Habecks CCS-Ministerium
2011 hielt Robert Habeck im schleswig-holsteinischen Landtag zur Ablehnung des CCS-Gesetzes im Bundesrat eine Rede. Dabei sagte er unter anderem: „Österreich nutzt die von der EU eingeräumte Möglichkeit, die dauerhafte geologische Speicherung von Kohlenstoffdioxid zu verbieten. Das sollten wir auch fordern, am besten bundesweit. Wenn das nicht gelingt, dann als klaren Satz ohne Abwägungs-Klimbim als Länderklausel. Dafür sollten wir ab heute kämpfen. Am besten wieder gemeinsam. Schleswig-Holstein ist kein Land für CCS.“ [i]
Anfang 2023 ist Robert Habeck, mittlerweile Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Vize-Kanzler, zu Besuch in Norwegen und fordert nun, dass Deutschland ein CCS-Gesetz brauche. CO2 solle tief unter dem Meeresboden verpresst und mit Pipelines nach Norwegen verbracht werden, wo es bereits erschlossene Lagerstätten gebe.[ii]
Politiker:innen dürfen ihre Meinung ändern. Nicht alle Wahrheiten bestehen unverändert fort, das ist auch gut so. Politiker:innen sind auch nur Menschen, die sich irren, fortbilden, lernen. Vordergründig hat das auch Robert Habeck getan. Der Analyse des Wirtschaftsministeriums (BMWK) zufolge sind die deutschen Klimaziele nicht mehr zu erreichen, außer man setzt CCS ein. Und zwar nicht nur für industrielle Abscheidungsprozesse, sondern ultimativ auch für Negativemissionen. Damit wird CO2 aus der Atmosphäre gesaugt und anschließend unterirdisch gespeichert. Diese CCS-Klimaschutz-Aussage kommt auch von anderer Seite. So diskutierte der Weltklimarat (IPPC) CCS ebenfalls als eine mögliche Maßnahme. Allerdings, das muss man einschränkend dazu sagen, als teure und allerallerallerletzte Möglichkeit. Alle anderen sich bietenden Optionen sollten vorher gezogen werden. Von Vermeidung über Suffizienz über Effizienz hin zu der Frage, ob sich nicht auch Zement mittelfristig substituieren oder reduzieren lasse.
CCS ist plötzlich alternativlos
In der wieder aufgekommenen Debatte um CCS, die zuletzt 2011 sehr hitzig geführt wurde, ist eines neu: Es wird auf einmal als unumstößliche Wahrheit hingestellt, dass man CCS zur Erreichung der Klimaziele benötige. Es gibt keine andere Möglichkeit. Punkt. Wir müssen das machen. Punkt. Wir haben keine Alternativen. Punkt.
Bisher waren unsere Bemühungen im politischen Raum getrieben davon, dass es auch andere Wege gab. Häufig wollte man sie nicht beschreiten, weil es jener regierenden Partei dann nicht anstand und nicht dem Willen ihrer Klientel entsprach, dann kam eine neue und machte es anders. Und das klappte dann auch. Und wenn was nicht klappte oder Lücken hatte, dann wurden Gesetze an die neuen Notwendigkeiten angepasst.
Das Narrativ der Alternativlosigkeit ist neu. Und gefährlich. Weil es bedeutet, dass jene, die es anders sehen, als potenzielle Ignorant:innen, „Wenig-Wissende“ oder schlimmer Klimawandel-Negierer:innen hingestellt werden. Es nimmt jenen, die mahnen, ihre Glaubwürdigkeit. Es macht sie zu Menschen und Organisationen, die eben bisweilen etwas durchgeknallt sind und die man nicht ernst nehmen muss. Weil sich die Mehrheit der Entscheidenden bereits eine Meinung gebildet hat. Und die lautet: Wir machen das jetzt. Koste es, was es wolle.
Perfekte Hochglanzpräsentationen der Öl- und Gaslobby liegen bereit
Interessant an der neuen Debatte ist, dass die Verkaufsstrategien derer, die die Infrastruktur bereitstellen wollen, nahezu perfekt geworden sind. In Hochglanz-PowerPoint-Präsentationen zeigt beispielsweise der Öl- und Gaskonzern Equinor seine beiden Projekte Sleipner und Snøhvit als How to do it right-Vorzeigemodelle. Wir machen das schon seit 30 Jahren. Wir haben das Know-how. Risiken gibt es so gut wie keine. Genau jene fossilen Konzerne, die uns die Klimakrise erst eingebrockt haben, lobbyieren also für und verdienen an CCS. Bis sich erste Schäden der Technik zeigen, ist die Haftung eh in staatliche Hand übergegangen und die Konzerne sind fein raus.
Meist gibt es unter den 20 Hochglanzfolien mit vielen Bildern und fantastisch klingenden Zahlen genau eine Folie, auf der steht, dass man Umweltrisiken und negative Auswirkungen auf die Meeresumwelt doch nicht ganz ausschließen könne. Aber, und dann kommt das Totschlagargument, es sei eben alternativlos und deswegen eigentlich obsolet über Risiken zu sprechen, wenn man wisse, dass man es machen müsse.
Die politischen Entscheidungsträger:innen im Raum schauen auf die Folien und nicken. Klingt überzeugend. Und die Zahlen. Da geht es um richtig viel Geld. Da kann man die schwächelnde deutsche Wirtschaft mit boosten. Es gibt mittlerweile Dutzende Start-ups, die sich in die Richtung Negativemissionen, Abscheidemaschinen und Nutzungsmöglichkeiten von CCS gegründet haben. Start-ups und CCS. Zwei glänzende Worte in einem Satz. Dabei glänzt CCS höchstens hässlich. Ein Abfallprodukt aus industriellen Prozessen, das nach der Vorstellung der Industrie über tausende Kilometer per Pipeline transportiert und dann irgendwo in der deutschen Nordsee verpresst wird. Stillschweigend und unkompliziert.
Alle Parteien setzen sich mit CCS auseinander
Im politischen Berlin hat sich der Konsens, dass man das machen muss, weitestgehend durchgesetzt. Dazu sollte man wissen, wie sich Politiker:innen eine Meinung bilden. Diese ist mitnichten lediglich durch Fakten und Wissen geformt, sondern auch durch Verbindlichkeiten und Versprechen, die man im Wahlkampf gegeben hat, bedingt durch den Wahlkreis und die dort angesiedelte Industrie, bedingt durch die Parteilinie. Es ist wie eine Losung, die oben ausgegeben und bis nach unten durchgereicht wird.
Die CDU hatte in Bezug auf CCS nie irgendwelche Bedenken, genauso wenig wie die FDP, die es für einen Versuch der Deindustrialisierung hält, wenn man es nicht mache. Die SPD hat eine gewisse Grundskepsis und diese in ein Positionspapier gegossen.[iii] Dann wären da noch die Grünen. Von denen würde man ja erwarten, dass sie eine differenzierte Meinung und Herangehensweise dazu haben. Wer schreibt sich den Umweltschutz so groß auf die Fahnen wie die Grünen? Niemand. Die Chance also für die Grünen, hier vorsichtig, skeptisch, abwägend in die Debatte zu gehen.
BMWK und Habeck fällen Entscheidung, Grüne folgen
Leider aber klappte das so nicht. Denn, Vorhang auf für das BMWK und Robert Habeck, stand eines schönen Tages im Februar 2024 plötzlich eine nicht ressortabgestimmte erste Fassung (sogenannte Eckpunkte) der Carbon Management Strategie (CMS) auf der Website des Ministeriums. In den Medien wurde gemeldet, dass nun ausgerechnet Robert Habeck ein Verfechter von CCS geworden sei.
Für die grüne Fraktion war das nicht nur unglücklich, sondern fatal. Wie eine eigene Meinung bilden, wenn der eigene Minister schon angekündigt hatte, wie das zu laufen habe? Wer wollte dagegen Opposition machen und die eigene politische Karriere mit wehenden Fahnen beenden?
Erschwerend kommt hinzu, dass die grüne Fraktion in der Frage CCS selbst gespalten ist. Es gibt diejenigen, die den Weg von Robert Habeck mitgehen wollen und nicht verstehen, wie man das anders sehen kann. Weil anerkannte Institute wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Öko-Institut oder die Stiftung Klimaneutralität in jeder Analyse schreiben, ohne CCS werde es nicht gehen.
Dann gibt es jene in der Fraktion, die Ökos, die sehr skeptisch sind. Die berechtigte Fragen haben. Wie das denn genau vonstattengehen solle mit der Verpressung? Wie gut man die Bohrlöcher in der deutschen Nordsee kenne? Wie dicht die sind? Wie wird das alles überwacht und mit welcher Technik? Was das für den Meeresschutz bedeutet, wenn da plötzlich Pipelines ins Meer laufen?
Und, die vielleicht wichtigste Frage von allen, welchen Anreiz die Industrie dann noch habe ihre Emissionen zu reduzieren? Wenn Sie ihr CO2 am Ende noch gewinnbringend verkaufen kann? Und nichts Geringeres ist ja der Plan. CO2 soll ein Rohstoff werden, mit dem man handelt und Geld macht.
Eine geniale Strategie, und sie funktioniert
Während nach vorne propagiert wird, selbstverständlich wolle man CCS nur im Notfall als Rückfalloption einsetzen, steht in der CMS davon nichts. Die Technologie wird kaum beschränkt, die Frage der Anwendungsgebiete ist nicht geklärt. Macht nichts, sagen die Verfechter:innen. Hauptsache wir haben erstmal das Gesetz und dann schauen wir weiter. Macht nichts, sagt die Industrie, die zunehmend auf Explorationslizenzen drängt, damit Sie die Bohrlöcher endlich auf Eignung für die Verpressung prüfen kann.
Die Mahner:innen werden nicht ernst genommen. Wer den natürlichen Klimaschutz hervorhebt und technischen Lösungen eine Absage erteilen möchte, ist nicht en vogue, hat einfach nicht verstanden, was wir jetzt brauchen.
Es gab mal eine Zeit, da waren Suffizienz und Degrowth keine Begriffe, für die man sich schämen musste. Da war klar, dass es kein „Weiter so“ für die Industrie geben kann, wenn wir konsequent die Klimaziele verfolgen. Da war klar, wir brauchen Reduktionsstrategien und erneuerbare Energien und den Mut, manche Industriezweige perspektivisch zu beerdigen. Weil wir Alternativen haben. Weil es eben doch anders geht. Weil wir ein Land der Denker:innen und der Ingenieur:innen sind.
Es gab eine Zeit, in der klar war, dass Klimaschutz nicht immer Umweltschutz ist, aber Umweltschutz immer Klimaschutz. Dass wir unsere natürlichen Ökosysteme schützen, erhalten und wiederherstellen müssen. Heute firmiert das als „nice to have“. Die harten Fakten aber, die sollen technische Lösungen liefern. Beherrschbarer, belastbarer, vorhersehbarer. Wird gesagt.
Es erinnert an die Sage von der Atomkraft. Die war auch beherrschbar, belastbar und vorhersehbar. So lange, bis sie es nicht mehr war.
Toni Erdmensch.
Quellen:
[i] Landtag Schleswig-Holstein (2011): Robert Habeck zur Aktuellen Stunde zur Ablehnung des CCS-Gesetzes im Bundesrat https://www.landtag.ltsh.de/presseticker/2011-10-05-11-43-22-09df/
[ii] ZDF heute (2024): Habeck will CO2-Speicherung auf hoher See https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/habeck-co2-ccs-meer-klimawandel-100.html
[iii] SPD Fraktion im Bundestag (2023): CCS und CCU: Vorrang für Vermeidung https://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/ccs-ccu-vorrang-vermeidung
Bild: © tagesthemen