Wie Proteste gegen das Weltwirtschaftsforum Ungerechtigkeiten der Weltwirtschaftsordnung aufzeigen
Mitte Januar fand das diesjährige Weltwirtschaftsforum in Davos statt – wie immer begleitet von Protesten gegen die ungerechte Weltwirtschaftsordnung und die steigende Konzentration von Macht und Reichtum. In der Konfrontation zeigten sich gegenwärtige Trends des Forums und Herausforderungen für Bemühungen um eine gerechtere Weltwirtschaft.
Laut schallt es „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ aus dem Demonstrationszug, der auf eine der Hauptstraßen in Davos einbiegt. Über zwei Tage protestieren etwa 350 Menschen gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF). Es ist nicht der einzige zivilgesellschaftliche Protest, der das diesjährige WEF begleitete. Auf Bannern machten Protestierende deutlich, wofür das Forum steht: „World Exploitation Forum“ (Weltforum der Ausbeutung) oder „World Neocolonial Forum“ (neokoloniales Weltforum). Der Kontrast zur eigenen Darstellung des WEF, das jedes Jahr in der höchsten Stadt Europas im Schweizer Davos stattfindet, könnte größer nicht sein. Seit 1971 treffen sich hier Unternehmen und Menschen mit enormem ökonomischem und politischem Einfluss, um „den Zustand der Welt zu verbessern“, so der Slogan des Forums. Leuchtreklame und bunte Plakate weisen auf der Promenade von Davos darauf hin, dass Veranstaltungen des Forums sich für „Globale Gerechtigkeit“ einsetzen und „Lösungen für die Klimakrise“ finden sollen.
Für zivilgesellschaftliche Kritiker:innen bleibt jedoch klar: Das Forum verfehlt diese Ziele nicht nur, es unterwandert sie. Entgegen der Eigendarstellung stärkt das WEF politische und wirtschaftliche Strukturen, die Ziele einer gerechteren und ökologisch nachhaltigen Weltwirtschaft verhindern.
Ökologische und soziale Reinwaschung
So haben Klima- und Umweltschutz als Themen seit ein paar Jahren durchaus Eingang ins Programm des WEF gefunden. Tatsächlich fanden auch dieses Jahr einige Veranstaltungen zu Klima- und Biodiversitätsschutz statt. In diesem grünen Licht sonnen sich die anwesenden Unternehmen und politischen Akteure und können sich als Löser der gegenwärtigen Umweltkrisen darstellen.
Dabei sind unter den Mitgliedern und Teilnehmenden des Forums unzählige Unternehmen, die die Klima- und Biodiversitätskrisen über Jahrzehnte mitverursacht haben und bis heute von Umweltzerstörung profitieren oder diese mindestens in Kauf nehmen. Vor Beginn des Forums protestierten einige Personen beispielsweise gegen die Zerstörung von Böden durch den Düngemittelriesen Yara und kritisierten RWE für das Festhalten an fossilen Energien. Greenpeace wies mit einer Protestaktion auf einem Flughafen zudem auf die immensen Emissionen hin, die Superreiche verantworten. Reisen nach Davos sind hier ein besonderes Symbol. Allein am Flughafen Zürich gab es um das WEF etwa 1.000 Extraflüge von Privatjets, Helikoptern oder Regierungsflugzeugen [1].
Zentraler Widerspruch bleibt, dass das Streben nach Profit und Wachstumszwänge im gegenwärtigen Wirtschaftssystem nicht mit einem Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen vereinbar sind.
Ähnlich verhält es sich mit sozialen Fragen. Zwar wurde dieses Jahr zum Beispiel globale Zusammenarbeit oder Gesundheit von Arbeiter:innen thematisiert. Auch wird einigen wenigen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Oxfam oder taxmenow genehmigt, innerhalb des Forums Kritik zu äußern. Aber von diesem sozialen Anstrich profitieren Unternehmen.
Dabei sind viele von ihnen bis heute für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich oder ignorieren diese – beispielsweise Nestlé, Deutsche Bank oder Siemens. Profite werden weiter durch Ausbeutung von Arbeiter:innen und Marginalisierung von Menschen erwirtschaftet. Soziale Ungleichheit bleibt ein zentraler Faktor in der gegenwärtigen Weltwirtschaft. Dies verdeutlichte auch der diesjährige Bericht von Oxfam eindrücklich, der stets zum Forum veröffentlicht wird [2]. Unter dem Titel „Takers not Makers“ (Nehmer statt Macher) stellt Oxfam die kolonialen Wurzeln des aktuellen Wirtschaftssystems, das zu extremer Konzentration von Reichtum und Macht führt, in den Fokus. Während Arbeiter:innen weltweit Probleme haben über die Runden zu kommen, ist das Vermögen von Milliardären 2024 noch schneller gewachsen als in den Jahren zuvor. Ob bei Oxfam, Greenpeace, taxmenow oder den Protestierenden in Davos – „Tax the rich“ (Die Reichen besteuern) ist als geforderte Gegenmaßnahme allgegenwärtig.
Die Antwort des WEF selbst auf soziale Krisen bleibt hingegen auch dieses Jahr vor allem Wirtschaftswachstum. Die Idee des Trickle-Down-Effekts, über den Wachstum am Ende allen zugutekommen soll, ist beim WEF trotz aller Beweise seines Scheiterns nicht außer Mode gekommen. Auch die auf dem Forum geforderte Verschärfung von Deregulierung und Austeritätspolitik wird soziale Ungleichheit nur vertiefen.
Boden für Machtasymmetrien und autoritäre Dynamiken
Das Demonstrationsbündnis „Strike WEF“ kritisierte Greenwashing als zentrale Strategie des WEFs. Ein solches Reinwaschen und die rein diskursive Beschäftigung mit sozialen Fragen bleibt nicht nur Heuchelei, sondern stützt Machtasymmetrien und Herrschaft. Sie tragen – soweit nicht aufgedeckt – dazu bei, dass das Bestehen und der Einfluss von Unternehmen und politischen Akteuren als legitim wahrgenommen werden und schaffen damit Akzeptanz für ihr Handeln.
Auch anderswo zeigt sich in Davos die enorme Machtasymmetrie, die unsere Weltwirtschaft prägt. Beim WEF sind vor allem Menschen, die bereits wirtschaftliche oder politische Macht besitzen. Menschen, die von vielen der Krisen, die hier behandelt werden, stark selbst betroffen sind, sind in der Regel nicht an den Diskussionen beteiligt.
Die Repräsentation vieler Kontexte der Welt bleibt äußerst begrenzt. Der autoritär-neoliberale Präsident Argentiniens, Javier Milei, und die autokratische Präsidentin Perus, Dina Boluarte, hatten prominente Auftritte. Und auch dieses Jahr konnte sich die faschistische indische BJP-Regierung auf der Davoser Hauptstraße als innovativer Investitionspartner präsentieren, und mit dem indischen Konzern Adani ist einer der Treiber der Umweltzerstörung in Indien strategischer Partner des WEF.
Fast widersprüchlich zur grünen und sozialen Fassade des WEF, war in diesem Jahr eine verstärkte Aneignung autoritärer Politikansätze zu beobachten. Neben Milei und Boluarte gab auch Trump Impulse, in denen deutlich wurde, dass Autoritarismus und Machtkonzentration in der Wirtschaft zusammen funktionieren. Dieses Phänomen kritisiert auch Lobby Control mit ihrer Analyse „Macht und Einfluss der Techmilliardäre“, die zum Weltwirtschaftsforum veröffentlicht wurde [3]. Die Studie zeigt auf, wie gerade Techkonzerne ihre Monopolstellung verstärkt politisch nutzen und direkte Verschränkungen wie zwischen Trump und Elon Musk keine Ausnahme sind.
Dass Autoritarismus und undemokratische Ökonomie Hand in Hand gehen, ist in Davos schon jetzt nicht zu übersehen. Davos ist während des Forums einer der am stärksten kontrollierten Orte der Welt mit einem massiven Polizei- und Militäraufgebot und Checkpoints in und um die Stadt. Auch das Demonstrationsrecht ist seit Jahren stark eingeschränkt. So wurde unter anderem die Anzahl der Personen, die an der Schlusskundgebung der Protestwanderung teilnehmen durften, begrenzt.
Das Weltwirtschaftsforum bleibt damit nicht nur Symbol, sondern auch Motor einer im Kern undemokratischen Weltwirtschaft, in der sehr wenige über einen sehr großen Teil der Entscheidungsmacht verfügen.
Demokratisierung der Wirtschaft und globale Solidarität als Antwort
Das WEF bietet eine Plattform für Appelle, großen Unternehmen Führungsrollen und freie Hand zu überlassen. Es fördert den gegenwärtigen Trend, auf private Akteure und den Markt als Heilsbringer zu setzen und öffentliche Gestaltungsmacht einzuschränken.
Während Regulierung, Vergesellschaftung und Demokratisierung wirtschaftlichen Handelns derzeit kaum irgendwo auf der Welt en vogue sind, ist die Forderung nach Demokratisierung der Weltwirtschaftsordnung umso wichtiger, um auf öffentliche Verantwortungsübernahme für Krisenmanagement und sozial-ökologische Gestaltung zu pochen.
Ebenso gehen Forderungen nach globaler Gerechtigkeit und Demokratisierung auch gegen den gefährlichen globalen Aufwärtstrend rechter Bewegungen. Gerade das WEF wird als Anlass genommen, globale Vernetzung und Austausch – antisemitisch und verschwörungstheoretisch aufgeladen – zu verteufeln und einen militarisierten Wirtschaftsnationalismus zu bekräftigen. Fanatische, rechte, antisemitische Theorien reduzieren Davos wiederholt auf einen Ort, an dem sich eine kleine, geheime, globale Elite trifft und die Weltwirtschaft kontrolliert. Umso wichtiger ist es, globale Solidarität als unverrückbaren Ausgangspunkt für die Kritik an Weltwirtschaft und WEF zu zentrieren und sich für mehr und nicht weniger Demokratie einzusetzen.
Für eine gerechte Weltwirtschaft braucht es eine stärkere globale Organisierung, die eine grundlegende Demokratisierung bestehender internationaler Organisationen vorantreibt und neue demokratische Räume schafft. Damit ein gerechtes globales Miteinander entstehen kann, bedarf es wirksamer Maßnahmen zum Abbau von Machtasymmetrien. Politische und wirtschaftliche Strukturen, die Ungleichheit produzieren, müssen beseitigt werden – auch das WEF. Nur so können gemeinsam Perspektiven entwickelt und umgesetzt werden, die ein stärker gemeinwohlorientiertes und ökologisch verträgliches Wirtschaften global ermöglichen.
- [1] Joanna Bailey (2025): Private jet flights soar by 170 per cent as politicans and business leaders descend on Davos 2025. Euronews. https://www.euronews.com/green/2025/01/21/private-jet-flights-soar-by-170-per-cent-as-politicians-and-business-leaders-descend-on-da
- [2] Oxfam (2025): Milliardärsmacht beschränken, Demokratie schützen. https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/oxfams-bericht-sozialer-ungleichheit-milliardaersmacht-beschraenken
- [3] LobbyControl, Max Bank, Felix Duffy (2025): Weltwirtschaftsforum, Macht und Einfluss der Techmilliardäre. https://www.lobbycontrol.de/konzernmacht/weltwirtschaftsforum-lobbyforum-fuer-die-maechtigsten-konzerne-der-welt-119397/
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