CCS in der Nordsee
Öl- und Gasförderung in der Nordsee sind auf dem absteigenden Ast, aber die Nordsee ist bereits das Objekt neuer fossiler Träume europäischer Regierungen. Norwegen, Großbritannien, die Niederlande, Belgien und auch Deutschland wollen ihre CO2-Emissionen unter der Nordsee deponieren. Die vorgesehene Infrastruktur und mögliche Leckagen würden den sensiblen und bereits stark genutzten Unterwasserwelten weiter zusetzen.
Trotz großer Wissenslücken wird in Deutschland zur Stunde im Eiltempo der Rechtsrahmen für eine großskalige CO2-Speicher- und Transportinfrastruktur geschaffen. Mit der Carbon Management Strategie und dem Kohlenstoffspeicher- und Transportgesetz (KSpTG) – das gerade im Bundestag verhandelt wird – soll die Einlagerung von CO2 in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee ermöglicht werden. Dort soll das CO2 in salzwasserführende Grundwasserleitern in Sandsteinformationen, die in 800 bis 4.000 Meter Tiefe unter dem Meeresgrund der deutschen Nordsee liegen, verpresst werden. Diese sind geologisch größtenteils unerforscht, das erhoffte Speicherpotenzial umfasst zwei bis acht Milliarden Tonnen.
Außerdem soll das sogenannte Londoner Protokoll ratifiziert werden, das den Export und die Speicherung von CO2 außerhalb Deutschlands erlaubt. Eigentlich verbietet das Protokoll die Entsorgung von Abfällen im Meer, CO2-Ströme sind allerdings zugelassen. Die Bundesregierung hofft insbesondere auf den Export nach Norwegen, langen Transportwegen zum Trotz.
Wenig Wissen, viele Probleme
Die Hoffnungen, die in CCS gesetzt werden, stehen in keinem Verhältnis zu den bisherigen Erfahrungen mit der Technologie. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck spricht von langjähriger Erforschung, Erprobung und Anwendung und versichert: „Diese Technologie ist sicher.“[i] Bei genauerem Hingucken enthalten solche Aussagen eine gehörige Portion Wunschdenken. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen warnte jüngst etwas nüchterner, aber keineswegs weniger deutlich: „In der aktuellen öffentlichen Diskussion werden die Potenziale von CCS stark betont, während Grenzen und Risiken der Technologie tendenziell unterschätzt werden.“[ii]
Fakt ist, es gibt bisher weltweit nur drei kommerzielle Offshore-CCS Projekte: In der Nordsee betreibt Equinor (ein norwegischer Öl- und Gaskonzern, vormals Statoil) die Anlagen Sleipner (seit 1996) und Snøhvit (seit 2008). In Australien wurde 2019 das Gorgon-Projekt des Ölgiganten Chevron in Betrieb genommen. Alle drei Projekte sind an Erdgasförderung angedockt und alle drei funktionieren nicht sonderlich gut.
Insbesondere Sleipner und Snøhvit werden oft als Vorzeigeprojekte und Beweis für die Machbarkeit von CCS gehandhabt. Doch eine Analyse des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) zeigt, dass die Projekte die langfristige technische und finanzielle Machbarkeit von CCS in Frage stellen.[iii] In Sleipner bewegte sich das verpresste CO2 unerwartet in eine vorher nicht identifizierte Gesteinsschicht, die glücklicherweise von Deckgestein überzogen war. In Snøhvit wurde das CO2 nicht wie erwartet vom Gestein aufgenommen, was zu einem schnellen Druckanstieg und daher verminderter Kapazität geführt hat. Zudem hat keines der Projekte die angestrebten Abscheidungsraten erreicht.
Die IEEFA-Studie schlussfolgert, dass jedes CO2-Speicherprojekt projekt- und standortspezifische Besonderheiten aufweist, die berücksichtigt werden müssen und trotz umfangreicher geologischer Vorstudien nicht immer vorhersehbar sind. Mit Blick auf die deutschen Pläne sollte darauf hingewiesen werden, dass in den drei bestehenden Projekten das CO2 in ausgeförderte Gasfelder gepumpt wird. Offshore-Speicherung in Sandsteinformationen, wie in der deutschen Nordsee geplant, gibt es bisher nicht.
CCS würde die Industrialisierung der Nordsee vorantreiben
Nicht nur energiepolitisch ist CCS ein Irrweg, der die Energiewende verzögert, einen fossilen Lock-in schafft und Steuergelder zur Subvention einer fragwürdigen Technologie verpulvert. Auch stellen die CCS-Pläne eine konkrete Gefahr für die Meeresumwelt der Nordsee da. Um die Belastungen und Risiken von CCS für das Ökosystem besser zu verstehen, braucht es einen Blick auf die anvisierte Infrastruktur und Aktivitäten. Der Hochlauf von CCS umfasst die Standorterkundung, den Bau, Betrieb und das Monitoring. Es gibt kein universelles Design für CO2-Speicherprojekte, aber in jedem Fall werden Pipelines und eine Struktur für die Injektion benötigt. Alternativ könnte das Gasgemisch auch per Schiff transportiert werden, was allerdings noch teurer wäre.
CCS ist eine Ewigkeitslast und die Speicherstätten müssten nicht nur während des Betriebs, sondern lange darüber hinaus überwacht werden, um die Ausbreitung des CO2 und den Druckanstieg im Speichergestein zu beobachten. Aktive seismische Messungen würden sowohl bei der Erkundung, beim Bau und bei der Überwachung zum Einsatz kommen. Sie sind extrem laut und können empfindliche Meeressäuger wie Schweinswale stören und verletzen. Die Auswirkungen auf weniger gut erforschte Meereslebewesen, zum Beispiel Fische, sind unklar.
Im Störfall könnte es außerdem zu CO2-Leckagen und dem Austritt von sehr salzigem Formationswasser sowie möglicherweise darin enthaltenen Schwermetallen kommen. Die Schwere der Konsequenzen hängt von der CO2-Austrittsrate und den lokalen Gegebenheiten an der Austrittsstelle ab, aber Leckagen würden auf jeden Fall zu einer lokalen Versauerung der Ozeane führen und am Meeresgrund lebende Organismen schädigen.
Meeresschutz wird als zweitrangig abgestempelt
Die Nordsee ist bereits stark übernutzt, und das Ökosystem befindet sich in keinem guten Zustand. Das rechtlich verpflichtende Ziel der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, einen guten Umweltzustand zu erreichen, wird wegen Eutrophierung, Schadstoffen, Müll und Unterwasserlärm verfehlt.[iv] Trotz alledem ist die Nordsee Lebensraum für Schweinswale, Fische und Vögel und beherbergt einzigartige Lebensraumtypen wie Riffe oder das UNESCO-Weltkulturerbe Wattenmeer. Außerdem speichern die Schlickböden, Salzwiesen und Algenwälder signifikante Mengen an Kohlenstoff, der durch Bauvorhaben freigesetzt werden könnte. In anderen Worten: CCS gefährdet die natürliche Senkenfunktion des Meeres.
Umso schlimmer, dass der Meeresschutz in der aktuellen Diskussion um CCS vom Tisch fällt. Zwar ist im Entwurf des Kohlenstoffspeicher- und Transportgesetzes vorgesehen, dass Injektionspunkte nicht in Meeresschutzgebieten und einer acht Kilometer breiten Pufferzone liegen sollen. Auch dürfen sich die Speicherstätten nicht unter Meeresschutzgebiete ausdehnen. Allerdings sollen diese Regeln nur so lange gelten, bis zusätzlicher Bedarf für Speicherkapazität festgestellt wird. Kurz gesagt: Die Zusagen zum Meeresschutz sind gehaltlos. Zudem sollen die Pipelines durch Schutzgebiete und das sensible Ökosystem Wattenmeer gebaut werden dürfen.
Klima- und Naturschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden
Dass die Nordsee zunehmend wirtschaftlich genutzt wird und sich in den nächsten Jahrzehnten dadurch stark verändern wird, ist unumgänglich. 2022 haben sich die Nordseeanrainerstaaten darauf verständigt, dass die Nordsee das „Kraftwerk Europas“ werden soll. In Deutschland sollen die Offshore-Windkapazitäten von aktuell 8,5 Gigawatt (GW) auf 70 GW erhöht werden. Das ist eine enorme Herausforderung für den Naturschutz und der Ausbau muss möglichst naturverträglich gestaltet werden. An einigen Stellen werden Kompromisse zu Lasten des Naturschutzes gemacht werden. Das ist schwierig, aber wenn wir die Nordsee schon nutzen, dann doch bitte als erneuerbares Kraftwerk und nicht als Deponie für vermeidbare fossile Abfälle.
CCS ist eine Gefahr für Klima- und Naturschutz. Das muss immer wieder betont werden, denn einige Akteure versuchen, die beiden gegeneinander auszuspielen – teils aus Unwissenheit und teils aus Kalkül. In Gesprächen mit Meeresschützer:innen hört man in letzter Zeit manchmal, dass der Aufbau einer CO2-Entsorgungsinfrastruktur im Meer zwar bedauerlich, aber unumgänglich sei, da die Klimakrise die größere Bedrohung für das Meer ist. Auch ein kürzlich veröffentlichter Bericht mit dem Titel „The Ocean as a Solution to Climate Change: Updated Opportunities for Action“ [v] listet CO2-Speicherung unter dem Meeresboden als eine von sieben „ocean-based climate solutions“ – in einer Reihe mit der Reduzierung von Offshore-Öl und -Gas, dem Ausbau von erneuerbaren Energien offshore oder dem Schutz oder der Wiederherstellung mariner Ökosysteme.
Diese Auflistung ist Zeugnis des enormen Geschicks der CCS-Lobby. CCS verhindert die Reduzierung von Offshore-Öl und -Gas, bremst den Ausbau erneuerbarer Energien und gefährdet die natürliche Senkenfunktion mariner Ökosysteme. CCS ist keine „ocean-based climate solution“, sondern Lebensader für fossile Geschäftsmodelle, Blockade für wirksamen Klimaschutz und eine Gefahr für die Nordsee.
Isabel Seeger. Die Autorin ist Fachreferentin für Meeresschutz bei der Deutschen Umwelthilfe.
Quellen:
[i]BMWK (2024): Bundesminister Habeck will den Einsatz von CCS ermöglichen: „Ohne CCS können wir unmöglich die Klimaziele erreichen.“ https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/02/20240226-habeck-will-den-einsatz-von-ccs-ermoeglichen.html
[ii] Sachverständigenrat für Umweltfragen (2024) CCS in Deutschland rechtlich auf unvermeidbare Restemissionen begrenzen: Stellungnahme zur KSpG-Novelle, Impulspapier Oktober 2024. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2024_2028/2024_10_CCS.html
[iii] Hauber, Grant (2023). Norway’s Sleipner and Snøhvit CCS: Industry models or cautionary tales?, The Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA). https://ieefa.org/resources/norways-sleipner-and-snohvit-ccs-industry-models-or-cautionary-tales
[iv] BMUV (2024). Zustand der deutschen Nordseegewässer 2024, Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO). https://mitglieder.meeresschutz.info/de/berichte/zustandsbewertungen-art8-10.html
[v] Hoegh-Guldberg, O., Northrop, E. et al. (2023). „The ocean as a solution to climate change:
Updated opportunities for action.“, World Resources Institute. https://oceanpanel.org/publication/ocean-solutions-to-climate-change
Bild: Bair175, Wikicommons, CC BY-SA 3.0, keine Änderungen vorgenommen.