Es geht nicht nur um die eine Koalition

Rundbrief 2025/1

Nach der Bundestagswahl hat sich die neue Regierung nicht nur dem Krieg gegen die Ukraine zu widmen – sie muss sich global neu positionieren

Die Monate nach der Bundestagswahl und dem Amtsantritt der Regierung Trump 2 werden zum Testfall dafür, wie sich die Bundesregierung in einer sich neu sortierenden Weltordnung aufstellt. Sie hat die Wahl zwischen zwei Ansätzen: Entweder folgt sie einem Modell, das auf Gleichberechtigung, internationalem Recht und Menschenrechten basiert und ihr neue Koalitionsoptionen eröffnet, oder sie setzt auf Besitzstandswahrung und nationale Egoismen. Die Verhandlungen zur 4. Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung werden exemplarisch zeigen, welche Richtung eingeschlagen wird.

Die Liste der außenpolitischen Hausaufgaben der nächsten Bundesregierung ist beträchtlich. Neben den akuten Krisen und Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine geht es – vor dem Hintergrund des rechtsautoritären Wandels in den USA – in zahlreichen weiteren Bereichen darum, bestehende Institutionen und Organisationen zu erhalten. Die Vereinigten Staaten haben sich bereits aus dem Pariser Abkommen und der Weltgesundheitsorganisation zurückgezogen. Zudem haben sie der Welthandelsorganisation praktisch den Todesstoß versetzt, indem sie das Diskriminierungsverbot aufkündigten. Die in jahrelangen Bemühungen erarbeiteten, wenn auch unzureichenden Abkommen über die Besteuerung transnationaler Unternehmen in der OECD wurden beerdigt. Außerdem zogen sich die USA aus dem UN-Menschenrechtsrat sowie aus den Verhandlungen über eine UN-Steuerrahmenkonvention zurück und distanzieren sich selbst von der G20.

Wettbewerb über alles?

Gleichzeitig verfolgt auch die Europäische Kommission unter den Mottos „Bürokratieabbau“ und „Wettbewerb“ das Ziel, zentrale menschenrechtliche und umweltpolitische Errungenschaften der vergangenen Jahre nicht zu verbessern oder praktikabler zu gestalten. Stattdessen sollen sie, noch bevor sie in Kraft treten, in den Omnibus gepackt und abgeschafft werden. Dieser Abschied von Grundprinzipien globaler Solidarität findet seine Entsprechung in den Ankündigungen des voraussichtlich nächsten Bundeskanzlers noch am Wahlabend, geltendes internationales Recht – im Fall des internationalen Haftbefehls gegen den israelischen Premier – nicht umsetzen zu wollen.

Die nächste Bundesregierung sollte sich ihrer globalen Verwundbarkeit bewusst werden. Sie muss sorgfältig überlegen, mit welchen Partnern sie nachhaltige gemeinsame Interessen teilt und wie diese in multilateralen Zusammenhängen gestärkt werden können. Ein besonderer Prüfstand dafür ist der Verhandlungsprozess, der im Juni in der 4. Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (FfD4) in Sevilla gipfelt. Die dritte Vorbereitungssitzung endete Mitte Februar.

Entgegen dem, was der Konferenztitel vermuten lässt, geht es bei FfD4 nicht ausschließlich darum, wie reiche Länder ärmeren finanziell helfen können – es ist keine Geberkonferenz.[1] Vielmehr soll erörtert werden, wie die Institutionen der globalen Ökonomie so gestaltet werden können, dass sich alle Länder im Rahmen planetarer Leitplanken eigenständig sozial und ökonomisch entwickeln. Bereits bei den Vorgängerkonferenzen kam es immer wieder zu Konflikten. Vor allem die Länder des Globalen Südens fordern seit Langem Reformen in der internationalen Zusammenarbeit bei Steuerfragen und in der Behandlung von Staatsschuldenkrisen, wie sie aktuell zu beobachten sind. In den Bereichen der Handels- und Investitionspolitik sowie in technisch hochkomplexen Feldern wie der Geld- und Währungspolitik verlangen sie eine gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungen und entsprechenden Ergebnissen.

Bisher versuchen die reichen Länder, die ihnen historisch durch koloniale Vormachtstellung zugesprochene Autorität über die zentralen Stellschrauben der Weltwirtschaft zu bewahren. Dazu zählen etwa ihre de facto Sperrminoritäten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und in der Weltbankgruppe. Ebenso verlagerten sie Entscheidungskompetenzen in von ihnen kontrollierte Gremien wie die OECD oder den Basler Ausschuss, in dem die internationale Bankenregulierung abgestimmt wird. Lediglich der Aufstieg Chinas und einiger weiterer Länder hat diese Dominanz ernsthaft in Frage gestellt. Folgerichtig haben die USA im Februar angekündigt, sich aus den FfD4-Verhandlungen zurückzuziehen beziehungsweise kein Ergebnis anzuerkennen, das die Entscheidungskompetenzen dieser Institutionen berührt.[2]

Die Chance für neue Koalitionen

Europäische Länder und Deutschland haben nun die Chance, im weiteren Verhandlungsprozess bis Juni zu beweisen, dass sie den aktuellen Wandel in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen verstanden haben. Sie können sich in Besitzstandwahrung üben – oder sich den Positionen der Länder des Globalen Südens öffnen. Letzteres würde bedeuten, diesen Ländern größere Mitspracherechte und einen größeren Anteil an der globalen Wertschöpfung zuzugestehen. Damit könnten sie das Vertrauen neuer, wichtiger Partner gewinnen. Die Abstimmungsergebnisse in der UN-Generalversammlung und im Sicherheitsrat am 24. Februar haben deutlich gezeigt, dass gerade europäische Länder neue Koalitionspartner benötigen.[3]

Dies erfordert jedoch einen Wandel in der Haltung. In den bisherigen Verhandlungsrunden wies die Bundesregierung immer wieder darauf hin, dass Reformen bei den Bretton-Woods-Institutionen ausschließlich in den Gremien von Weltbank und IWF beraten und beschlossen werden können. Dabei setzt sie jedoch ein Maß an Selbstkritik und Selbsterkenntnis voraus, das derzeit kaum zu erwarten ist. Stattdessen sollte sie ein starkes politisches Signal aussenden – beispielsweise von Sevilla aus.

Nicht auf die anderen warten …

Es wird natürlich nicht einfach sein, in dem aktuellen Interessenkonflikt ein ambitioniertes und von allen getragenes Ergebnis bei FfD4 zu erzielen. Die gute Nachricht ist: Um das in den letzten Jahren verlorene Vertrauen – etwa im Zusammenhang mit der Weigerung, Impfstoffpatente während der Pandemie freizugeben – wieder aufzubauen, ist die Bundesregierung nicht zwingend auf die globale Ebene angewiesen. Sie kann beispielsweise ihrer langjährigen Verpflichtung nachkommen, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens für internationale Zusammenarbeit bereitzustellen. Dabei könnte sie sich von Ländern wie dem Vereinigten Königreich abheben, das kürzlich angekündigt hat, solche Mittel lieber in die Aufrüstung zu investieren. Noch verfügt die Bundesrepublik über finanzpolitische Spielräume, von denen andere Länder nur träumen können – vorausgesetzt, sie befreit sich von selbst auferlegten Sparzwängen.

Eine weitere Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen, bestünde darin, durch eigene Gesetzgebung ein zentrales Problem bei der Bewältigung von Schuldenkrisen zu lösen: die Beteiligung privater Gläubiger an Entschuldungsmaßnahmen. Erlassjahr.de hat dazu detaillierte, unkompliziert umsetzbare und kostengünstige Vorschläge erarbeitet.[4]

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass es mindestens einen dritten Weg gibt, die internationalen Bindungen Deutschlands zu stärken. Dieser Weg steht im Gegensatz zu dem, was derzeit von den Unionsparteien sowie neurechten und neokonservativen Medien betrieben wird. Es geht darum, die Zivilgesellschaft in Deutschland zu stärken, unabhängiger zu machen und nicht zu bedrohen. International wird genau beobachtet, wie die Bundesregierung Themen wie Vereinigungsfreiheit und politische Partizipation handhabt. Zudem sind unabhängige Beziehungen zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen – wie sie beispielhaft auch bei den FfD4-Verhandlungen zu beobachten sind – ein Weg, um die oft propagierten Beziehungen „auf Augenhöhe“ mit den wichtigen, zunehmend einflussreichen Partnern weltweit zu erhalten und auszubauen. Dies ist ein Weg, den die sogenannten Systemkonkurrenten nicht beschreiten können.

Es geht also nicht nur um die anstehenden Koalitionsverhandlungen, in denen sich die neue Rolle Deutschlands in der Welt abzeichnen wird. Auch die medial intensiv verfolgten Prozesse und Krisen sind nicht alles. In den kommenden Monaten wird vieles auf dem Spiel stehen. Man kann nur hoffen, dass sich die Bundesregierung während des Regierungswechsels nicht von Ängsten und kulturkämpferischen Rachefantasien leiten lässt.

Wolfgang Obenland – Der Autor leitet den Arbeitsbereich Internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik im Forum Umwelt & Entwicklung.

 

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