Wir bringen die Schattenseite der Modeindustrie ans Licht

Rundbrief 2025/1

30 Jahre erfolgreiche Netzwerkarbeit in der Bekleidungsindustrie

Seit über 30 Jahren setzt sich die Clean Clothes Campaign (CCC) für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der globalen Bekleidungsindustrie ein. In einem komplexen und oft undurchsichtigen System internationaler Lieferketten kämpfen wir für faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und die Achtung grundlegender Arbeits- und Menschenrechte. Durch Aufklärung der Öffentlichkeit, Druck auf Unternehmen und politischen Aktivismus arbeiten wir daran, strukturelle Verbesserungen in der Branche zu erreichen.

Die CCC wurde 1989 in den Niederlanden als Schone Kleren Campagne gegründet und ist heute ein globales Netzwerk mit über 200 Organisationen in mehr als 45 Ländern. Das deutsche Netzwerk ist seit 1996 als Kampagne für Saubere Kleidung aktiv und seit 2021 ein gemeinnütziger, eingetragener Verein. Dieses dezentrale, nicht hierarchische Netzwerk verbindet Gewerkschaften, Basisorganisationen, feministische Gruppen und Menschenrechtsaktivist:innen aus Produktionsländern mit Verbraucher:innen, Aktivist:innen und politischen Entscheidungsträgern in Europa und darüber hinaus.

Globale Solidarität für Veränderungen vor Ort

Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen die Arbeiter:innen: In enger Zusammenarbeit mit Betroffenen und den sie vor Ort vertretenden Organisationen übersetzen wir lokale Probleme in globale Kampagnen. Durch gezielte Fallarbeit leisten wir konkrete Unterstützung bei Verstößen gegen Arbeitsrechte, während unsere langfristigen Kampagnen sich auf zentrale Themen wie existenzsichernde Löhne, Gewerkschaftsfreiheit und den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt konzentrieren.

Ein herausragendes Beispiel für die Wirkung dieser Arbeit ist das Erkämpfen von Entschädigungszahlungen für die Opfer der Fabrikkatastrophen von Rana Plaza in Bangladesch (2013) und des Fabrikbrands bei Ali Enterprises in Pakistan (2012).

Auch das Entstehen und die Erneuerung des Bangladesh Accord zählt zu unseren Erfolgsgeschichten. Der Accord ist ein Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch, der die Arbeitssicherheit in der Textilindustrie verbessern soll. Der Accord ist das einzige rechtlich bindende Abkommen für Gesundheit und Sicherheit in der Textilindustrie. Seit 2013 in Bangladesch und seit 2023 in Pakistan in Kraft, hat er durch Inspektionen, Modernisierungen und Schulungen Tausende Unfälle verhindert. Doch noch immer verweigern einige Unternehmen die Unterzeichnung – obwohl sie vorgeben, sozial verantwortlich zu agieren.

Ein aktueller Erfolg ist der von Baykan Denim-Arbeiter:innen: Nach dem Erdbeben in der Südost-Türkei und Syrien im Februar 2023 verloren Millionen ihr Zuhause – darunter viele Textilarbeiter:innen des Denim-Herstellers Baykan Denim in Malatya. Weil sie nur weiter entfernt von der Fabrik eine Unterkunft fanden, entließ der Arbeitgeber sie ohne Abfindung, obwohl er rechtlich dazu verpflichtet gewesen wäre.

Viele der Marken, die bei Baykan Denim produzierten, ignorierten zunächst die Rechtsverletzung – darunter Inditex (Zara, Bershka), S. Oliver sowie britische und skandinavische Unternehmen. Nur Inditex übernahm Verantwortung: Auf Druck der Gewerkschaft BiRTEK-SEN und der Clean Clothes Campaign bewirkte die Gruppe im Dezember 2024 die vollständige Entschädigung von 28 Beschäftigten in Höhe von 32.000 US-Dollar.

Doch 270 weitere Arbeiter:innen warten noch auf Gerechtigkeit. „Das Beispiel zeigt, dass eine verantwortungsvolle Marke Arbeitsrechte schützen und Rechtsverstöße beheben kann“, sagt Bego Demir von der Clean Clothes Campaign Türkei.

Freiwilligkeit versus Verbindlichkeit

Vor 20 Jahren war Unternehmensverantwortung ein weitgehend unverbindliches Konzept. Unternehmen wiesen jede Verantwortung für die Arbeits- und Produktionsbedingungen in ihren Lieferketten strikt zurück und argumentierten, dass Zulieferer eigenständige Firmen seien, auf die sie keinen Einfluss hätten. Doch dieses Denken hat sich seither grundlegend verändert. Heute verfügen viele Unternehmen über eigene Abteilungen für Corporate Social Responsibility (CSR) und haben Verhaltenskodizes (Codes of Conduct) eingeführt, um soziale und ökologische Standards in ihren Lieferketten zu gewährleisten. Diese Entwicklung ist auch ein Erfolg unserer Arbeit: Aufklärungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen haben sowohl Konsument:innen als auch politische Entscheidungsträger dazu gebracht, Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Allerdings bleibt eine zentrale Herausforderung bestehen: Freiwillige Selbstverpflichtungen reichen nicht aus. Ohne verbindliche, rechtlich durchsetzbare Regelungen bleiben viele dieser Maßnahmen wirkungslos. Ohne rechtliche Verpflichtungen bleibt CSR oft reine Imagepflege. Deshalb setzen sich zivilgesellschaftliche Organisationen für Corporate Accountability (CA) ein – ein Konzept, das auf verbindliche, gesetzlich verankerte Regeln für Unternehmensverhalten abzielt. Nur so lassen sich menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ökologische Nachhaltigkeit langfristig gewährleisten.

Ein entscheidender Meilenstein war die Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) im Mai 2024. Es verpflichtet Unternehmen dazu, Menschenrechte und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten einzuhalten. Doch kaum beschlossen, gerät die Richtlinie bereits unter Beschuss.

Angriff auf das EU-Lieferkettengesetz: ein Freifahrtschein für Unternehmen?

Nur wenige Monate nach der Verabschiedung der CSDDD gibt die Europäische Kommission dem Druck von Wirtschaftsverbänden nach. Hinter verschlossenen Türen trifft sie sich mit der Wirtschaftslobby – diese Treffen nennt sie „Reality Checks“. Die geplante Abschwächung der Richtlinie bedeutet, dass Unternehmen kaum Konsequenzen für Verstöße befürchten müssen. Haftungsregeln sollen gestrichen, Prüfungen nur noch alle fünf Jahre durchgeführt und die gesamte Umsetzung hinausgezögert werden. Das ist ein Rückschritt und gefährdet jahrelange Fortschritte im Kampf für faire Lieferketten.

Nach der Katastrophe von Rana Plaza im April 2013, bei der über 1.000 Arbeiter:innen starben, versprach die EU: „Nie wieder.“ Doch nun droht die Geschichte sich zu wiederholen. Es hat eine halbe Million Unterschriften gebraucht, um das Lieferkettengesetz überhaupt durchzusetzen. Nun müssen wir erneut kämpfen – denn der Widerstand gegen die Aufweichung wächst. Auch das EU-Parlament hat noch nicht zugestimmt.

Deutschland, Frankreich, UK: Gesetze müssen standhalten

Während das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) seit 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden gilt, muss es nun an die EU-Richtlinie angepasst werden. Frankreich hat bereits seit 2017 ein Sorgfaltspflichtengesetz, und auch das britische Modern Slavery Act geht in diese Richtung. Doch all diese Regelungen müssen gestärkt statt abgeschwächt werden.

Es reicht nicht, auf Freiwilligkeit der Unternehmen zu vertrauen. Internationale Abkommen wie die ILO-Konventionen zu Arbeitsrechten und die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen müssen konsequenter durchgesetzt werden. Die Politik ist gefragt – und wir werden nicht zulassen, dass ein historischer Fortschritt wieder zunichtegemacht wird.

Es bleibt viel zu tun

Trotz wichtiger Erfolge bleibt viel zu tun: Hungerlöhne, unsichere Fabriken, Repression von Gewerkschaftsarbeit und exzessive Arbeitszeiten sind noch immer Realität für Millionen Arbeiter:innen weltweit. So wie die COVID-19-Pandemie die Situation verschärfte, droht auch der Klimawandel die bestehenden ungerechten Lebens- und Arbeitsbedingungen stärker zu beeinflussen.

Die CCC setzt sich daher weiterhin für transparente Lieferketten, gewerkschaftliche Rechte und existenzsichernde Löhne ein. Wir agieren auch künftig als kritische Stimme und solidarische Unterstützerin der Arbeiter:innen weltweit, um eine faire und nachhaltige Bekleidungsindustrie zu erreichen. Dabei bleiben wir dem Grundsatz treu: Veränderung beginnt mit kollektivem Handeln.

Unsere Arbeit hat bewiesen, dass Druck von zivilgesellschaftlichen Organisationen reale Verbesserungen bewirken kann. Doch die Herausforderungen bleiben groß. Ein starkes Lieferkettengesetz, verbesserte internationale Rahmenbedingungen und eine konsequente Durchsetzung bestehender Rechte sind entscheidend, um die Arbeitsbedingungen in der Modeindustrie nachhaltig zu verbessern.

Helen Gimber ist seit 2011 im Netzwerk aktiv und seit Dezember 2024 Koordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung in Deutschland.

Bildnachweis:

Pay Your Workers Kampagne © Kampagne für Saubere Kleidung