Die alternative Nobelpreisträgerin Anabela Lemos im Porträt
Anabela Lemos, mosambikanische Umweltaktivistin und Direktorin der Umweltorganisation Justiça Ambiental (Umweltgerechtigkeit), erhält Anfang Dezember 2024 in Stockholm den alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award für ihr Lebenswerk. Seit über 20 Jahren kämpfen Lemos und Justiça Ambiental (JA!) gegen Megaprojekte internationaler Konzerne, die lokale Dorfgemeinschaften vertreiben, Lebensgrundlagen zerstören und den Klimawandel anheizen. Dabei kombiniert die Organisation lokale Mobilisierung und Proteste mit politischer Lobbyarbeit und rechtlichen Mitteln.
Mosambik war und ist bitterarm nach 17 Jahren blutigem Bürgerkrieg (1975-1992) und vorheriger portugiesischer Kolonialherrschaft (1498–1975). Auf dem UN-Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI), einem Wohlstandsindikator, der neben dem Bruttonationaleinkommen soziale Aspekte wie Lebenserwartung und Ausbildungsdauer misst, belegt Mosambik den 183. Platz von 193 Ländern.
JA! wurde 2004 von Freund:innen gegründet, die sich Sorgen darüber machten, wie sich ihr Land ohne viele Regeln in der globalen Wirtschaft entwickelte. Der rasche Zustrom ausländischer Investitionen nach Kriegsende in Mosambiks noch zerbrechliche Demokratie, die eine relativ schwache Zivilgesellschaft und ein unzugängliches Rechtssystem hat, barg die Gefahr, dass ein Großteil der natürlichen Schönheit und Lebensgrundlagen der Menschen zerstört wird. JA! sieht Ökologie als ganzheitliches Konzept und Umweltgerechtigkeit als Mittel zur Gewährleistung von Fairness und Gleichheit für die gesamte Gesellschaft. Bei der Verteidigung einer nachhaltigen Entwicklung drängt JA! darauf, auch das Recht künftiger Generationen auf eine gesunde, sichere Umwelt zu gewährleisten. Ihre Website stellt Justiça Ambiental unter die Weissagung der indigenen Cree: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“
Aktiv gegen die Ausbeutung fossiler Energieträger
In der zentralmosambikanischen Provinz Tete liegen die wohl weltgrößten Kohlevorkommen, deren Förderung zu Kolonialzeiten begann und nach der Unabhängigkeit von einem ineffizienten Staatsbetrieb fortgesetzt wurde. Nach Bürgerkriegsende privatisierte die Regierung den Kohlebergbau und erteilte nach Erhalt von Korruptionszahlungen großflächige Konzessionen an Konzerne aus Brasilien (Vale), Australien (Rio Tinto), Indien (Tata), Saudi Arabien, China, Südafrika und Japan. Das mosambikanische Bergbaugesetz sieht ausdrücklich keine Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Konzessionseinnahmen vor. Der 2011 eingeführte Tagebau in der Region Tete verursacht schwere Landschaftszerstörung und Luftverschmutzung durch Staub und Schwermetalle; Sprengungen verschmutzen Agrarprodukte und Trinkwasser. Die Bevölkerung ist stark betroffen durch prekäre Arbeitsbedingungen, Ernteausfälle, Zwangsumsiedlungen und Krankheiten. Im Jahr 2020 verklagte JA! die Kohlefirma Vale wegen der Verschmutzung von Luft und Wasser. Leider funktioniert JA! zufolge das mosambikanische Rechtssystem nicht, sodass nach mehreren Anläufen der Fall eingestellt wurde, aber JA! bereitet inzwischen eine weitere Kohle-Klage vor.
Auch gegen Mozambique LNG protestiert JA!. Dies ist ein 24-Milliarden-US-Dollar teures Projekt zur Förderung von fossilem Flüssigerdgas (LNG) in der nördlichen Provinz Cabo Delgado, das die Energiekonzerne TotalEnergies, ExxonMobil und ENI seit 2010 vorantreiben. Das Gasprojekt, das als die größte ausländische Investition in Afrika gilt, hat bereits Hunderte von Familien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen; zahlreiche weitere Dorfgemeinschaften sind von Landvertreibung bedroht. Seit 2017 ist die islamistische Terrorgruppe IS in Cabo Delgado mit militanten Anschlägen aktiv und schürt Unmut unter den vielen jungen Arbeitslosen über mangelnde Teilhabe der lokalen Bevölkerung an den Gewinnaussichten aus der Gasförderung. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. JA! unterstützt ein internationales Gerichtsverfahren gegen multinationale Unternehmen, um die Finanzierung des Erdgasprojekts zu stoppen, da die Ausbeutung die Rechte der lokalen Bevölkerung verletzt und irreparable Umwelt- und Klimaschäden verursacht.
Internationale Vernetzung und Lobbyarbeit
Die Umwelt-NGO hat Allianzen mit der Zivilgesellschaft in über 23 Ländern gebildet, um dieses LNG-Projekt zu verhindern. Die führende Rolle von JA! in der „Say No to Gas Campaign“ hat die internationale Aufmerksamkeit auf die LNG-Förderung im Norden Mosambiks gelenkt und mit Beweisen für Menschenrechtsverletzungen und Unternehmensverbrechen den Projektfortschritt verzögert. Die Vernetzung über die Ländergrenzen hinaus ist besonders wichtig, weil auch ausländische Banken durch ihre Finanzierung Mitverantwortung tragen. So hat bspw. der schwedische öffentliche Pensionsfonds (AP) rund 12 Milliarden schwedische Kronen in das Gasprojekt investiert. Auch deutsche Firmen wollen profitieren: Anfang 2021 besuchte eine deutsche Investoren-Delegation die Konferenz „Mozambique Gas & Power Conference & Exhibition“, organisiert von der Investorenplattform Africa Oil & Power zusammen mit dem mosambikanischen Bergbau- und Energie-Ministerium.
JA! zufolge muss die Kräftebalance verändert und auf einen Systemwechsel gedrängt werden, weil das derzeitige Wirtschaftssystem für Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt zu ungerecht ist und die Natur zerstört. Laut Anabela Lemos müssten europäische und internationale Unternehmen die Menschenrechte und die Umwelt in der gesamten globalen Wertschöpfungskette respektieren und zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie dies nicht tun.
Problem Weltbank
Eine weitere Baustelle ist der Kampf von JA! gegen großflächige Eukalyptus-Monokulturen. So hat die portugiesische Firma Portucel (Navigator Group) von der mosambikanischen Regierung in den Provinzen Manica und Zambézia Nutzungsrechte für 356.000 Hektar Land zur Pflanzung von Eukalyptusplantagen erhalten. Für diese und andere Plantagen wird artenreiche Savanne gerodet. 24.000 Familien sind von Vertreibung bedroht. Umweltverträglichkeitsprüfungen wurden umgangen durch Zerstückelung in kleinere Pflanzungen; der schnellwachsende Eukalyptus entzieht den Böden Wasser in einer von Dürre geplagten Region. 2024 hat JA! Klage gegen Portucel vor einem mosambikanischen Gericht eingereicht.
Die Weltbank hat Portucel mit Millionen US-Dollar unterstützt, um Eukalyptus in Mosambik zu pflanzen, mit der Behauptung, dass Aufforstung mit Plantagen zur Lösung des Klimawandels beitrügen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Umwandlung von Wäldern und landwirtschaftlichen Flächen in Plantagen werden große Mengen an Kohlenstoff freigesetzt. Zudem wird das Holz Tausende von Kilometern transportiert, nur um zu kurzlebigen Papierprodukten und Einwegverpackungen verarbeitet oder in den Zellstofffabriken der Firma verheizt zu werden. JA! und die Global Forest Coalition haben an die Weltbank appelliert, ihre finanzielle Unterstützung für die Plantagen von Portucel zurückzuziehen. Die International Finance Corporation (IFC) der Weltbank kontrolliert etwa 20 % der Anteile von Portucel Moçambique, und das Forest Investment Program der Weltbank half bei der Finanzierung der Anpflanzung der ersten 40.000 Hektar. Dies war Teil der Zusage Mosambiks im Rahmen der Bonn Challenge zur Wiederbewaldung von 2011 und der African Forest Landscape Restoration Initiative (AFR100).
Anabela Lemos kritisiert, dass die Weltbank Druck auf die mosambikanische Regierung ausübt, Gesetze zu ändern – so wurde beispielsweise das Waldgesetz dahingehend geändert, dass die Eukalyptus-Monokulturen als „Wald“ anerkannt werden, und die Weltbank forcierte die Verabschiedung eines mosambikanischen Gesetzes über Kohlenstoff-Zertifikatehandel.
Justiça Ambiental kritisiert, dass bei den Vertragsstaatenkonferenzen (COPs) der UN-Klimarahmen- (UNFCCC) und Biodiversitäts-Konventionen (CBD) unter beschönigenden Begriffen wie REDD+ und „climate-smart agriculture“ die Vermarktung von Carbon Offsets (Kompensationszertifikate für fossile Emissionen) vorangetrieben wird, die weiter klimaschädliche Treibhausgasemissionen ermöglichen und einen Ausverkauf der Natur auf Kosten der Länder des Globalen Südens bedeuten.
Engagement trotz Bedrohungen
Die Arbeit von JA! hat zu einer stärkeren Sensibilisierung für die negativen Folgen umweltschädlicher Megaprojekte geführt und eine Reihe davon verzögert bzw. sogar verhindert. So hat die Kampagnenarbeit von JA! auch dazu beigetragen, das sogenannte ProSAVANA-Projekt zu stoppen, ein riesiges sogenanntes Landwirtschaftsentwicklungsprogramm, das Millionen von Kleinbauernfamilien in Nord- und Zentral-Mosambik vertrieben hätte. ProSAVANA war eines der weltweit größten Landgrabbing-Abkommen, das Japans, Brasiliens und Mosambiks Regierungen 2009 unterzeichneten, um im Nacala-Korridor großflächig die biodiverse Savanne zu roden und – nach Vorbild des brasilianischen Cerrado – Pestizid-intensiv Sojamonokulturen für den Export anzubauen.
Anabela Lemos wurde 2022 mit dem schwedischen Per-Anger-Menschenrechtspreis für ihren Kampf für Kleinbauernfamilien ausgezeichnet, die für die Gas- und Kohleförderung gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen.
Bei ihrer Arbeit erfahren Anabela Lemos und Justiça Ambiental immer wieder Einschüchterungen. Obwohl JA! in einem politisch repressiven Umfeld agiert, verschafft sie betroffenen Stimmen Gehör und internationalisiert den Kampf für Umweltgerechtigkeit. Ihre Arbeit hat vielfach Gemeinden in die Lage versetzt, ihre Rechte zu verteidigen und ausbeuterische Megaprojekte durch Referenden abzulehnen.
Anabela Lemos ist fest davon überzeugt, dass alles geändert werden muss, was falsch und ungerecht ist: „Wir können nicht schweigen, wenn wir Ungerechtigkeit sehen, wenn Menschenrechte verletzt werden oder unsere Umwelt zerstört wird. Wenn wir nicht unsere Stimme erheben oder tun, was wir können, um diese Verbrechen zu stoppen, sind wir Teil des Problems.“
Ulrike Bickel ist Tropenlandwirtin und sprach mit Anabela Lemos in Maputo am Rand der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober 2024.
Links:
https://rightlivelihood.org/the-change-makers/find-a-laureate/anabela-lemos-justica-ambiental/
Bild: © Ulrike Bickel