damit nicht als Freiheitsbringer, sondern bestenfalls als unabsichtlicher Helfer ihrer Unterdrücker.
Datenraub als Geschäftsmodell
Die Freiheit, für die Zuckerberg kämpft, ist eine andere. Es ist die Freiheit des Unternehmers. Besser gesagt: das Bestreben des Monopolisten, seine Macht auszubauen und seinen Profit zu mehren. Sein Instrument: mehr und mehr Nutzer:innen für seine digitalen Dienste zu gewinnen, um so an ihre persönlichen Daten zu gelangen, den „Rohstoff“ des 21. Jahrhunderts, der seit der Erfindung des Internets ins Unendliche zu wachsen scheint. Die Ausbeutung dieses „Daten-Tsunami“ bildet das Rückgrat von Zuckerbergs Geschäftsmodell. Dass knapp vier Milliarden Menschen heutzutage regelmäßig eine Meta-Anwendung nutzen, zeigt, wie erfolgreich seine Expansionsstrategie war.
Meta eroberte den digitalen Raum nicht allein. Apple, Amazon, Google und Microsoft trieben die Digitalisierung – mit einer Unsumme von Risikokapital im Rücken – ebenso voran. Die ökonomischen Machtunterschiede zwischen den neuen Kolonialgesellschaften und ihren Kolonien hat viele Gesichter: Während 2023 über 144 Mrd. US-Dollar Venture-Kapital in nordamerikanische Unternehmen floss, erhielten die 55 afrikanischen Staaten weniger als 4 Mrd. US-Dollar.
Neokolonialismus 2.0
Das Ergebnis kann sich sehen lassen, zumindest aus Sicht der Konzerne. 2025 ist die globale Datenökonomie fest in der Hand von Tech-Milliardären. Zwei Drittel des lukrativen Cloud-Computing Marktes entfallen auf lediglich drei US-Konzerne: Amazon (31 %), Microsoft (24 %) und Google (11 %). Den Markt für mobile Betriebssysteme von Smartphones teilen sich Apple und Google fast komplett auf: 99 % entfallen auf Android und iOS.
Ihre Gewinne sind schwindelerregend und für viele Regierungen im Globalen Süden angsteinflößend. Mit 100 Mrd. US-Dollar lag Google 2024 an der Spitze, gefolgt von Apple mit fast 97 Mrd. US-Dollar. Ihre Gewinne liegen höher als die Gesamteinnahmen vieler Staaten, einschließlich EU-Mitgliedern. Die Einnahmen Kenias, einem der wirtschaftsstärksten Länder Ostafrikas, belaufen sich auf lediglich 19 Mrd. US-Dollar.
Die Länder des Globalen Südens sind den Tech-Imperien aber nicht nur ökonomisch unterlegen, sie sind von ihnen auch strukturell abhängig. Weder ihre Regierungen noch ihre heimischen Unternehmen kommen ohne die Office-Anwendungen, Breitbandverbindungen und Serverkapazitäten der Tech-Konzerne aus. Der Analyse des ehemaligen ghanaischen Präsidenten und Panafrikanisten Kwame Nkrumah folgend, besteht das Wesen des Neokolonialismus darin, dass die Staaten Afrikas nach der Dekolonialisierung zwar theoretisch unabhängig, de facto aber fremdgesteuert sind. Formal verfügen sie über alle Merkmale eines souveränen Staates (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt), in Wirklichkeit dominiert jedoch das internationale Wirtschaftssystem (heute die Digitalökonomie) diese Länder in einem Ausmaß, dass nicht nur ihr Wirtschaft, sondern auch ihre politische Ordnung von außen gelenkt wird.
Chinas digitale Seidenstraße
Auch wenn die globale Dominanz von Big Tech made in USA nach wie vor erdrückend ist, langsam, aber sicher bekommt das Silicon Valley Konkurrenz aus Fernost. An vielen Orten des Globalen Südens sind digitale chinesische Pendants auf dem Vormarsch. Auf dem afrikanischen Kontinent hat sich China bereits zur zweiten digitalen Kolonialmacht aufgeschwungen. 70 % der 4G-Netze Afrikas gehören Huawei und seinen Tochtergesellschaften. 38 afrikanische Regierungen arbeiten inzwischen eng mit chinesischen Tech-Konzernen zusammen, beauftragen Huawei und ZTE mit Infrastrukturprojekten und finanzieren sie mit von chinesischen Banken vergebenen Krediten.
Die Anfänge der chinesischen Omnipräsenz reichen bis in die 1990er Jahre zurück und verstärkten sich durch Präsident Xis Ankündigung von 2015, eine digitale Seidenstraße (Digital Silk Road, DSR) aufzubauen. Neben dem Aufbau gigantischer Online-Plattformen zielt die DSR darauf ab, Vorherrschaft in den Datenwertschöpfungsketten Afrikas zu erlangen. Seit 2017 ein Gesetz im Ausland tätige chinesische Unternehmen verpflichtet, dem Nachrichtendienst alle Daten zu übermitteln, beteiligen sich nicht nur Chinas Tech-Konzerne, sondern auch die Regierung am Datenraub. Datenausbeutung ist also kein Vorrecht des Silicon Valley mehr. „Die Afrikaner:innen haben damit die Wahl zwischen Pest und Cholera“, so Africa Kiiza von der Nichtregierungsorganisation SEATINI aus Uganda.
Geopolitischer Wettkampf auf dem Rücken Afrikas
Für die Entwicklung einer eigenständigen heimischen Digitalwirtschaft bleibt den Ländern des Globalen Südens damit wenig Spielraum und wenig Zeit. Die beiden digitalen Großmächte liefern sich inzwischen ein regelrechtes Wettrennen, die 2,5 Mrd. Menschen zuerst ans Internet anzuschließen, die bislang noch offline sind, um sie somit in ihre (digitale) Hemisphäre zu ziehen. Das geoökonomisch motivierte Rennen wird zu Land, zu Wasser und im Weltall ausgetragen. Sprich: durch den Ausbau von Rechenzentren, die Verlegung von Unterseekabeln und die Beförderung von Satelliten ins All.
Es besteht die Gefahr einer möglichen Aufspaltung der Welt in zwei digitale Blöcke. Mit anderen Worten: eines digitalen Kalten Kriegs. Zahlreiche Forscher:innen und Aktivist:innen Afrikas spannen darüber hinaus noch einen anderen historischen Bogen: Mit Blick auf die Berliner Konferenz von 1885, bei der die europäischen Großmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten, haben sie das Gefühl eines Déjà-vus. Sie bezeichnen den forcierten Ausbau digitaler Infrastruktur als eine „neue Front des digitalen Kolonialismus“.
Tech-Konzerne gehen auf Rohstoffsuche
Eine weitere Front des digitalen Kolonialismus: die Rohstoffausbeutung. Entgegen dem Versprechen von Meta, Google und Co. kommt die digitale Transformation nicht auf (ökologisch) nachhaltigen Sohlen daher. Die Digitalisierung hinterlässt vielmehr einen dreckigen ökologischen Fußabdruck. 1,4 Mrd. Smartphones und Tablets gehen jährlich über den Ladentisch bzw. erreichen über den Online-Versand die Verbraucher:innen. Moderne Smartphones bestehen zu einem Drittel aus Metallen, die überwiegend aus Ländern des Globalen Südens wie der Demokratischen Republik Kongo (DRK) stammen. Obwohl die DRK wie kaum ein anderes Land auf der Welt reich an Bodenschätzen und der größte Lieferant von (dem für wiederaufladbare Akkus wichtigen) Kobalt ist, hat dieser natürliche Reichtum dem Land und seinen Menschen keinen Wohlstand gebracht. Nach Angaben der Weltbank leben in der DRK 62 Mio. Menschen und damit fast drei Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze – also von weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag. Die Tech-Konzerne stören sich daran nicht. Aufgrund ihres immensen Bedarfs an Metallen gehen sie inzwischen selbst auf Rohstoffsuche. In Kooperation mit dem kalifornischen Start-up KoBold Metals suchen unter anderem Bill Gates und Jeff Bezos weltweit nach den für High-Tech-Geräte so wichtigen Rohstoffen, beispielsweise nach neuen Lithiumvorkommen in Namibia und dem Kongo.
Widerstand formiert sich
Einige Länder(gruppen) nehmen die digitale Ausbeutung ihrer Gesellschaften nicht mehr widerspruchslos hin. Um eigene Daten-Pools aufzubauen, fordert Nigeria von den Tech-Konzernen, die Daten ihrer Bürger:innen auch auf nigerianischen Servern zu speichern. Die 2020 von der Afrikanischen Union präsentierte Digitalstrategie zielt auf die Weiterverarbeitung heimischer Rohstoffe zu digitalen Produkten, einschließlich Microchips.
Für den umfassenden Aufbau einer eigenständigen Digitalwirtschaft bedarf es zudem der Kooperation mit weiteren Global Playern wie Indien und Europa. Die in den vergangenen Jahren in Brüssel verabschiedeten Gesetze zur Eindämmung der Macht der Tech-Konzerne in Europa könnten Anlass zur Hoffnung geben, die EU werde den vielbeschworenen dritten Weg bei der Digitalisierung beschreiten. Solange sich ihre progressive Politik jedoch nur auf den eigenen Binnenmarkt richtet und sie in ihrer Außenwirtschaftspolitik bspw. mit dem Global Gateway einen neokolonialen Kurs fährt, ist die EU kein Partner des Globalen Südens. Mit Blick auf den Rechtsruck in Europa und die zunehmend geopolitisch ausgerichtete Digitalpolitik, bräuchte es eine enorme Kraftanstrengung von Seiten der Zivilgesellschaft, um eine Kehrtwende im europäischen Denken und Handeln herbeizuführen.
Sven Hilbig
Der Verfasser ist Digitalexperte bei Brot für die Welt und Co-Autor des Buches „Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“, erschienen im Februar 2025 bei C.H. Beck.