Europas neues Berggeschrei

Rundbrief 2025/1

Für ein bisschen Autonomie: Vorstoß für metallischen Rohstoffabbau auch in Deutschland

Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen strebt die EU nach mehr Versorgungssicherheit bei kritischen Rohstoffen. Diese werden unter anderem für die Elektromobilität, Energiewende, Digitalisierung, Militär und Raumfahrt gebraucht. Um die Importabhängigkeit von wenigen, meist außereuropäischen Rohstofflieferländern zu reduzieren, sollen in Europa mehr Metalle abgebaut, veredelt und recycelt werden – auch in Deutschland. Am Beispiel des geplanten Lithiumabbaus im sächsischen Zinnwald zeigt sich die Ambivalenz dieser Vorhaben.

Der Krieg in der Ukraine und ausbleibende russische Gaslieferungen, unterbrochene Lieferketten während der Coronapandemie und Chinas Ausfuhrbeschränkungen auf Rohstoffe – all das hat Europa das Risiko von Rohstoffversorgungsengpässen deutlich vor Augen geführt. Allein China produziert weltweit 90 % der Seltenen Erden, des Galliums und Magnesiums und ist Hauptlieferant der EU für die meisten mineralischen Rohstoffe. Außerdem werden über 50 % des Lithiums und Kobalts in China raffiniert. Obwohl in der EU mehr als ein Viertel der weltweit produzierten Metalle verbraucht werden, sind hier nur sechs der 200 größten Bergbau-Unternehmen ansässig. Um die enormen Importabhängigkeiten – nicht nur gegenüber China – zu verringern, hat sich die EU 2024 auf ein gemeinsames Gesetz über kritische Rohstoffe, dendas Critical Raw Materials Act (CRMA), geeinigt. Kernziel des CRMA ist es, Abbau, Weiterverarbeitung und Recycling von 17 Rohstoffen, die nicht nur als kritisch, sondern auch als strategisch wichtig eingestuft wurden, in der EU bis 2030 stark zu erhöhen. Erreicht werden soll dies durch speziell ausgewählte sogenannte strategische Projekte.

Genehmigungsturbo für strategischen Projekte

Bis Ende August 2024 konnten Unternehmen Anträge auf Anerkennung als strategische Rohstoffprojekte bei der EU-Kommission stellen. Die meisten (77) der 170 eingereichten Anträge galten der Rohstoffgewinnung, unter anderem von Lithium, Kupfer, Nickel, Kobalt und Graphit. Auch aus Deutschland wurden fünf von zwölf Anträgen zum Rohstoffabbau eingereicht. Werden sie von der EU angenommen, könnten beschleunigte Genehmigungsverfahren dafür sorgen, dass der bisher nicht existente Metallabbau in Deutschland bald Realität wird. Verfahren für Bergbauprojekte dauern je nach Komplexität des Projekts unterschiedlich lang, manche fünf bis zehn Jahre. Genehmigungsverfahren für strategische Abbauprojekte sollen in nur 27 Monaten abgeschlossen sein. Als Projekte mit übergeordnetem öffentlichen Interesse kommt ihnen ein prioritärer Status zu. Den Behörden bleibt dann möglicherweise weniger Zeit für gründliche Prüfungen, zum Beispiel von umweltrechtlichen Vorgaben. Es besteht die Gefahr, dass Bergbau gegenüber Umweltschutz priorisiert wird – ein Umstand, der in vielen Rohstoffabbauländern, nicht nur im Globalen Süden, beklagt wird.

Eine erste Vorentscheidung über die Anerkennung von strategischen Projekten durch die EU-Kommission wird noch im ersten Quartal dieses Jahres erwartet. Als sicherer Bewerber aus Deutschland gilt die Zinnwald Lithium GmbH.

Weißes Gold aus Sachsen

Bisher wird in der EU nur in Portugal Lithium gefördert. Allerdings befinden sich mehrere Projekte in der Anlaufphase, so auch in Deutschland. Dabei ist unter allen Explorationsprojekten das Vorhaben der Zinnwald Lithium GmbH am meisten fortgeschritten. Ausgerechnet an der deutsch-tschechischen Grenze sollen die größten Lithiumvorkommen Europas liegen. In dem kleinen Ort Zinnwald bei Altenberg in Sachsen will das Unternehmen schon bald 12.000 Tonnen Lithium pro Jahr fördern. Doch was bedeuten diese Abbaumengen? Die Weltbank erwartet 2050 eine jährliche Lithiumproduktion von mehr als 450.000 Tonnen, was circa 350 % der jetzigen globalen Lithiumproduktion entspricht. Wichtige Abbauländer wie Chile verfügen jeweils über mehrere Millionen Tonnen Lithium. Das Gesamtvorkommen in Zinnwald, das auf 429.000 Tonnen geschätzt wird, erscheint dagegen eher klein. Laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zählt jedoch jedes einzelne Projekt. Bis zu 20 Lithium-Projekte könnten in Europa umgesetzt werden, die etwa 25 bis 35 % des europäischen Bedarfs im Jahr 2030 decken würden. Ob diese bei den hohen europäischen Lohnkosten und stark schwankender Lithiumpreise trotz Fördergeldern in Höhe vieler Millionen Euro überhaupt wirtschaftlich rentabel sein können, ist auch beim Zinnwaldprojekt fraglich. Der Preisverfall 2023/24 um mehr als 80 % hat bereits zu Minenschließungen in Australien geführt, obwohl diese deutlich höhere Erzgehalte als in Zinnwald aufwiesen.

Kein „Glück auf“?

Darüber hinaus hat sich gesellschaftlicher Protest gegen die Lithiumabbauvorhaben um Zinnwald herum formiert, und zwar von deutscher und tschechischer Seite, da beide Länder auf die gemeinsame Lagerstätte zugreifen wollen. Im sächsischen Teil ist ein großes Bergwerk mit Halden und Aufbereitungsanlage geplant, was große Bedenken bei der Bevölkerung ausgelöst hat, z.B. hinsichtlich der Gefahren für die Wasserressourcen oder der starken Staub- und Lärmbelastung sowie der Umweltauswirkungen durch den Schwerlastverkehr im engen Bielatal oder der notwendigen Waldrodungen. Das Bergbauprojekt könnte zudem das empfindliche Gleichgewicht der dortigen Naturschutzgebiete gefährden, was den Tourismus in der Region als wichtige Einnahmequelle schädigen würde. Schon durch die Projektplanungen habe ein Werteverfall von Immobilien und Grundstückswerten stattgefunden, sagen die Anwohner:innen. Nach Jahrzehnten des Bergbaus zur DDR-Zeit sind in den 1990er-Jahren viele Flächen im Osterzgebirge mit europäischen Fördergeldern renaturiert worden. All diese Bemühungen könnten zunichtegemacht werden. Zudem werden traumatische Erfahrungen mit Asthma und anderen Gesundheitsproblemen, die die Menschen in der Region in der Vergangenheit erlitten  haben, wieder präsent. Aus Sicht der Anwohner:innen auf beiden Seiten der Grenze stünde das Abbauprojekt einem ökologisch verantwortungsvollen und sozial verträglichen Lithiumabbau klar entgegen.

Schwierige Abwägungen

Das industrienahe Helmholtz-Institut Freiberg und die Zinnwald Lithium GmbH betonen hingegen die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zusätzliche Steuereinnahmen, Vorteile für das regionale Gewerbe, vermehrten Zuzug sowie den Aufbau von Expertise – mit dem Best-Practice-Beispiel Zinnwald als Vorbild. Zudem erfolge der Rohstoffabbau in Deutschland nach höchsten Umwelt- und Sozialstandards. Sicher kann davon ausgegangen werden, dass die Standards hierzulande höher sind als in vielen Rohstoffabbauregionen im sogenannten Globalen Süden, aber ab wann sind die Belastungen für Mensch und Umwelt akzeptabel und ab wann lohnt es sich für 800.000 Elektroautos mehr im Jahr gegen den Willen eines Großteils der Menschen vor Ort ganze Landstriche nachhaltig zu schädigen, enorme Summen an Steuermitteln für Investitionen, Kompensationen und Renaturierungen auszugeben und sich diesem ganzen Hickhack auszusetzen? Und das an Dutzenden weiteren Standorten in Europa, allein um ein paar wenige Prozente unseres Lithiumsbedarfs selbst zu decken? Ähnliches stünde uns bei den Abbauvorhaben für die anderen 16 kritisch-strategisch ein gestuften Rohstoffe bevor, die der CRMA identifiziert hat. Macht das unser Wirtschaftssystem wirklich resilienter? Andererseits ist ein modernes Leben ohne die Verwendung von Metallen kaum vorstellbar. Es ist zudem ungerecht, weiterhin kritische Rohstoffe nahezu vollständig zu importieren, weil uns unsere Gesundheit und Umwelt zu schade ist, während anderswo Menschen unter möglicherweise noch schlechteren Abbaubedingungen leiden. Vielleicht wäre es für unser Bewusstsein im Umgang mit Ressourcen ganz heilsam, ein paar Abbauprojekte in unserem näheren Umfeld auszuhalten.

Notwendige Richtungsentscheidungen

Das Hauptproblem ist jedoch, dass mit dem falschen Fokus des CRMA auf Rohstoffabbau wieder eine Chance vertan wurde, konkrete Ziele und Instrumente zu etablieren, den EU-Rohstoffverbrauch zu reduzieren und das Recycling inklusive der Rohstoffgewinnung in alten Halden vor Bergbau zu priorisieren. Mit dem angestrebten Abbau der verschiedenen Metalle sollen vor allem die Bedürfnisse europäischer und insbesondere deutscher Automobilhersteller bedient werden. Doch gerade in diesem Sektor müsste dringend umgesteuert werden: kleine, leichtere und auch weniger Autos, vor allem in den Städten, bei gleichzeitigem Ausbau der Mobilitäts- und Transportalternativen. Das wäre ein Gewinn für alle in puncto bessere Umwelt, Gesundheit und Sicherheit, neue Freiheiten und wirtschaftliche Chancen. Großes ökonomisches Potenzial und ein vielversprechender Ausweg aus der Abhängigkeitsfalle vom Rohstoffimport bietet überdies die Kreislaufwirtschaft. Der EU zufolge könnte ein optimiertes Rohstoff-Recycling eine zusätzliche Wertschöpfung von 80 Milliarden Euro und 700.000 neue Arbeitsplätze bringen. Auch hier ist der CRMA zu unambitioniert und vielfach ohne klare Maßnahmen und Verpflichtungen zu Recycling, nachhaltigem Produktdesign oder Abfallvermeidung. Dabei eröffnen sich mit der Kreislaufwirtschaft viele Möglichkeiten, unseren Rohstoffverbrauch und damit Abhängigkeiten zu minimieren und gleichzeitig ein innovatives, zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell mit neuen guten Arbeitsplätzen zu schaffen. Die noch im alten Bundeskabinett verabschiedete Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie gibt zumindest Anlass zur Hoffnung, sollte sie von der neuen Regierung entschlossen umgesetzt werden.

Josephine Koch ist Referentin für Ressourcen- und Rohstoffpolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.

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