Vergiftete Geschenke

Rundbrief 2025/1

Die toxische Textilkrise in Ghana: Wie Fast Fashion Second-Hand-Spenden zu gefährlichem Textilmüll macht

Globale Modemarken werben mit Recycling und Kreislaufwirtschaft, doch die Realität sieht anders aus. Nirgendwo wird das Scheitern des linearen Geschäftsmodells des Fast-Fashion-Systems so sichtbar wie in den Ländern des Globalen Südens, wo der Großteil unserer kurzlebigen Kleidung aus synthetischen Fasern landet – verbrannt, deponiert oder von Flüssen ins Meer gespült, mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt.

Fast Fashion: das profitable, lineare Geschäftsmodell mit passendem Konsumverhalten steht für immer mehr, immer billigere Kleidung, die immer kürzer getragen wird. In nur zehn Jahren hat sich die weltweite Produktion verdoppelt, während die Tragezeit pro Kleidungsstück halbiert wurde. Mit dem jüngsten Phänomen Ultra-Fast-Fashion-Marken treiben Online-Händler wie Shein oder Temu diesen zerstörerischen Trend weiter auf die Spitze – täglich gehen bis zu 9.000 neue Designs online, alles nur einen Klick entfernt, produziert innerhalb weniger Tage und per Luftfracht direkt an die Haustür geliefert. Allein nach Deutschland werden so täglich 400.000 Pakete verschickt. Ein Party-Top wird in Deutschland dann gerade noch 1,7-mal getragen, bis es im Müll landet, und diese rasant wachsenden Klamottenberge müssen irgendwo hin![1]

Allein in Deutschland werden jährlich ca. eine Million Tonnen ausrangierter Altkleider gesammelt – eine LKW-Schlange von Flensburg bis Innsbruck. Nur zehn Prozent davon finden als Second-Hand-Ware im Inland neue Besitzer:innen. Der Großteil (ca. 50 %) wird exportiert und der Rest zerrissen, gedowncycelt oder direkt vernichtet.[2] Weltweit wird pro Sekunde eine LKW-Ladung Kleidung verbrannt oder deponiert – mit fatalen Folgen für die Umwelt.

Second Hand – eine zweite Chance?

Deutschland gehört zu den weltweit größten Exporteuren von gebrauchter Kleidung, die Exporte von Textilabfällen aus der EU haben sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht. Das westafrikanische Ghana ist als zentraler Akteur im regionalen Handel mit über 100.000 Tonnen pro Jahr der mit Abstand größte Abnehmer für Second-Hand-Textilien in Afrika, darunter auch große Mengen aus deutschen Kleiderschränken.

Jede Woche erreichen rund 100 Container mit etwa 15 Millionen Second-Hand-Textilien die Hafenstadt Tema, Ghanas wichtigstes Handels- und Industriezentrum. Von dort aus setzt sich der unaufhaltsame Strom an Textilballen in Bewegung – direkt ins Zentrum von Accra, wo der Kantamanto-Markt liegt, einer der größten Textilmärkte Afrikas und Drehscheibe für den Handel mit gebrauchter Kleidung.

Kantamanto – die Textilstadt in der Stadt

Transporter, Handkarren und Träger:innen befördern täglich Berge gebrauchter Kleidungsstücke, in Ghana als „Oburoni Wawu“ – „die Kleidung toter weißer Männer“ – bekannt. Je näher man dem Bahnhofsgelände aus Kolonialzeiten kommt, desto mehr prägt dieser unaufhaltsame Strom das Straßenbild. Die ohnehin überfüllten und verwinkelten Straßen des zentralen Geschäftsviertels von Accra werden von den unzähligen Textiltransportern blockiert, die sich ihren Weg zum Markt bahnen.

Der Kantamanto-Markt erstreckt sich über 24 Hektar verwinkelte Gassen und besteht aus Tausenden Geschäften, Ständen und improvisierten Verkaufsflächen. Viele Händler:innen verkaufen ihre Ware von einfachen Holzständen mit Blechdächern aus, die dicht an dicht zwischen engen, unebenen Gassen stehen. Doch die Masse an Textilien quillt längst über die Marktgrenzen hinaus in die anliegenden Straßen und wird dort unter freiem Himmel, oft direkt auf dem Boden, angeboten. Inmitten des dichten Gedränges sind überall die Kayayei zu sehen – Frauen, die von Einzelhändler:innen auf Zuruf angeheuert werden, um Waren auf dem Kopf zwischen Importeuren und Verkaufsständen zu transportieren. Sie navigieren geschickt durch die überfüllten, unwegsamen Gassen, wo weder Handkarren noch Schubkarren Platz finden.

Mehr als 30.000 Menschen leben hier vom Handel mit gebrauchter Kleidung – sie kaufen, verkaufen, färben, bügeln, nähen, reparieren und verarbeiten die Ware. Doch Kantamanto ist mehr als ein Umschlagplatz für Second-Hand-Textilien: Es ist ein pulsierendes System, das von den globalen Strömen der Fast Fashion gespeist wird – und am Rande des Kollapses steht.

Die beengten Verhältnisse und mangelnde Infrastruktur machen den Markt zu einem höchst gefährlichen Ort. Offene Kabel, schwebende Textilfasern und die enorme Brandlast führen immer wieder zu verheerenden Bränden. Erst am 2. Januar 2025 zerstörte der bislang schlimmste Brand 80 % des Marktes. Tausende Händler:innen verloren in wenigen Minuten ihre gesamte Existenzgrundlage. Der Rauch der brennenden Tonnen an Plastiktextilien, durchsetzt mit den unzähligen Chemikalien in der Kleidung, hüllte die gesamte Umgebung in eine dichte, beißende Wolke. Ganze Wohnviertel versanken im toxischen Qualm, der Augen und Atemwege reizte und sich als schmierige Rußschicht auf Straßen, Gebäuden und den verbliebenen Waren niederlegte.

Fast Fashion – Slow Poison

Aber auch ohne die wiederkehrenden Brände auf dem Markt landet ein Großteil der Textilien am Ende im Feuer. Die Masse an Waren steigt, doch die Qualität nimmt seit Jahren ab. Laut Angaben der Händler müssen bis zu 40 % Ausschuss pro Ballen unverkauft entsorgt werden. Diese täglichen Tonnen an Textilmüll bleiben zunächst auf dem Boden zwischen den Ständen liegen, bis man am Abend nur noch auf Textilien läuft.

Nach Ladenschluss landen die Textilmüllmassen auf wilden Deponien oder in offenen Feuern. Besonders in Accras informellen Siedlungen wie Old Fadama, das direkt an den Markt angrenzt, wird der Textilmüll zur billigsten Energiequelle: Er heizt Koch- und Waschwasser, während giftige Dämpfe abendlich den gesamten Slum einhüllen.

Unsere Messungen im Jahr 2023 in drei Badehäusern in Old Fadama, in denen Textilmüll verbrannt wird, ergaben alarmierende Schadstoffwerte. Die Luft war hoch belastet mit krebserregendem Benzol, dessen Werte weit über den deutschen Grenzwerten lagen. Zudem wurden fortpflanzungsschädliches Styrol sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs), darunter Naphthalin und Phenole, nachgewiesen. Der Gehalt an flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) war so hoch, dass sofortige Gegenmaßnahmen erforderlich wären.[3]

Fossil Fashion – die Textilindustrie ist ein Plastikproblem

Der Haupttreiber des Fast Fashion-Wachstums sind billige Kunstfasern aus Öl, allen voran Polyester. Bereits heute bestehen fast 70 % aller weltweit produzierten Textilien aus synthetischen Fasern – meist Mischgewebe mit unbekannter Zusammensetzung und voller chemischer Ausrüstungen, die Recycling, selbst wenn gewollt, praktisch unmöglich machen.

Die Umweltbilanz dieser Plastikfasern ist katastrophal: Bis 2030 sollen laut der Ellen MacArthur Foundation die CO₂-Emissionen durch Polyester weltweit auf 1,5 Billionen Kilogramm CO₂-Äquivalent steigen. Da etwa 80 % der Polyesterproduktion in die Textilindustrie fließen, wird dieser Bereich allein 1,2 Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen verursachen – das entspricht den jährlichen Emissionen aller Autos in Europa.[4]

Unsere Infrarot-Analysen des Kleidermülls vom Kantamanto-Markt und den umliegenden Deponien zeigen, dass über 96 % der hier entsorgten Textilien aus Kunststoff bestehen. Wie jeder Plastikmüll zersetzen sie sich nicht biologisch, sondern zerfallen mit der Zeit in immer kleinere Mikroplastikpartikel. Diese belasten, zusammen mit den Chemikalien aus den Textilien, Boden, Wasser, Luft – und letztlich die gesamte Nahrungskette.

Das Märchen von der Kreislauffähigkeit der Mode

Spätestens die Plastikmüllflut der Fast Fashion-Industrie entlarvt die neokoloniale Wirtschaftsweise westlicher Modekonzerne: Sie überproduzieren kurzlebige Kleidung, verschmutzen die Produktionsländer und hinterlassen dem Globalen Süden ihre Müllberge. Gleichzeitig nutzen sie massive Greenwashing-Erzählungen, um die dringend notwendige Transformation der Branche hinauszuzögern. Mit weniger als ein % recycelter Fasern in der Neuproduktion ist wohl keine Branche weiter vom Mythos der propagierten Kreislauffähigkeit entfernt als die Textilindustrie.[5]

Zeit für eine echte Fashion-Revolution

Verschmutzung im Verborgenen war unethisch, Kontamination in der Öffentlichkeit ist ein PR-Desaster. Mit neuen EU-Richtlinien zu Ökodesign und erweiterter Herstellerverantwortung gibt es nun erstmals eine Chance, diese Umweltzerstörung gesetzlich einzudämmen.

Überall auf der Welt – von den Textilfabriken in Südostasien bis zu den Altkleiderbergen in Ghana – wächst der Widerstand. Betroffene, Aktivist:innen und politische Akteur:innen fordern gemeinsam eine echte Fashion-Revolution. Die Modeindustrie muss ihr zerstörerisches, lineares Geschäftsmodell beenden, den Materialfluss verlangsamen und auf eine faire, transparente und kreislauffähige Produktion umstellen.

Bis 2035 sollten 60 % des deutschen Kleiderkonsums durch kreislauffähige Geschäftsmodelle wie Leihen, Reparatur, Second-Hand und Upcycling gedeckt werden, um unsere Ressourcenschutzziele zu erreichen. Dafür braucht es jetzt die richtigen politischen Rahmenbedingungen und den Ausbau der Infrastruktur.

Dr. Viola Wohlgemuth ist promovierte Pharmazeutin und leitet die politische und Kampagnen-Arbeit bei Fashion Revolution Deutschland.

Bildnachweis:

© Kevin McElvaney