Verkauf falscher Lösungen

Rundbrief 2024/3

Norwegens CCS-Lobbymacht

Wenn man Politiker:innen und Vertreter:innen von Erdölkonzernen in Brüssel, Norwegen oder Deutschland zuhört, könnte man meinen, dass die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) entscheidend für die Erreichung der europäischen Klimaziele ist. Warum aber wächst dann der Widerstand gegen die CCS-Pläne dieser Länder? Und wieso hat Norwegen einen so großen Einfluss?

Der neue Hype um CCS, der sich unter anderem in der Industrial Carbon Management-Strategie der EU oder in geplanten Gesetzesänderungen in Deutschland zeigt, erweckt den Eindruck, es gebe weltweit zahlreiche erfolgreiche CCS-Projekte. Tatsächlich fangen die wenigen existierenden CCS-Anlagen gerade mal 0,1 % der weltweiten CO2-Emissionen ab. Zwar wurde von der Internationalen Energieagentur (IEA) einmal eine jährliche CO2-Speicherung von 300 Megatonnen (Mt) bis zum Jahr 2020 vorausgesagt, die gesamte CO2-Speicherung liegt heute jedoch nur bei etwa 50 Mt.[i] Das entspricht lediglich den Emissionen eines kleinen Landes wie Norwegen.

Doch selbst bei dieser kleinen Menge handelt es sich nicht um echte Emissionssenkungen. Denn das meiste abgeschiedene CO2 stammt aus der Gasaufbereitung, was keine Verringerung der geförderten Gasmenge oder der Emissionen bei der Gasverbrennung darstellt. Zudem wird das meiste abgeschiedene CO2 in Ölfelder injiziert, um unter Druck noch mehr Erdöl herauszupressen (genannt Enhanced Oil Recovery). Mit anderen Worten: CCS wird hauptsächlich zur Förderung von mehr fossilen Brennstoffen eingesetzt, nicht zur Emissionsverringerung oder dauerhaften CO2-Speicherung.

CCS-Projekte haben eine lange Geschichte des Scheiterns

In den letzten 30 Jahren sind fast 80 % der großen CCS-Pilotprojekte gescheitert. Dies hat die IEA dazu veranlasst, ihre Erwartungen an CCS in ihrem aktualisierten Netto-Null-Emissionsszenario um 40 % zu senken.[ii] Selbst wenn Projekte abgeschlossen werden, fängt CCS nie 100 % der Emissionen der angeschlossenen Anlagen ein. Auch wenn Industrie und Regierungen oft behaupten, die Abscheiderate liege bei mindestens 90 % der Emissionen, hat eine Studie des Institute for Energy Economics and Financial Analysis gezeigt, dass an keiner bestehenden Anlage mehr als 80 % erreicht werden.[iii]

Dennoch wurden enorme öffentliche Subventionen in diese Technologie gesteckt, obwohl die Kosten, im Gegensatz zu immer günstigeren erneuerbaren Energien, stets hoch geblieben sind. Der Weltklimarat (IPCC) stellte fest, dass CCS zu den teuersten klimapolitischen Maßnahmen gehört und gleichzeitig einen der geringsten Beiträge zur Erreichung der bis 2030 erforderlichen Emissionsreduktion leistet. Untersuchungen der Universität Oxford zeigen, dass das Erreichen von Netto-Null-Emissionen im Jahr 2050 mit hohen CCS-Anteilen 30 Billionen US-Dollar mehr kosten würde als ein CCS-armer Pfad.

CCS laut IPCC teuerste und ineffektivste Maßnahme

Trotzdem wird immer wieder behauptet, die Szenarien des IPCC sähen CCS als unverzichtbar an, um die globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Tatsächlich warnt der IPCC jedoch vor CCS und CDR (Carbon Direct Removal, bei dem CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden soll) und schreibt, dass CCS „auf technologische, wirtschaftliche, institutionelle, ökologische und soziokulturelle Hindernisse stößt“.[iv] Abgesehen davon, dass es sich bei den Szenarien des IPCC eben um Handlungsmöglichkeiten und nicht um Pläne oder Vorschläge handelt, prüfte der Weltklimarat auch Szenarien mit wenig oder gar keinem großtechnischen CCS und CDR. Hier zeigte sich eine größere Wahrscheinlichkeit, unter 1,5 Grad Erderwärmung zu bleiben.

Zuzulassen, dass die globalen Durchschnittstemperaturen auf über 1,5 Grad anstiegen, um sie später mit CCS oder CDR wieder zu senken, brächte laut IPCC das Risiko mit sich, dass Kipppunkte für irreversible Klimaschäden überschritten würden. Es ist somit eindeutig möglich und angelehnt an die Analysen des IPCC sogar besser, die Klimaziele ohne CCS und CDR zu erreichen. Und definitiv ohne CCS und CDR in dem von Politiker:innen und Lobbyist:innen geforderten Umfang.

CCS bedroht Ernährungssicherheit und Menschenrechte

Abgesehen von den Klimaauswirkungen liegt der Flächenbedarf allein für nur eine der CCS-Strategien, Bioenergie mit CCS (BECCS), in den IPCC-Szenarien zwischen 56 und 482 Millionen Hektar (ha). Norwegen, ein relativ kleines Land, kommt auf 36 Millionen ha. Die Nutzung einer solch riesigen, angeblich leeren Fläche für BECCS bedroht die Ernährungssicherheit, Natur und Menschenrechte. Weitere Risiken liegen im Transport von CO2, wie die jüngsten Leckagen in den USA zeigen, sowie für den Meeresschutz in der Offshore-Speicherung. Um sicherzustellen, dass kein CO2 aus den Deponien austritt, werden zukünftige Generationen die CO2-Speicherung außerdem für immer überwachen müssen. Enorme Risiken und Pflichten für eine Technologie, die laut IPCC nur durchschnittlich 2,4 % der bis 2030 erforderlichen Emissionsreduktion ausmachen wird.

Selbst in Sektoren mit sogenannten schwer zu vermeidenden Emissionen, beispielsweise industriellen Prozessen wie der Zementherstellung, bei denen es derzeit nur wenige oder gar keine Technologien zur Emissionsreduzierung gibt, stehen Maßnahmen zur Verfügung, die sinnvoller sind als CCS. Materialsubstitution, ein geringerer Verbrauch im Allgemeinen und eine Kreislaufwirtschaft mit mehr Wiederverwertung und Recycling, alles Prozesse, für die sich die europäischen Regierungen und die EU aussprechen, sollten vor dem Einsatz technischer Lösungen wie CCS kommen.

Norwegen beeinflusst internationale Klimapolitik

Derzeit werden in der EU nur eine Mt Emissionen mit CCS abgeschieden.[v] Doch diese Tatsache hält die EU-Kommission nicht davon ab, Ziele von 50 Mt jährlicher Abscheidung und Speicherung bis 2030 und 450 Mt bis 2050 vorzuschlagen. Warum aber haben viele europäische Länder und die EU Klimaziele festgelegt, die von einer unrealistischen Steigerung von CCS und damit verbunden CDR abhängen?

Ein wichtiger Grund dafür ist die Lobbyarbeit Norwegens, das seine ausgebeuteten Offshore-Ölfelder als den besten Speicherort für Europas abgeschiedenes CO2 vermarktet. Schon in den späten 2000er-Jahren setzte sich Norwegen für eine Änderung des Völkerrechts ein, um den grenzüberschreitenden Transport von CO2 zur Lagerung in anderen Ländern zu ermöglichen. Seitdem betreiben der norwegische Staat, die größtenteils in Staatsbesitz befindliche Ölgesellschaft Equinor und die pro-CCS-NGO Bellona in Brüssel intensive Lobbyarbeit für CCS. Darunter auch im CCUS-Forum der EU (Forum für Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung), das eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der EU-Politik spielt. Norwegen hat sich außerdem auf UN-Klimakonferenzen offen für CCS eingesetzt, so auch 2023 auf der COP28 in Dubai. Durch den Einfluss Norwegens wurden darüber hinaus kritische Formulierungen zu CCS in der politischen Zusammenfassung des IPCC-Berichts verwässert.[vi]

Auch in Norwegen funktionieren die CCS-Projekte nicht

Diese Lobbyarbeit hat sich politisch ausgezahlt. Die Investitionen in tatsächliche CCS-Projekte in Norwegen allerdings wiederum nicht. So scheiterte eine groß angelegte, staatlich finanzierte CCS-Anlage in Mongstad 2013 mit Kosten von mehr als drei Mrd. Kronen (über 280 Mio. US-Dollar). Wahrscheinlich waren die Verluste sogar noch höher, das norwegische Parlament und der Rechnungshof kritisierten mangelnde Kostentransparenz. Damit blieben in Norwegen nur kleine CCS-Projekte (maximal 1,7 Mt) auf zwei Gasfeldern (Sleipner und Snøhvit), die aber lediglich die CO2-Reduktion bei der Gasaufbereitung und nicht bei der Gasverbrennung umfassen.

Dies hat die jüngsten Regierungen in Norwegen allerdings nicht davon abgehalten, auf CCS in noch größerem Maßstab zu drängen. Die CCS-Projekte Longship/Northern Lights werden mindestens 20 Mrd. Kronen (über 1,8 Mrd. US-Dollar) kosten, mit einer geplanten Speicherkapazität von lediglich 5 Mt bis Ende der 2020er-Jahre. Wobei selbst das nur erreicht wird, wenn die Projekte überhaupt fertiggestellt werden. Auch hierfür gibt es Beispiele in Norwegen: Bei einer Müllverbrennungsanlage in Oslo sind beispielsweise die CCS-Kosten so sehr außer Kontrolle geraten, dass das ganze Projekt gefährdet ist. Und bei einer CCS-Anlage an einer Zementfabrik kann nun nur die Hälfte der Emissionen abgefangen werden, selbst wenn alles wie geplant funktionieren sollte.

Norwegens CCS-Lobbyarbeit trägt nicht nur dazu bei, einen Exportmarkt für Equinor und andere norwegische Erdölkonzerne mit CCS-Spezialisierung zu schaffen. Sie führt auch dazu, dass Norwegen, das eigentlich Europas aggressivster Öl- und Gasförderer ist und selbst in der Arktis noch jahrzehntelang fossile Brennstoffe fördern will, nun plötzlich nachhaltig wirkt.

Dies zeigt die norwegische Lobbyarbeit, die darauf abzielt, dass die EU und insbesondere Deutschland blauen Wasserstoff kaufen, der aus Erdgas in Kombination mit CCS hergestellt wird. CCS wird somit genutzt, um jahrzehntelang weiter Erdgas fördern zu können. Dabei wird grüner Wasserstoff, hergestellt aus erneuerbaren Energien, von vielen europäischen Regierungen eigentlich bevorzugt und in den 2030er-Jahren wahrscheinlich billiger sein als blauer Wasserstoff. Abgesehen davon, dass er verfügbar sein wird, bevor die meisten CCS- und Wasserstoffprojekte bereitstehen.

 

Aled Dilwyn Fisher ist Senior Research Campaigner für das Nordsee Regionalprogramm bei Oil Change International (OCI) und wohnt in Oslo.

 

Quellen:

[i] https://www.iea.org/reports/ccus-in-clean-energy-transitions/a-new-era-for-ccus

[ii] https://www.climatechangenews.com/2023/09/27/new-iea-net-zero-report-leaves-big-polluters-less-room-to-hide/

[iii] https://ieefa.org/ccs

[iv] https://www.ciel.org/reports/ipcc-wg2-briefing/

[v] https://corporateeurope.org/en/carboncoup

Bild: Frokor, Wikicommons, CC BY-SA 3.0, keine Änderungen vorgenommen.

Frokor, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

 

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