Die absurden Kosten der ewigen Chemikalien
Neue Recherchen haben gezeigt, wie Industrieverbände gegen einen strengen Regulierungsvorschlag der sogenannten Ewigkeitschemikalien auf EU-Ebene vorgehen. In der Lobbyarbeit wurde auch auf Falschaussagen zurückgegriffen. Das sollte niemanden verwundern. Dennoch bleibt erschreckend, wie leicht die Argumente der Industrie verfangen. Im Fahrwasser der Recherche wurden noch weitere Aspekte veröffentlicht: die gesellschaftlichen Kosten für die Beseitigung der PFAS-Verschmutzung. Hier werden Billionen-Beträge fällig.
Im Februar 2023 haben verschiedene Behörden aus fünf europäischen Ländern einen gemeinsamen Vorschlag zur Regulierung der Stoffgruppe der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen bei der europäischen Chemikalienagentur eingereicht. Unter der europäischen Chemikalienverordnung REACH soll die Produktion und Nutzung von über 10.000 Stoffen der Stoffgruppe verboten werden, inkl. Übergangsregelungen und einigen Ausnahmen.
PFAS die Ewigkeitschemikalien
Die per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen, kurz PFAS, sind eine Gruppe von organischen Verbindungen, deren Wasserstoffatome in Kohlenwasserstoffketten ganz (per) oder teilweise (poly) durch Fluoratome ersetzt wurden. Sie sind fett-, schmutz- und wasserabweisend. Außerdem ist die Kohlenstoff-Fluor-Bindung eine der stärksten chemischen Verbindungen überhaupt. Dies macht die PFAS unglaublich stabil, druck- und temperaturresistent und eben auch persistent. Unter natürlichen Bedingungen lassen sich PFAS nicht abbauen, weshalb sie auch Ewigkeitschemikalien genannt werden. Nicht abbaubar heißt im Umkehrschluss, sie reichern sich stetig an.
Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Eigenschaften werden PFAS vielfach angewendet: von Sport- und Outdoorkleidung, über Feuerlöschschäume, Beschichtungen, bis hin zu Medizinprodukten und Spezialanwendungen in der Industrie. Auch als Kältemittel und Pestizide werden sie verwendet. Seit über 70 Jahren produziert, genutzt und massiv in die Umwelt entlassen, stellen PFAS mittlerweile ein massives Verschmutzungsproblem dar. Kein Ort auf der Welt und kein Blutstropfen ist mehr frei von den Ewigkeitschemikalien. Flugplätze, Industrieanlagen und Militärgelände sind besondere Verschmutzungshotspots.
Immer deutlicher wird, dass PFAS auch jenseits ihrer Persistenz negative Auswirkungen haben, vor allem für die Gesundheit. Die WHO stuft einige PFAS als krebserregend oder möglicherweise krebserregend ein. Viele PFAS haben negative Auswirkungen auf das Immunsystem oder gelten als hormonschädigend.
Der von verschiedenen Behörden aus fünf europäischen Ländern eingereichte Beschränkungsvorschlag ist dringend notwendig. Doch noch bevor der Vorschlag politisch verhandelt wird, wird er schon massiv angegriffen und diskreditiert. Industrieverbände haben mobil gemacht. Allein in der Konsultationsphase bei der europäischen Chemikalienagentur sind über 5.600 Eingaben eingereicht worden. So viele wie noch nie. Eine länderübergreifende Recherche von Journalist:innen hat nun offengelegt, wie die Industrie eine Lobby- und Desinformationskampagne initiierte, um den Beschränkungsvorschlag zu verwässern. Unter dem Titel Forever Lobbying Project (Das ewige Lobbyieren)[1] wurden die Ergebnisse veröffentlicht.
Wer ist noch überrascht?
Dass die Industrie für ihre Interessen lobbyiert, ist nichts Neues. Dass sie dabei auch auf falsche Argumente zurückgreift, sollte auch nicht überraschen. In der kürzlich veröffentlichten Recherche haben die Journalist:innen Tausende Dokumente durchgeschaut und eine gezielte Desinformationskampagne aufgedeckt. Demnach sind von sieben der genutzten Hauptargumente der Industrie gegen die PFAS-Beschränkung vier falsch, zwei sind irreführend und eines nicht ganz wahr.
Die Industrie zielte u.a. darauf ab, eine ganze Gruppe der PFAS aus der Beschränkung auszunehmen, die sogenannten Fluorpolymere oder auch Fluorkunststoffe. Deren prominentestes Beispiel ist Teflon. Als Hauptargument galt, dass die Fluorpolymere zu groß seien, um in Zellen einzudringen und dort Schaden anzurichten. Außerdem habe die OECD die Fluorpolymere als nachrangig eingeordnet. Diese Einordnung von der OECD fand jedoch niemals statt. Die OECD konnte sich auf diese Einordnung nicht einigen. Mittlerweile nutzen Politiker:innen verschiedenster Couleur dennoch dieses Argument.
Schwindelerregende Summen
Weniger beachtet, aber eigentlich viel beachtlicher, waren die Rechercheergebnisse des Forever Lobbying Project hinsichtlich der geschätzten gesellschaftlichen Kosten durch die PFAS-Verschmutzung. Allein 4,8 Milliarden Euro würden das Reinigen und die Beseitigung von bestehenden PFAS-Verschmutzungen in der EU jährlich kosten – und das über die nächsten 20 Jahre. Insgesamt also knapp 100 Milliarden Euro. Und das auch nur, wenn die PFAS-Emissionen zeitgleich eingestellt werden, der aktuelle Beschränkungsvorschlag auf EU-Ebene also umgesetzt wird.
Ohne Beschränkung und wenn die Reinigung auch die neuere Generation kurzkettiger PFAS umfassen würde, wären die Kosten deutlich höher. Kurzkettige PFAS sind kleiner als die langkettigen Moleküle, die sich meist an den derzeitigen Verschmutzungshotspots bspw. in Fabriknähe finden. Sie sind aber ebenso persistent und wesentlicher mobiler. Durch ihre geringe Größe dringen sie einfacher in Zellen von Organismen ein und reichern sich in Lebewesen an. Um die kurzkettigen PFAS auch nur teilweise aus der Umwelt zu entfernen und zu zerstören, würden in den kommenden 20 Jahren zwei Billionen Euro nötig sein. 100 Milliarden jährlich.
Den Vorstoß wagen
Wir müssen jetzt handeln, bevor PFAS in der Umwelt kritische Schwellenwerte überschreiten. Bisher haben lediglich kleinere Anpassungen stattgefunden, wodurch Emissionen von PFAS vor allem bei der Herstellung verringert, allerdings nicht vollständig unterbunden werden konnten. Nur eine Handvoll der schädlichsten PFAS sind bisher verboten. Und so bleibt das Problem bestehen – noch viele weitere Jahrhunderte.
Es braucht eine umfassende Beschränkung. Die europäische Chemikalienverordnung räumt hier die Möglichkeiten ein. Eine solche Beschränkung in der EU ist auch ein wichtiges Zeichen und ein Ansatz für das internationale Chemikalienmanagement. Unter der Stockholm-Konvention sind derzeit bspw. zwei PFAS verboten. 10.000 PFAS einzeln hier aufzunehmen dauert Jahrhunderte. Der Stoffgruppenansatz, wie in der EU vorgeschlagen, bietet eine Möglichkeit, das Problem international zu adressieren.
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