Verlässliche Textilsiegel? Mangelware!

Rundbrief 2025/1

Greenwashing statt anspruchsvoller Textilsiegel bei großen Online-Shops keine Seltenheit

Verbraucher:innen sind auf anspruchsvolle und unabhängige Textil-Siegel angewiesen, um nachhaltigere Kleidung zu erkennen. Ein Marktcheck der Verbraucherzentrale NRW von 2023 zeigte, dass diese in den Top Ten-Online-Mode-Shops kaum zu finden waren. Auch Serviceleistungen zur Reparatur oder Aufarbeitung wurden dort nicht angeboten. Die großen Shops und Plattformen kamen also ihrer Verantwortung zur Umsetzung der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien[1] höchstens ansatzweise nach. Verbraucherverhalten ändert sich im großen Stil jedoch vor allem dann, wenn sich die Verhältnisse so ändern, dass die nachhaltigere Lösung die einfachere Konsumentscheidung wird. 

Ein Label-Dschungel entsteht in Produktbereichen, in denen die gesetzlichen Anforderungen an Produkte gering sind und die vorgeschriebene Kennzeichnung nicht wesentlich zur Transparenz in Bezug auf Schadstoffe, Umweltwirkung oder Sozialstandards beiträgt. Das ist bei Kleidung der Fall: Anhand der gesetzlichen Kennzeichnung können Verbraucher:innen ein T-Shirt aus Bio-Baumwolle nicht von einem aus gentechnisch veränderter Baumwolle, die unter Verwendung von Pestiziden angebaut wurde, unterscheiden. Label sind derzeit also die einzige Möglichkeit, in den Bereichen Textilien und Kleidung überprüfbare Nachhaltigkeitsinformationen zu erhalten.

Auf der anderen Seite sind Textil-Label komplex und deshalb für Verbraucher:innen schwer zu überblicken, denn sie beziehen sich teilweise nur auf Einzelschritte in einer langen Fertigungskette – zum Beispiel das Konfektionieren (u.a. Nähen) – und berücksichtigen bei diesen Schritten ganz unterschiedliche Aspekte wie ökologischen Faseranbau, Chemikalieneinsatz, Umweltschutz oder Sozialstandards für Arbeitnehmer:innen.

Öko-faire Textilsiegel

Folgende unabhängige Label, deren Vergabekriterien öffentlich zugänglich, die weit verbreitet und auch im konventionellen Handel anzutreffen sind, bieten Orientierung bei der Auswahl nachhaltigerer Kleidung. Weitere Siegel und eine ausführliche Übersicht mit detaillierten Erläuterungen findet sich auf den Portalen Siegelklarheit[2] oder „it fits“[3]. Der Kauf gebrauchter Textilien bzw. die Nutzung von Kleidung im Schrank ist immer nachhaltiger als ein Neukauf, selbst wenn öko-faire Siegel vorhanden sind.

Der Global Organic Textile Standard (GOTS) basiert auf vier Säulen: Fasern aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft, ökologische und soziale Standards in allen Verarbeitungsstufen sowie die Zertifizierung durch Dritte. Zertifiziert werden können Textilien, die mindestens 70 % Fasern aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft enthalten. Kleidung, die als „bluesign PRODUCT“ gekennzeichnet ist, wird unter Einhaltung strenger Sicherheits- und Umweltanforderungen in Bezug auf Chemikalien und Arbeitsschutz hergestellt. Da bluesign® die Verwendung von Kunstfasern nicht ausschließt, ist dieses Siegel auch bei Sport- und Outdoor-Kleidung anzutreffen. Die Fair Wear Foundation setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein, indem Mitgliedsunternehmen sehr hohe Sozialstandards bei der Konfektionierung einhalten müssen und existenzsichernde Löhne anstreben. Gelabelt werden nicht einzelne Produkte sondern Marken von Mitgliedsunternehmen. OEKO-TEX MADE IN GREEN ist ein rückverfolgbares Produktlabel für Textilien, die in umweltfreundlichen Betrieben unter sicheren und sozialverträglichen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Eine Zertifizierung nach dem OEKO-TEX STANDARD 100 (Schadstoffprüfung des Produktes) ist die Voraussetzung für das MADE IN GREEN-Label.

Der Grüne Knopf ist ein staatliches Siegel für Textilien, die unter Beachtung von Sozial- und Umweltanforderungen produziert werden. Es wird geprüft, ob Unternehmen ihre unternehmerischen Sorgfaltspflichten wahrnehmen, indem sie Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen. Die nachhaltige Produktion muss durch Siegel nachgewiesen werden, die vom Grünen Knopf anerkannt werden. Der Grüne Knopf stellt Anforderungen an Rohstoffgewinnung, Nassprozesse und Konfektionierung, aber nicht an die Garnherstellung und Verarbeitung.

Nachhaltigkeit, Kleidung und große Online-Shops

Fast Fashion und ein steigender Textilkonsum sind eng verknüpft mit der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, Müllbergen und Umweltverschmutzung durch Chemikalien und Mikroplastik, Wassermangel, Artensterben und der Klimakatastrophe. Im Rahmen der EU-Textilstrategie schlägt die EU-Kommission Lösungen für die Misere vor: Textilien sollen bis 2030 eine bessere Qualität haben, repariert, länger genutzt und recycelt werden. Außerdem soll es klarere Informationen auf Textilien und weniger grünen Etikettenschwindel geben.

Der Online-Handel hat auf dem Bekleidungsmarkt durch seinen hohen Anteil erheblichen Einfluss auf den Markt und ist deshalb auch mit dafür verantwortlich, dass die EU-Ziele tatsächlich erreicht werden: Bekleidung war auch 2024 mit 14,6 % wieder der umsatzstärkste Sektor im Onlinegeschäft.[4]

Es gibt zwar Anbieter, die sich auf ökologisch und/oder faire Kleidung spezialisiert haben, aber sie bilden noch immer eine Nische: Die Masse an Kleidung wird bei den großen Playern des Online-Handels gekauft. Diese gilt es also, zu einer nachhaltigen Transformation des Bekleidungssektors zu verpflichten. Denn für die Mehrheit der Verbraucher:innen muss nachhaltigerer Textilkonsum die einfachere Lösung werden, damit sich ihr Konsumverhalten ändern wird. Doch kommen die großen Player auf dem Online-Fashion-Markt ihrer Verantwortung nach?

Marktcheck der Verbraucherzentrale NRW zu nachhaltigen Textilien im Online-Handel

Im August 2023 schaute sich die Verbraucherzentrale NRW[5] bei den Top Ten-Onlinehändlern (2021) für Bekleidung Zalando, Otto, H&M, Aboutyou, Bonprix, Amazon, Breuninger, Bestsecret, Shein und Lidl nach einer Damenhose in Größe 38 um. Ihr Ziel war es herauszufinden, wie leicht oder schwer es Verbraucher:innen dort gemacht wird, nachhaltigere Kleidung zu auszuwählen, ob Nachhaltigkeitsaussagen nachvollziehbar sind und ob diese Shops Angebote zur nachhaltigeren Nutzung von Kleidung machen.

Das Ergebnis war ernüchternd: Nachhaltige Kleidung wurde in den Trefferübersichten nicht vorrangig angezeigt. Suchende müssen also die Nadel im Heuhaufen finden, beispielsweise unter einem unübersichtlich großen Angebot konventioneller Kleidung von 320.072 Damenhosen in Größe 38 die 1.809 (0,57 %) als nachhaltig ausgelobten herausfischen. Hinzu kommt, dass in den Trefferübersichten keine Abbildungen bekannter, unabhängiger Textilsiegel verwendet werden, die auf den ersten Blick einen Wiedererkennungswert haben. Viele Anbieter nutzten dort lieber selbst kreierte Nachhaltigkeitssymbole und -definitionen, die nicht nachvollziehbar sind.

Nicht viel besser war das Ergebnis, wenn bei der Suche zusätzlich ein Nachhaltigkeitsfilter gesetzt wurde: Dann wurden zwar einige Hosen angezeigt, die nach unabhängigen Standards zertifiziert waren – allerdings fast immer ohne die Abbildungen der Siegel, die eine schnelle Orientierung geboten hätten. Um herauszufinden, warum genau eine Hose als nachhaltig ausgelobt wurde, musste außerdem erst einmal gescrollt und geklickt werden. Ein anspruchsvolles und umfassendes Siegel wie der GOTS war auf keiner der im Marktcheck angesehenen Produktseiten zu finden – auch Bio-Baumwolle gab es nur einmal. Häufig wurde Kleidung aus oder mit Recycling-Kunstfasern als nachhaltiger ausgelobt. Das sollte unbedingt vermieden werden, es sei denn, die Fasern stammen aus Post-Consumer-Textilabfällen. Besonders häufig, aber problematisch ist die Auslobung von Recyclingpolyester als nachhaltig, wenn dieses aus PET-Lebensmittelverpackungen wie Getränkeflaschen stammt, da in diesem Fall PET aus einem funktionierenden Kreislaufsystem entzogen wird.

Immerhin boten drei der Top Ten-Shops gebrauchte Kleidung als nachhaltigere Alternative zum Neukauf an. Ob es sich dabei um getragene Kleidung oder Retouren handelte, war nicht nachvollziehbar. Weitere Dienstleistungen zur nachhaltigeren Nutzung von Bekleidung wurden von keinem der Top Ten-Shops angeboten.

Was sich in den großen Online-Shops ändern muss

Im ersten Schritt müssen Online-Händler von ihren Lieferanten vor allem Kleidung mit unabhängigen und anspruchsvollen Textilsiegeln (z.B. die vom Grünen Knopf anerkannten) verlangen und ihr Sortiment entsprechend ausrichten. Dann gilt das Motto „Tue Gutes und rede darüber“, das bedeutet, diese nachhaltigere Kleidung muss bei der Suche das neue Normal werden, also schon in den Trefferübersichten vorrangig angezeigt werden und zwar, ohne dass Verbraucher:innen erst einen Nachhaltigkeitsfilter setzen müssen. Außerdem muss endlich Schluss sein mit selbstkreierten Icons, Symbolen und Greenwashing. Stattdessen müssen die wiedererkennbaren Abbildungen unabhängiger Textilsiegel schon in der ersten Trefferübersicht direkt an oder auf dem Produktfoto angezeigt werden.

Unbestritten am nachhaltigsten ist die längere Nutzung von Kleidung. Um einen spürbaren Wandel zu bewirken, sollten die großen Online-Shops Verbraucher:innen daher qualitativ gute Kleidung mit einer verlängerten Gewährleistung, Second-Hand-Kleidung, Ersatzteile zu einem angemessenen Preis (beispielsweise Ersatzknöpfe und -reißverschlüsse oder passende Garne zum Flicken von Löchern), einen Änderungs-und Reparaturservice (z.B. in Kooperation mit lokalen Schneidereien) und einen Verleihservice für Kleidung, die nur kurze Zeit oder selten getragen wird, wie Baby- und Festtagskleidung, anbieten.

Dr. Kerstin Effers arbeitet als promovierte Chemikerin seit 2013 bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen auf dem Gebiet Umwelt und Gesundheitsschutz.

 

Bildnachweis:

Roman Drits/Barnimages