Fashion, die gerecht ist und die planetaren Grenzen einhält

Rundbrief 2025/1

Ein neuer Bericht fordert eine sozial-ökologische Transformation des Modesystems

Damit das Klima für uns alle lebenswert bleibt und es auf der Erde eine gerechte Zukunft gibt, benötigt auch das Modesystem eine radikale Wende. Weniger Ressourcen- und Energieverbrauch, langsamere Produktions- und Konsumzyklen und eine faire Verteilung des erwirtschafteten Mehrwerts müssen zu neuen Modetrends werden.

Wie sollten wir uns auf einem sterbenden Planeten kleiden? Die Erde ist in einer Klimanotlage, doch das Modesystem gießt einfach weiter Öl ins Feuer. Die Textil-, Bekleidungs-, Lederwaren- und Schuhfertigung gehören zu den umweltschädlichsten und ungerechtesten Industriebranchen, die auf der weit verbreiteten Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und der Ressourcen des Planeten beruhen. Trotz dieser verheerenden Bilanz sind „mehr, schneller und billiger“ weiterhin die treibenden Kräfte in den Geschäftsmodellen der Modebranche.

Ganz offensichtlich benötigt das Modesystem eine radikale Wende. Reduzierter Ressourcen- und Energieeinsatz, längere Produktions- und Konsumzyklen sowie eine gerechtere Verteilung des erwirtschafteten Mehrwerts sollten die neuen Modetrends prägen. Dabei geht es nicht um ein paar kleine Anpassungen hier und da – es geht um ein neues Betriebssystem für die Modebranche.

Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye will die internationale Debatte über die sozial-ökologische Transformation und einen gerechten Wandel im Modesystem vorantreiben. In ihrem neuen Report „One-Earth Fashion“ schlägt sie 33 konkrete Ziele für Veränderungen und Paradigmenwechsel vor.

Hotspots der Modeindustrie

Aus sozialer Sicht ergibt sich die Notwendigkeit einer Transformation aus der Nichterfüllung der Menschenrechte im Einflussbereich der Modebranche. Den weit verbreiteten Hungerlöhnen, prekären Beschäftigungsverhältnissen, unsicheren Arbeitsplätzen, Verstößen gegen die Vereinigungsfreiheit und der Diskriminierung ist Einhalt zu gebieten.

Aus ökologischer Sicht liegt das Hauptaugenmerk derzeit meist auf Klimaparametern. Diese sind zwar wichtig, doch der enge Fokus birgt die Gefahr, dass wir andere planetare Grenzen aus den Augen verlieren, die ebenfalls und teils noch weiter überschritten werden. Negative Auswirkungen auf diese Grenzen haben der intensive und gefährliche Einsatz von Chemikalien in der aktuellen Modeindustrie, ihre Abhängigkeit von nicht nachhaltigen land-, forst- und viehwirtschaftlichen Systemen und ihrer Präferenz für biologisch nicht abbaubare Kunststoffmaterialien auf der Basis fossiler Brennstoffe.

Wir haben zwölf Hotspots von herausragender Bedeutung innerhalb des Modesystems identifiziert. Sie alle haben entweder einen starken Einfluss auf eine oder mehrere planetare Grenzen, sind von hoher Relevanz in Bezug auf die sozialen Grundlagen oder umfassen gleichzeitig entscheidende soziale und ökologische Aspekte.

Zur Entwicklung einer positiven Vision für ein gerechtes Modesystem innerhalb der planetaren Grenzen haben wir aus den zwölf Hotspots zwölf vorrangige Transformationsbereiche gemacht (Abb. 1). Sie zeigen die Veränderungen auf, die zur Bewältigung der Hotspots erforderlich sind.

Abbildung 1

Die 33 vorgeschlagenen Transformationsziele, die wir bis 2030 erreichen wollen, sind spezifische und zeitgebundene Meilensteine, die diese Vision greifbar machen sollen. Mehrere Vorschläge zielen darauf ab, allgemeingültige Menschenrechte zu erfüllen oder allgemein anerkannte globale Ziele zu erreichen. Ein existenzsichernder Lohn beispielsweise ist kein radikales Ziel, sondern ein Grundrecht. Angesichts der vorherrschenden ungerechten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Machtstrukturen sind die Ziele bis 2030 dennoch nur schwer zu erreichen.

Materialflüsse in der Mode umstellen

Die Enteignung der Natur durch das Modesystem weist zwei Seiten auf: die zunehmende Nutzung von Rohstoffen aus natürlichen und fossilen Quellen in einem Tempo, welches das Bevölkerungswachstum bei Weitem übersteigt, und die missbräuchliche Nutzung der Umwelt als Deponie für Textilabfälle, Treibhausgase, Mikroplastik, Chemikalien und andere Emissionen.

Die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft ist enorm herausfordernd. Das Reduzieren der Materialien aus Primärquellen um ungefähr 40 % ist das signifikanteste Element. Es ist auf eine Reduzierung der Rohstoffe fossilen Ursprungs um 60 % und eine Reduzierung der Rohstoffe aus natürlichen Primärquellen um 10 % zurückzuführen. Ein Teil dieser Lücke sollte durch recycelte Materialien, hauptsächlich aus dem Faser-zu-Faser-Recycling, gefüllt werden. Doch selbst wenn man von einer steilen Zunahme des Faser-zu-Faser-Anteils ausgeht, die 15 % des gesamten Materialeinsatzes bis 2030 erreicht, würde das Gesamtvolumen der Rohstoffe in unserem Szenario lediglich um 28 % schrumpfen. Es reicht also nicht aus, nur die Fasern und Stoffe zu wechseln.

Derzeit werden viele Kleidungsstücke viel zu kurz getragen. Die Werbung suggeriert den Menschen, dass einige Kleidungsstücke „aus der Mode“ sind, während andere ein „Must-have“ der Saison sind. Würde Kleidung doppelt so lange getragen wie heute, wäre es möglich, den gleichen Gebrauchswert mit der Hälfte der Materialressourcen zu erreichen (Abb. 2).

Abbildung 2

Neue Perspektive auf Arbeit und Wissen

Viele Menschen, die im Modesystem tätig sind, würden eine gerechte Transformation des Sektors befürworten und fordern Veränderungen auch aktiv ein. Sie haben in ihrem Arbeitsalltag jedoch kaum Einfluss und sind in einem System gefangen, das an seinen fehlerhaften Paradigmen festhält. Ein Modesystem, bei dem menschenwürdige Arbeit, Qualität, Langlebigkeit und Zirkularität im Mittelpunkt stehen, erfordert eine neue Perspektive auf Arbeit und Wissen.

Für Textilien von dauerhafter Qualität sind qualifizierte Arbeitskräfte, Erfahrung sowie ausreichend Zeit und Präzision bei der Fertigung unerlässlich. Diese und ähnliche Qualitätsfaktoren sind auch in anderen Schritten der Wertschöpfungskette von entscheidender Bedeutung, sei es bei der agroökologischen Produktion von Rohstoffen, bei der Entwicklung langfristiger Designs, im Einzelhandel und in den Prozessen nach dem Verbrauch.

Es gibt unzählige Verhaltenskodizes, Zertifizierungen und freiwillige Standards, die darauf abzielen, Schäden zu minimieren und Bedingungen zu verhindern, die als „unmenschlich“ angesehen werden: Ein Arbeitsplatz sollte nicht zum Tod oder zur Gesundheitsschädigung von Arbeitnehmenden führen; eine Standardarbeitswoche sollte 48 Stunden (oder 60 mit Überstunden) nicht übersteigen; die Löhne sollten zum Überleben ausreichen. Aber menschenwürdige Arbeit bedeutet viel mehr als die Abwesenheit von Leid und Menschenrechtsverletzungen, es geht zum Beispiel auch um das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und darum, dass Tätigkeiten als sinnvoll empfunden werden.

Mehrwert gerechter verteilen

Der harte Wettbewerb um Marktanteile und wirtschaftliches Überleben prägt die Modeindustrie, und der vorherrschende Wettbewerbsfaktor ist der Preis. Einzelhändler und Markenfirmen geben diesen Niedrigpreisdruck an die gesamte Lieferkette weiter. Unter solchen Bedingungen ist ein sozialer und ökologischer Wandel beinahe unmöglich. Die geringen Margen reichen nicht aus, um die Löhne wesentlich zu erhöhen, die Arbeitszeiten zu verkürzen oder die Arbeitsbedingungen anderweitig zu verbessern. Die Rohstoffpreise reichen nicht zur Deckung der Kosten einer nachhaltigen Produktion. Und Investitionen in umweltfreundlichere Energiequellen und Prozesse, insbesondere in den Fertigungsstufen mit den größten Belastungen (Landwirtschaft, Nassaufbereitung), können durch die mageren Einkommen der Produzenten und Hersteller nicht gedeckt werden.

Für eine gerechtere Modeindustrie sollten die wichtigsten Muster der Umverteilung darin bestehen, dass mehr Mehrwert in der Produktion und anderen arbeitsintensiven Teilen der Wertschöpfungskette verbleibt, der Anteil der großen Markenfirmen und Einzelhändler schrumpft und mehr Mehrwert in der Rohstoffherstellung verbleibt, insbesondere in der nachhaltigen Landwirtschaft. Dabei ist die Gewährleistung des Anspruchs auf einen existenzsichernden Lohn für alle Arbeitnehmenden im Modesystem zwar von entscheidender Bedeutung, aber zugleich lediglich ein Ausgangspunkt für die Verwirklichung umfassender wirtschaftlicher Gerechtigkeit.

Macht anders verteilen

Hoffnung schöpfen wir aus der Tatsache, dass es viele Menschen gibt, die trotz des scharfen wirtschaftlichen Gegenwinds und entgegen dem Trend versuchen, Mode und Textilien nachhaltiger zu konsumieren. Doch wir können uns nicht einzig auf den Widerstandsgeist Einzelner verlassen. Die Mängel im Betriebssystem der Mode lassen sich auch nicht allein durch freiwillige Initiativen oder eine Selbstregulierung der Unternehmen beheben. Die Regierungen tragen die Verantwortung und verfügen über die gebotenen Instrumente, um die Industrie auf den Weg der Transformation zu bringen.

 

David Hachfeld und Elisabeth Schenk sind Fachexperten Textil bei der Schweizer NGO Public Eye.

 

Download des Reports One-Earth Fashion und des Executive Summary auf Deutsch: publiceye.ch/one-earth-fashion

 

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© Annabelle Chih/Getty Images