Wie fossile Brennstoffe die Fast Fashion am Laufen halten
Die meisten Kleidungsstücke verbrauchen heute so viel fossile Brennstoffe wie eine Plastikflasche. Fast drei Viertel aller Textilien werden bald aus Öl und Gas hergestellt. Synthetische Fasern sichern nicht nur den künftigen Erdölbedarf, sondern sind auch eine der Haupttriebkräfte der Fast Fashion, die Überproduktion, Abfall und Umweltverschmutzung verursachen. Angesichts der sich abzeichnenden Textilgesetze stellt sich die Frage: Wird die Abhängigkeit der Modebranche von fossilen Brennstoffen durch Vorschriften endlich eingedämmt oder wird die Branche den Markt weiterhin mit billiger Plastikkleidung überschwemmen?
Die große Mehrheit der heutigen Textilien bestehen aus fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas. Synthetische Fasern wie Polyester, Acryl und Nylon sind zum dominierenden Material sowohl in der Mode- als auch in der allgemeinen Textilindustrie geworden. Ihr Anteil an der weltweiten Textilproduktion beträgt derzeit 69 % und wird bis 2030 voraussichtlich auf 73 % steigen.[1] Das bedeutet, dass die meisten Kleidungsstücke nicht nur aus Plastik bestehen, sondern auch ein Produkt der Gewinnung fossiler Brennstoffe sind.
Polyester: Eine Lebensader für die Kunststoff- und fossile Brennstoffindustrie
Die Kunststoffproduktion ist in den letzten sieben Jahrzehnten sprunghaft angestiegen und hat sich allein in den letzten 25 Jahren verdoppelt[2]. Die Modeindustrie hat sich zu einer wichtigen Säule der globalen Kunststoffwirtschaft entwickelt, wobei Kunstfasern eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung der Nachfrage nach petrochemischen Erzeugnissen spielen. Im Jahr 2017 entfielen 14 % der weltweiten Erdölnachfrage auf die Petrochemie und 15 % der gesamten Kunststoffproduktion auf die Kunstfaserherstellung. Damit ist die Textilindustrie nach der Verpackungs- und Bauindustrie der drittgrößte Kunststoffverbraucher, so die Internationale Energieagentur (IEA).
Mit Blick auf die Zukunft sagt die IEA voraus, dass die Petrochemie die Haupttriebkraft der Ölnachfrage sein wird, zumal die Nachfrage im Verkehr und in anderen Sektoren bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen dürfte. Allein auf den Chemiesektor dürfte bis dahin mehr als ein Drittel des Ölnachfrageanstiegs entfallen, wobei die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen durch den anhaltenden Anstieg kunststoffbasierter Produkte auf Jahrzehnte hinaus erhalten bleibt. [3]
Da weniger als ein % der Textilien recycelt werden, bleibt die Branche in einem linearen, abfallintensiven Modell gefangen, das die Nachfrage nach neuen kunststoffbasierten Materialien anheizt und die Abhängigkeit der Modebranche von fossilen Brennstoffen weiter festigt.
Mangelnde Transparenz: Ein Einfallstor für umstrittene fossile Brennstoffquellen
Trotz ihrer starken Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen arbeitet die Modeindustrie mit minimaler Transparenz über ihre Rohstofflieferketten. Die Öffentlichkeit hat wenig bis gar keinen Einblick in die Lieferanten fossiler Brennstoffe, die das Ausgangsmaterial für Kunstfasern liefern. Mehrere Untersuchungen haben jedoch Verbindungen zwischen großen Modemarken und umstrittenen Quellen fossiler Brennstoffe aufgedeckt.
Unser Bericht Dressed to Kill aus dem Jahr 2022 deckte direkte Verbindungen zwischen den Polyester-Lieferketten großer Modemarken und russischem Öl während des Krieges gegen die Ukraine sowie Pläne zur Herstellung von Polyester aus Kohle auf. Kürzlich deckte eine Studie der Stand.earth Research Group auf, dass mehr als 100 Moderiesen Textilien aus dem Permian Basin in Texas beziehen, eines der größten Öl- und Gas-„Kohlenstoffbomben“ der Welt, die durch Fracking gewonnen werden. [4] Das bedeutet, dass synthetische Textilien nicht nur zur Klimazerstörung beitragen, sondern möglicherweise auch indirekt autokratische Regime und Kriege finanzieren.
Synthetische Fasern sind der Motor der Fast Fashion
Die niedrigen Kosten und die Vielseitigkeit von Synthetikfasern haben die Explosion der Fast Fashion maßgeblich begünstigt. Polyester, das pro Kilogramm nur halb so viel kostet wie Baumwolle, hat es den Marken ermöglicht, den Markt mit billiger Kleidung zu überschwemmen und den Fast-Fashion-Zyklus mit Massenproduktion und Verschwendung voranzutreiben.
Die Abhängigkeit der Branche von synthetischen Stoffen zeigt sich am deutlichsten bei Fast-Fashion-Marken, die überwiegend Textilien auf Kunststoffbasis verwenden. Shein beispielsweise, der weltweit größte Einzelhändler für ultraschnelle Mode, der täglich bis zu 10.800 neue Kleidungsstücke auf den Markt bringt, ist bei der Herstellung seiner Kleidung zu 82 % auf Kunststoffe angewiesen. Die Modeindustrie als Ganzes setzt immer mehr auf Kunststoffe, während sie ihre Verbindungen zu fossilen Brennstoffen im Dunkeln lässt.
Die versteckte Umwelt- und Gesundheitsbelastung durch Kunststoffe
Jedes Jahr werden 1,29 Milliarden Barrel Öl in Kunststofftextilien umgewandelt, die schließlich als Plastikmüll enden. Synthetisch hergestellte Fast Fashion wird oft schon nach sieben- oder achtmaligem Gebrauch weggeworfen[5] und landet auf Mülldeponien, in Verbrennungsanlagen oder in der Natur. Ein Großteil wird ins Ausland verschifft, beispielsweise nach Chile, Ghana und Kenia. Unsere eigene Untersuchung in Kenia mit dem Titel Trashion: The stealth export of waste plastic clothes to Kenya, die im Februar 2023 veröffentlicht wurde, zeigt detailliert, wie der Export von Altkleidern in den Globalen Süden in Wirklichkeit der Export von Plastikmüll ist, der durch den Anstieg des Konsums synthetischer Fast Fashion im Globalen Norden angeheizt wird. Wir haben festgestellt, dass mehr als jedes dritte nach Kenia verschiffte Altkleiderstück Plastik enthält und in einem so schlechten Zustand ist, dass es sofort zu Abfall wird.
Darüber hinaus geben synthetische Kleidungsstücke in jeder Phase ihres Lebens Mikroplastik ab, das menschliche Organe und Körperflüssigkeiten verunreinigt – einschließlich Lungengewebe, Plazenta und sogar Gehirnmasse. Dies ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch ein Problem für die öffentliche Gesundheit. Forschungen haben ergeben, dass die Exposition gegenüber Mikroplastik aus Textilien zu chronischen Entzündungen, Atemwegsschäden und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes führt.
Gesetzgebung: Strenge gesetzliche Vorschriften erforderlich
Die einzige Möglichkeit, die Abhängigkeit der Mode von fossilen Brennstoffen zu durchbrechen, ist eine verbindliche Gesetzgebung. Zum ersten Mal sind strengere globale Textilvorschriften in Sicht.
In der EU-Strategie für nachhaltige und zirkuläre Textilien der Europäischen Kommission von 2022 werden fossile Kunststoffe ausdrücklich als Hauptursache für Fast Fashion und die Verschmutzung durch Mikroplastik anerkannt. Wie ehrgeizig die anstehenden Rechtsvorschriften sein werden, bleibt jedoch ungewiss. Beunruhigenderweise ist der Widerstand der Industrie gegen Veränderungen nach wie vor groß, wobei Modemarken Verzögerungs- und Ablenkungstaktiken anwenden, falsche Lösungen propagieren und die Umweltauswirkungen der Mikroplastikverschmutzung herunterspielen. Unsere Umfrage unter den großen Modemarken zeigt eine schwache Unterstützung für Vorschriften, die sich direkt mit der Freisetzung von Mikroplastik und der Produktion von Kunstfasern befassen, was darauf hindeutet, dass man lieber den Status quo beibehält, als sinnvolle Änderungen vorzunehmen.
Um einen echten Wandel herbeizuführen, muss die Modeindustrie gezwungen werden, sich von fossilen Brennstoffen abzukoppeln – und zwar nicht durch freiwillige Verpflichtungen, sondern durch rechtlich verbindliche Maßnahmen, welche die Produktion von Kunststofffasern einschränken und Investitionen in echte Kreislaufwirtschaft fördern.
Übersetzt aus dem Englischen von Nina Hrkalovic.
- [1] Tecnon Orbichem (2021) World synthetic fibres. S/Db-CHEM market overview. [ONLINE] Available at: https://www.orbichem.com/chemical-data-portfolio/fibres-intermediates
- [2] Defend Our Health (2022) Problem Plastic: How Polyester and PET Plastic Can be Unsafe, Unjust, and Unsustainable Materials. [ONLINE] Available at: https://defendourhealth.org/campaigns/plastic-pollution/problem-plastic
- [3] IEA (2018) The Future of Petrochemicals: Towards more sustainable plastics and fertilisers. [ONLINE] Available at: https://iea.blob.core.windows.net/assets/bee4ef3a-8876-4566-98cf-7a130c013805/The_Future_of_Petrochemicals.pdf
- [4] https://stand.earth/press-releases/investigation-finds-100-fashion-brands-rely-on-texas-oil-and-gas-fracking/
- [5] Remy, D., Speelman, E. and Swartz, S. (2016) ‘Style that’s sustainable: A new fast-fashion formula’. McKinsey & Company, 20 October. [ONLINE] Available at: https://www.mckinsey.com/capabilities/sustainability/our-insights/style-thats-sustainable-a-new-fast-fashion-formula
Bildnachweis:
Changing Markets Foundation