Wie es zur Renaissance einer umstrittenen Technologie kam
Die Diskussion über CCS zur Erreichung von Klimaneutralität erlebt in Deutschland eine Renaissance. Diese Entwicklung ist durchaus bemerkenswert, da CCS in Deutschland in den 2000er-Jahren auf massiven Widerstand traf und die Technologie nicht weiter erprobt wurde. CCS wird von den Befürworter:innen als objektiv notwendige, letztlich unvermeidbare Technologie zur Erreichung der Klimaneutralität betrachtet und von den Kritiker:innen kategorisch abgelehnt. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Lange Zeit waren Technologien für Carbon Capture und Storage (CCS), wie auch das Problem des Klimawandels insgesamt, ein Nischenthema. Erst nach der Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention in Rio de Janeiro 1992 und einer zunehmenden Politisierung des Klimawandels gewann CCS in den 2000er-Jahren verstärkte Aufmerksamkeit. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die wachsende Bedeutung von CCS in der Modellierung von Klimaszenarien und die Erstellung eines Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) zu CCS im Jahr 2005. Die am Sonderbericht beteiligten Wissenschaftler:innen stammten vorrangig aus dem Globalen Norden und hatten eine starke Affinität zu CCS. Entsprechend wurde das Potenzial von CCS in dem Sonderbericht sehr optimistisch eingeschätzt.[i] Auch andere Klimawissenschaftler:innen sprachen sich bereits in den 2000ern für den Einsatz von CCS aus, etwa der heutige Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer.
Bindeglied zwischen der fossilen Industrie und klimapolitischen Akteuren
Im Zuge des Momentums für CCS im Kontext der globalen Klimapolitik in den 2000er-Jahren entwickelte sich auch in Deutschland eine politische Dynamik. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wurde das CCS-Projekt in Deutschland in erster Linie von Kohleunternehmen und nicht von der Öl- und Gasindustrie vorangetrieben, da diese Rohstoffe in Deutschland kaum gefördert werden. Die beiden zentralen Akteure waren RWE und Vattenfall, wobei das damalige RWE-Tochterunternehmen Dea in der Öl- und Gasförderung tätig war und in der Erkundung von potenziellen Speicherstätten eine wichtige Rolle spielte.
Erste CCS-Gesetzgebungsinitiative in den 2000ern
Unter Hochdruck versuchte die von 2005 bis 2009 regierende Große Koalition unter Angela Merkel vor den Bundestagswahlen im Herbst 2009 ein CCS-Gesetz zu verabschieden. Die politischen Auseinandersetzungen um CCS verdichteten sich insbesondere um die Risiken der Speicherung. In den dafür vorgesehenen Regionen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein bildeten sich lokale Bürgerinitiativen gegen CCS. Diese wurden vonseiten der Umwelt-NGOs – maßgeblich von Greenpeace – unterstützt, die sich kategorisch gegen CCS aussprachen.
Im parteipolitischen Spektrum positionierten sich Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke klar gegen CCS. Die FDP und die CDU/CSU sprachen sich hingegen zunächst für CCS aus. Auch die SPD war tendenziell eine CCS-Befürworterin. Dabei ging es um die grundsätzliche Frage, ob die Stromversorgung der Zukunft gänzlich auf erneuerbaren Energien basieren oder ob das Kohlezeitalter mittels CCS verlängert werden sollte.[ii]
In Anbetracht der starken lokalen Widerstände wurde letztlich kein CCS-Gesetz vor der gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahl und der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im September 2009 verabschiedet. Die CDU-geführte Landesregierung in Schleswig-Holstein rückte u.a. aufgrund der massiven Widerstände von ihrer ursprünglich CCS befürwortenden Position ab. Erst im Jahr 2012 wurde das Kohlendioxidspeicherungsgesetz verabschiedet, das lediglich ein enges Zeitfenster mit begrenztem Umfang für Forschungsprojekte setzte und deswegen häufig als »CCS-Verhinderungsgesetz« bezeichnet wird. Den Bundesländern wurde die Möglichkeit eingeräumt, die Speicherung auf ihrem Territorium zu untersagen. Lediglich ein Pilotprojekt zur Kohlendioxidspeicherung des Geoforschungszentrums Potsdam wurde in Ketzin/Brandenburg zwischen 2004 und 2017 durchgeführt.
Neue politische Dynamik
Mit der Zuspitzung des Klimawandels ging auch dessen wachsende Politisierung einher, getrieben durch die Klimawissenschaft und Bewegungen wie Extinction Rebellion, Fridays for Future oder die Letzte Generation. Beides ebnete den Weg für eine ambitioniertere internationale Klimapolitik, wie sie etwa im Pariser Klimaabkommen (2015) und dem European Green Deal (2019) verankert ist. Gleichzeitig wurden klimapolitische Ziele zunehmend mit industriepolitischen Ambitionen verschränkt, wie im US-amerikanischen Inflation Reduction Act und dem Net Zero Industry Act der EU.
Während in den 2000ern in Deutschland CCS als eine Option ins Spiel gebracht wurde, um die Stromversorgung zu dekarbonisieren, war der politische Druck, Emissionen in anderen Branchen zu reduzieren, noch relativ gering. Was sich hingegen nicht oder nur in Nuancen verändert hat, ist die dominante klimapolitische Stoßrichtung. Marktförmige Instrumente wie etwa Emissionshandelssysteme sollen in Kombination mit einer erhöhten Effizienz und »neuen« Technologien die Klimaprobleme lösen, zugleich weiter kapitalistisches Wachstum generieren, ohne die bestehenden gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse grundlegend infrage zu stellen.
CCS befürwortende Koalition hat ihre Basis wesentlich verbreitert
Während die Verbindung von Kohle und CCS in Deutschland mittlerweile keine Rolle mehr spielt, sprechen sich nicht nur die Öl- und Gasindustrie, sondern auch Branchen wie Zement, Kalk, die Abfallwirtschaft wie auch die chemische Industrie klar für CCS und CCU aus. Auch die Gasindustrie zeigt sich mit Blick auf die Herstellung von blauem Wasserstoff und die Emissionen von Gaskraftwerken an CCS stark interessiert.
Zudem haben im Bereich der Umwelt-NGOs Verschiebungen stattgefunden. Industrieverbände haben gemeinsam mit Bellona, einer norwegischen pro-CCS ausgerichteten NGO, Germanwatch und der Clean Air Task Force im Dezember 2022 ein Positionspapier zu CCS und CCU veröffentlicht. Darin appellieren sie an die Bundesregierung, die Grundlagen für die Entwicklung von CCS und CCU zu schaffen. Der NABU, der als Bundesverband lange keine Position zu CCS bezogen hatte, spricht sich mittlerweile für eine auf wenige Branchen und Produktionsverfahren fokussierte Anwendung von CCS aus. Die Grünen positionieren sich neu und öffnen sich gegenüber CCS. Gleiches gilt für das Umweltbundesamt, das im September 2023 ein Positionspapier zu CCS und CCU veröffentlichte, in dem es sich für die Entwicklung von CCS ausspricht, allerdings zunächst nur in Kombination mit thermischen Abfallanlagen.[iii]
Diese Akteure sind für die Entwicklung von CCS, sehen aber durchaus große Gefahren dahingehend, dass mit CCS nicht nachhaltige Produktionsmuster fortgeschrieben werden. Entsprechend plädieren sie für einen eng fokussierten Anwendungsbereich und gegen einen breiten, technologieoffenen Einsatz, der prinzipiell allen interessierten Unternehmen, einschließlich der Öl- und Gasindustrie, die Nutzung von CCS ermöglichen würde.
Weiterhin grundsätzlich gegen CCS sprechen sich vonseiten der großen Umwelt-NGOs der BUND und Greenpeace aus. Auch die nach wie vor aktiven lokalen Bürgerinitiativen, die sich in den 2000er-Jahren formiert haben, erhalten ihren Widerstand gegen CCS aufrecht.
Aus den Klimamodellen ist CCS nie verschwunden
In den Szenarioanalysen für ein klimaneutrales Deutschland spielt CCS ebenfalls eine bedeutende Rolle. Es umfasst in unterschiedlichen Anteilen CCS aus fossilen Quellen, BECCS (Bioenergy and CCS) und DACCS (Direct Air Capture and Carbon Storage). Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde CCS zwar noch nicht erwähnt, aber das Thema wurde während der Legislaturperiode langsam aufgebaut. Das Wirtschaftsministerium hat die Deutsche Energieagentur damit beauftragt, eine Carbon-Management-Strategie (CMS) zu entwickeln, die sich auf CCS und CCU fokussieren soll. Zur Entwicklung der CMS haben mehrere Dialoge mit Stakeholdern stattgefunden. Im Zuge dessen haben der BUND, die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace, die am Beteiligungsprozess teilgenommen haben, kritisiert, dass es in diesem Prozess nicht um die Frage des Ob, sondern lediglich darum gehe, wie man CCS etablieren kann, und dass die Bürgerinitiativen gegen CCS nicht eingeladen wurden. Andere Umweltverbände wie der NABU und der WWF veröffentlichten gemeinsam mit dem BDI und dem Deutschen Gewerkschaftsbund ein Positionspapier, in dem sie die Bundesregierung aufforderten, die Grundlagen für die Entwicklung von CCS zu schaffen.
Als die Eckpunkte im Februar 2024 veröffentlicht wurden[iv], wurde jedoch aus dem gesamten Spektrum der Umwelt-NGOs starke Kritik geäußert. In dem Papier wird mehrfach auf einen technologieoffenen Ansatz verwiesen, der im Grundsatz sämtlichen Industrien den Zugang zu CCS-Infrastrukturen ermöglichen soll, lediglich die Kombination von Kohle und CCS wird ausgeschlossen. Gaskraftwerke sollen – anders als Industrieanlagen, die wirklich schwer- oder unvermeidbare Emissionen erzeugen – keine Förderung für den Bau von CCS-Anlagen erhalten.
Es ist absehbar, dass sich an CCS in den kommenden Jahren intensive Transformationskonflikte entzünden werden. Besonders problematisch erscheint vor diesem Hintergrund, dass sowohl die einschlägigen Klimaneutralitätsszenarien für Deutschland als auch die CMS an der Orientierung an kontinuierlichem Wirtschaftswachstum unhinterfragt festhalten.
Der Artikel ist eine gekürzte Version des in der PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft im September 2024 erschienenen Beitrags „Mit CCS zur Klimaneutralität? Die Renaissance einer umstrittenen Technologie.“
Tobias Haas arbeitet am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) in Potsdam Alina Brad und Etienne Schneider forschen an der Universität Wien.
[i] Krüger, Timmo (2015): Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung. Die Konflikte um Carbon Capture and Storage (CCS) in der internationalen Klimapolitik. Bielefeld. DOI: https://doi.org/10.1515/9783839432334.
[ii] Praetorius, Barbara / von Stechow, Christoph (2009): Electricity Gap versus Climate Change: Electricity Politics and the Potential Role of CCS in Germany. In: Meadowcroft, James / Langhelle, Oluf (Hg.): Caching the Carbon. Cheltenham. DOI: https://doi.org/10.4337/9781849802222.00014.
[iii] Umweltbundesamt (2023): Carbon Capture and Storage. Diskussionsbeitrag zur Integration in die nationalen Klimaschutzstrategien. URL: https://www.umweltbundesamt.de/
[iv] BMWK (2024b): Eckpunkte der Bundesregierung für eine Carbon Management-Strategie.
Bild: Callum Shaw/Unsplash