CCS ist ein neokoloniales Verschmutzungsprojekt
Die Gesetzgebung zur Ermöglichung von CCS in Deutschland schreitet rasant voran. In diesem Zusammenhang wird vor allem über die Auswirkungen von CCS hinsichtlich seines falschen Klimaschutznarrativs, Dekarbonisierung der europäischen Industrie und Umweltbelastungen durch CO2-Deponien diskutiert. Weniger betrachtet werden die Auswirkungen des Aufbaus einer CO2-Entsorgungsstruktur und CCS-Gesetze auf Länder im Globalen Süden. Diese sind jetzt bereits direkt betroffen von CCS-Projekten und auch ein künftiger Export deutschen CO2-Mülls in den Globalen Süden ist langfristig sehr wahrscheinlich.
Mit Carbon Capture and Storage (CO2-Abscheidung und -Speicherung, CCS) soll CO2 bei industriellen Prozessen und der Energieerzeugung herausgefiltert, zu Endlagerstätten transportiert und in unterirdischen Gesteinsformationen deponiert werden. Bisherige Projekte dieser Art sind überwiegend nicht zur langfristigen Speicherung des Kohlendioxids, sondern zur Ausweitung der Öl- und Gasförderung in Betrieb. Dabei wird aus Abgasen gefiltertes CO2 in Öl- oder Erdgaslagerstätten verpresst, um die Öl- und Erdgasproduktion zu steigern (sog. enhanced oil recovery, EOR). Bestehende Speicherprojekte, etwa in Norwegen, verarbeiten dabei lediglich kleine Mengen und sind mit Unsicherheiten behaftet.
Da CCS derzeit nur für Forschungszwecke in Deutschland erlaubt ist, müssen gleich mehrere Gesetze geändert werden, um eine großskalige Verwendung zu ermöglichen. Im Mai 2024 verabschiedete das Kabinett Eckpunkte für eine Carbon-Management-Strategie (CMS). Daraus folgte bereits ein Entwurf zur Änderung des Kohlenstoffdioxid-Speicherungs- und Transportgesetz (KSpTG), der derzeit von Bundesrat und Bundestag diskutiert wird. Mit diesem Gesetz soll der Ausbau von CCS mit einer flächendeckenden CO2-Transportinfrastruktur und CO2-Deponien umgesetzt werden.
Blinder Fleck: Export von CO2 in den Globalen Süden
Ermöglicht werden soll auch der CO2-Export zwecks Offshore-Speicherung in Drittstaaten. Dafür müssen eine Änderung von Art. 6 des Londoner Protokolls (LP) ratifiziert und Änderungen im Hohe-See-Einbringungsgesetz (HSEG) vorgenommen werden, wozu das Wirtschaftsministerium zwei Gesetzesentwürfe erarbeitet hat. Beides ist notwendig, da der Export von Abfällen zur Entsorgung im Meer gemäß dem LP verboten ist, mit Ausnahme von CO2. Den entsprechenden Artikel hat Deutschland bisher nicht unterstützt.
Diese Gesetzesänderung wird derzeit hinsichtlich des geplanten Exports von CO2 nach Norwegen diskutiert. Aber warum sollte es langfristig dabei bleiben? Nicht nur spricht alles in unserem historischen und derzeitigen Umgang mit Müll, Gift und anderen negativen Effekten unseres Wirtschaftens dafür, dass langfristig CO2 nicht in der Nordsee deponiert wird, sondern irgendwo im Globalen Süden. Außerdem gibt es bereits Investitionen europäischer und amerikanischer Konzerne in CCS in Afrika, Asien und Lateinamerika.
CCS ist bereits Realität im Globalen Süden
Vor allem CCS für EOR, die Verpressung von CO2, um an mehr Erdöl zu kommen, ist Standard in der Öl- und Gasförderung, beispielsweise in Angola und Nigeria, und wird von den fossilen Konzernen wie Shell, Halliburton oder ExxonMobil dort langfristig ausgebaut, um Fördermöglichkeiten weiter ausschöpfen zu können. Denn die meisten westafrikanischen Erdölfelder werden in den nächsten 20-40 Jahren ausgefördert sein, bereits jetzt bereitet sich die Erdölindustrie mit CCS darauf vor. EOR soll zukünftig vor der Küste Ghanas, im Nigerdelta oder im Meer vor Äquatorialguinea betrieben werden. Ähnliches gilt für Erdölförderprojekte in Asien, beispielsweise in Indien.
Mit CCS Klimaverschmutzung offsetten
Hinzu kommen CCS-Projekte, die als Klimaschutzmaßnahmen vermarktet werden und durch welche Emittenten aus dem Globalen Norden Klima-Offsets betreiben können. Das Perfide daran ist, dass CO2-Deponien in Ländern geschaffen werden, die gar keinen signifikanten Beitrag zum Emissionsausstoß und der Klimakrise geleistet haben.
Insbesondere die USA, Großbritannien oder Norwegen werben für CCS auf internationalen Konferenzen, wie den Klimaschutzverhandlungen, und organisieren dazu Gespräche, beispielsweise mit afrikanischen Regierungen. Bei einem u.a. von der Pro-CCS NGO Bellona und dem International CCS Knowledge Centre organisierten Side Event auf der Klima-COP 2022 in Sharm el-Sheikh erklärte der Chef der US-Energiebehörde, CCS sei eine Möglichkeit für Afrika, sich mit einem viel niedrigeren CO2-Fußabdruck zu entwickeln und industrialisieren. Mit CCS könne eine neue Industrie in Afrika geschaffen werden, die die Dekarbonisierung der Industrie ermögliche.[1]
Es gibt bereits einige Projekte in Afrika, die Carbon Credits verkaufen und Offsetting für CO2-Emissionen weltweit versprechen. Dazu gehören kommerzielle Direct Air Capture (DACCS)- und Bioenergie-CCS-(BECCS)-Projekte, die in den letzten Jahren zunehmend in Afrika aufschlagen und u.a. von der Beratungsfirma McKinsey oder der Weltbank als Klimaschutz beworben werden, obwohl die tatsächliche Emissionsreduktion und Klimaschutzwirkung überhaupt nicht bewiesen sind. Geld wird dadurch von sinnvollen Klimaschutzprojekten in CCS-Projekte umgeleitet. Großbritannien, einer der größten staatlichen Financiers von CCS, investierte seit 2018 bereits über 70 Millionen Pfund (ca. 84 Millionen Euro) in CCS-Projekte der Weltbank und Asian Development Bank im Globalen Süden und Schwellenländern als Teil seines internationalen Klimafinanzierungsbeitrags, trotz der bewiesenen Ineffektivität der CCS-Projekte in Indonesien, Südafrika, China und Mexiko.[2]
In Kenia haben sich mehrere, zumeist von amerikanischen Start-ups geleitete DACCS-Projekte angesiedelt, die die besonderen geothermalen Bedingungen des Landes nutzen wollen, um die Mineralisierung von zuvor dort aus der Atmosphäre gezogenem CO2 im Vulkangestein durchzuführen. Die Funktion und Effektivität dieser Anlagen sind kaum bewiesen, da keine Daten existieren und die Techniken für Abscheidung und Deponierung durch die Firmen nicht veröffentlicht werden. DACCS, wie alle CCS Projekte, kann darüber hinaus je nach Energie- und Wasserverbrauch, Einsatz von Chemikalien sowie Wärmegenerierung sehr unterschiedliche starke Belastungen auf die Umwelt des Standortes haben.
BECCS-Projekte sollen in Ländern wie Tansania aufgrund potenzieller großer Anbauflächen für Energiepflanzen umgesetzt werden. Solche BECCS-Anlagen sind vor allem für Offsets im Carbon Market interessant. So wurde beispielsweise im IPCC-Bericht vorgeschlagen, die USA könnten ihre ambitionierten Klimaziele der Biden-Regierung bis 2030 erreichen, wenn massiv in afrikanische BECCS-Projekte investiert würde.[3]
CO2-Export in den Globalen Süden gibt es bereits
Auch der Export von CO2 ist bereits Teil der CCS-Logik, mit einer Art Zirkelschluss der Verschmutzung. Fossile Brennstoffe wie Öl und Gas oder Bioenergiepflanzen werden im Globalen Süden ab- bzw. angebaut, in den Norden zur Verbrennung transportiert, und das Abfallprodukt CO2 anschließend in den ausgeförderten Bohrlöchern wieder deponiert.
Südkorea, Japan und Singapur setzen auf CO2-Export vornehmlich aus der erdgasbasierten Wasserstoffproduktion und der Bioenergieerzeugung nach Indonesien und Malaysia. Japan erarbeitet derzeit ein entsprechendes CCS-Gesetz und drängt auf einen internationalen Rechtsrahmen für überregionale CCS-Projekte. Das Land ist einer der Hauptimporteure von Palmkernschalen, ein Nebenprodukt der schmutzigen, Wälder zerstörenden Palmölproduktion, u.a. für die Bioenergieproduktion. Eine BECCS-Anlage ist beispielsweise das Mikawa Kraftwerk in Omuta, Fukuoka, wo vor allem Palmkernschalen, die zu 70 % aus Indonesien und 30 % aus Malaysia stammen, verbrannt werden. Das CO2 soll zukünftig wieder in diese Produktionsländer zurückgebracht und in ehemaligen Öl- und Gasfeldern deponiert werden. Entsprechende Exportvereinbarungen gibt es bereits.
Neue Absatzmärkte für die fossile Industrie
Hinter all diesen Plänen stecken staatliche und private Erdöl- und Erdgaskonzerne, die mit CCS neue Absatzmärkte in Asien und Afrika und ein neues Geschäftsmodell beispielsweise im Wasserstoff sehen. Projekte in Südostasien werden in Partnerschaft mit ExxonMobil und Pertamina in Indonesien und ENEOS, Osaka Gas und Petronas in Malaysia verwirklicht. ExxonMobil will CCS-Hubs in Asien, wie Indonesien, aufbauen, bis 2030 sollen die ersten CCS-Projekte beginnen. Ende 2023 kündigte ExxonMobil an, 15 Milliarden US-Dollar in Petrochemie und CCS Projekte in Indonesien zu investieren, davon 2 Milliarden in CCS Deponien in der Java Sea. Diese CCS-Anlagen sollen die größten in Südostasien werden.
In Brasilien treibt die staatliche Erdölfirma Petrobas die Entwicklung von CCS-Technologien voran und lobbyiert für eine CCS-Gesetzgebung. Im Land gibt es derzeit bereits drei CCS-Projekte, darunter in den Tupi, Mero und Búzios Offshore-Erdölfeldern, am Kohlekraftwerk in Criciúma und ein geplantes BECCS-Projekt an der Lucas do Rio Verde Mais-Biokraftstoffraffinerie, bei dem derzeit ein CO2-Deponieort gesucht wird.
Mit CCS muss kein wirklicher Klimaschutz mehr betrieben werden
CCS verändert das Klimaschutznarrativ ganz grundlegend. Statt alles zu tun, um Emissionen zu vermeiden, können diese nun deponiert und exportiert werden. Doch selbst wenn nur ein Teil der CCS-Projekte realisiert würde, würden auch hier aufgrund technischer Gegebenheiten und Fehleranfälligkeit sowie möglicher Leckagen CO2-Emissionen entstehen. Weitaus gravierender werden aber die „regulären“ Emissionen sein, bei denen eine Vermeidung gar nicht versucht wird, weil der politische Wind eben nicht mehr in diese Richtung weht. Dabei gehen selbst industriefreundliche Prognosen von einem verschwindend kleinen Beitrag von CCS zur Emissionsminderung aus. Sollten alle CCS-Anlagen umgesetzt werden, die die CCS-Lobby angibt, wären es 2,4 % der weltweiten CO2-Emissionen bis 2030.[4]
CCS ist für ganze Industriezweige der Rettungsanker, damit sich nichts grundlegend verändern und vor allem nicht vom stetigen Wachstumspfad abgewichen werden muss. In Deutschland zeigt dies eindrücklich der Haltungswechsel des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Noch vor wenigen Jahren war für den VCI klar, die Klimaneutralität bis 2045 ist machbar ohne CCS-Technologien. In der Studie „Roadmap Chemie 2050 – Auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie“ von 2019 wird CCS nicht mit betrachtet und lediglich am Rande als Option genannt. Die Minderung der Treibhausgasemissionen basierte auf Effizienzsteigerung, grünem Strom, neuen Rohstoffquellen und neuen Verfahren. Nur vier Jahre später spielt in der Studie „Chemistry4Climate – Wie die Transformation der Chemie gelingen kann“ neben den Strategien von 2019 ebenso CCUS eine tragende Rolle.
Auch andere Industriezweige springen auf und deklarieren ihre Treibhausgasemissionen als unvermeidbare Restemissionen. Vor allem die Kalk- und Zementindustrie sowie die Glasindustrie könnten auf anderem Weg nicht klimaneutral werden. Gleiches gilt plötzlich für die Stahl- und Chemieindustrie, obwohl es lange Dekarbonisierungsstrategien gab, die auf Elektrifizierung der Industrie und Einsatz neuer Materialien setzten. Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer würde fast jedes zweite Unternehmen auf CCS-Technologien setzen, sofern diese wirtschaftlich wären.[5]
Im Grunde heißt dies, alle machen weiter wie bisher, wenn der Staat sich um die Entsorgung des CO2s kümmert. Dass die vermeintlichen Speicher in der deutschen Außenwirtschaftszone dafür nicht ausreichen und sich der CO2-Export niemals nur auf Nordeuropa beschränken wird, kann man sich ausmalen. Es besteht die reale Gefahr, dass Deutschland mit CCS mit der vorgeschobenen und nicht belegbaren Begründung des Klimaschutzes schon wieder ein neokoloniales Ausbeutungssystem erschafft, nur um die deutsche Wirtschaft vor notwendigen Veränderungen zu bewahren.
Marie-Luise Abshagen ist Leiterin für Nachhaltigkeitspolitik und Tom Kurz ist Referent für internationale Chemikalienpolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.
Quellen:
[1] SDG IISD (2022): Potential of CCS in Africa Highlighted During COP 27. https://sdg.iisd.org/news/potential-of-ccs-in-africa-highlighted-during-cop-27/
[2] Brettonwoods Project (2022): World Bank announces support for CCUS in Nigeria despite criticisms it reinforces fossil fuel dependence. https://www.brettonwoodsproject.org/2022/04/world-bank-announces-support-for-ccus-in-nigeria-despite-criticisms-it-reinforces-fossil-fuel-dependence/
[3] Heinrich-Böll-Stiftung (2023): Delay, Distract and Deceive: BECCS Developments in South America, Africa and Asia. https://www.boell.de/en/2023/11/27/delay-distract-and-deceive-beccs-developments-south-america-africa-and-asia
[4] Institute for Energy Economics and Financial Analysis (2024): Fact Sheet: Carbon Capture and Storage (CCS) has a poor track record. https://ieefa.org/sites/default/files/2024-02/fact-sheet-CCS-ADR.pdf
[5] Deutsche Industrie- und Handelskammer (2024): Jeder zweite Industriebetrieb würde CCS-Technologie einsetzen. https://www.dihk.de/de/aktuelles-und-presse/aktuelle-informationen/jeder-zweite-industriebetrieb-wuerde-ccs-technologie-einsetzen–117724
Bild: Friends of the Earth International, Action at COP27, Flickr. Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de, ohne Gewähr. Keine Änderungen vorgenommen.