Wie blauer Wasserstoff die Energiewende torpediert
Wasserstoff nutzt der Energiewende – aber nicht so, wie die Öl- und Gasindustrie behauptet. Mit trügerischen Metaphern und Falschinformationen wirbt sie für Wasserstoff mit CCS. Das bedroht die Energiewende weltweit und ist mit dafür verantwortlich, dass heute immer noch neue Gasvorkommen erschlossen werden.
Wasserstoff wird aktuell vor allem in Raffinerien und der Chemieindustrie benötigt und dort aus Erdgas hergestellt – ein sehr klimaschädliches Unterfangen. Über die gesamte Lieferkette entsteht pro Kilo Wasserstoff der Klimaschaden von 16 Kilo CO2-Äquivalent. Je nachdem, wie das verwendete Erdgas gefördert und transportiert wird, kann sich dieser Wert noch deutlich erhöhen. Fracking-Gas, das weite Strecken per Flüssiggas-Tanker zurücklegt, hat hier die mieseste Bilanz. Dazu kommt, dass Erdgasförderung in vielen Teilen der Welt mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden verknüpft ist. Wie kommt es dann, dass Wasserstoff überhaupt als Hoffnungsträger der Energiewende gehandelt wird?
Wasserstoff kann auch auf anderem, saubererem Wege hergestellt werden: indem mit Hilfe von elektrischer Spannung Wasser in seine Bestandteile zerlegt wird, nämlich Sauerstoff und Wasserstoff. Wenn für diesen Elektrolyse genannten Vorgang Strom aus Wind und Sonne verwendet wird, entstehen nur sehr wenig Treibhausgase. Und die Elektrolyse kann, wenn man sie geschickt in das Energiesystem einbaut, neben Wasserstoff auch wertvolle Systemdienstleistungen liefern: Die Elektrolyseure können Strom dann verwenden, wenn besonders viel davon erzeugt wird, und der Wasserstoff dient als Energiespeicher für Strom- und Wärmenetze. Außerdem kann er Kohle und Erdgas bei der Stahlproduktion ersetzen.
Wasserstoff hat keine Farbe
Was eine gute Nachricht für das Klima ist, ist eine schlechte für die fossilen Industrien. Seit grüner Wasserstoff Eingang in die Debatte um Klimaschutz gefunden hat, bemüht sich die fossile Industrie deshalb, das Thema für sich zu vereinnahmen.[1] Eine der Strategien besteht darin, fossilen Wasserstoff als bunten Strauß vorzustellen, neben dem der Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen (sogenannter grüner Wasserstoff) nur eine von vielen Facetten darstellt. Das eigentlich farblose Gas wird auf einmal blau, türkis, pink, rot oder gelb. Dahinter verbergen sich fossile Energiequellen von Braunkohle über Erdgas und Erdöl bis Uran oder Plastikmüll, die dem Planeten und dem Klima großen Schaden zufügen – und deren Nutzung in den nächsten 20 Jahren spätestens enden muss. Es gilt also, dem Regenbogentrick nicht auf den Leim zu gehen und genau hinzuschauen, was die einzelnen Farben genau bedeuten.
Vor allem der blaue Wasserstoff hat sich im Lauf der letzten zwei Jahre in den Vordergrund gedrängt. Hinter „blau“ verbirgt sich der herkömmliche Wasserstoff aus Erdgas (oder Erdöl/ Kohle), nur dass jetzt behauptet wird, man könne das bei der Produktion entstehende Kohlendioxid auffangen und speichern. Es handelt sich also um Wasserstoff mit CCS. Die erste Wasserstoffstrategie einer deutschen Bundesregierung, unter Federführung von Peter Altmaier (CDU) erstellt, kam noch weitgehend ohne ihn aus, mit dem deutlichen (und berechtigten) Hinweis, dass allein grüner Wasserstoff „auf Dauer nachhaltig“ sei.
Doch blauer Wasserstoff werde „übergangsweise genutzt“, bis der Markthochlauf des grünen Wasserstoffs vollzogen sei.[2] Eine in den energiepolitischen Debatten der letzten Jahrzehnte oft genutzte Metapher: die fossile „Brückentechnologie“, die den Übergang zum 100 % erneuerbaren Stromsystem gewährleisten soll. Die Gaslobby hat mit dem Bild der Brücke sehr erfolgreich Gaskraftwerke und -heizungen als Teil der Energiewende inszeniert. Jetzt versucht sie mit denselben Mitteln den blauen Wasserstoff, unterm Strich oft klimaschädlicher als das Erdgas selbst, in die Klimapolitik zu schleusen.
Dabei gilt auch hier: Was die Gaslobby als Brücke verkaufen will, ist eigentlich ein Umweg. Denn in dem Zeitrahmen, in dem laut der Lobbyist*innen „grüner Wasserstoff noch nicht in ausreichender Menge verfügbar sein wird“, wird blauer Wasserstoff ebenso wenig verfügbar sein. Bisher produzieren nur eine Handvoll Anlagen auf der Welt Wasserstoff und betreiben dabei eine CO2-Abscheideanlage. Die Internationale Energieagentur zählte im vergangenen Jahr sechzehn Stück, knapp die Hälfte von ihnen älter als zehn Jahre und nur drei in Europa, davon zwei kleine Versuchsanlagen. Abgesehen von der kläglichen Klimabilanz dieser Anlagen[3] ist auch ihre Produktionsmenge gering. Die Brücke existiert also gar nicht.
Um blauen Wasserstoff auf den deutschen oder europäischen Markt zu bringen, müssten entsprechende Anlagen erst gebaut werden, ganz zu schweigen von den Infrastrukturen, die das Kohlendioxid und den Wasserstoff abtransportieren und den Speichern, die das Kohlendioxid aufnehmen müssten. Das lohnt sich nicht, befanden kürzlich RWE und Equinor, der norwegische Öl- und Gaskonzern. Sie beerdigten den Plan einer Wasserstoff-Pipeline zwischen Norwegen und Deutschland, über die ab 2030 blauer Wasserstoff hätte fließen sollen.
Natürlich ist auch grüner Wasserstoff noch nicht massenhaft verfügbar, aber das trifft auf die grünen Wasserstoffverbraucher ebenso zu. Die Stahlöfen, in denen künftig Wasserstoff statt Kohle das Eisenerz reduziert, werden erst noch gebaut. Industrien, die heute den größten Teil des Wasserstoffs verbrauchen, etwa Raffinerien, Düngemittel- und Plastikproduktion, haben in einer klimagerechten Welt nur noch wenig Platz. Ihr Bedarf muss drastisch sinken.
Über diesen Umstand wird in der Transformationsdebatte bisher viel zu wenig geredet, dabei liegt im Rückbau dieser Industrien und dem Aufbau von Weiterverwendung, Umnutzung und Recycling der Schlüssel für wirksamen Klimaschutz, für den Schutz vor Artenverlust und Mikroplastik, für eine gesündere Welt für alle. Schädliche Produkte auf etwas weniger schädliche Weise herzustellen, löst das Problem dagegen nicht.
Wie wird Wasserstoff klimafreundlich?
Um tatsächlich Emissionen zu vermeiden, muss die Elektrolyseleistung in dem Maße anwachsen, wie es ausreichend Ökostrom gibt. Denn auch Wasserstoff aus Elektrolyse ist nicht per se gut fürs Klima. Ließe man einen Elektrolyseur mit dem aktuellen deutschen Stromnetz laufen, würde ein Kilo Wasserstoff 23 Kilo CO2-Emissionen verantworten. Das Reiner-Lemoine-Institut hat in einer Studie für Green Planet Energy gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Wasserstofferzeugung per Elektrolyse an das Angebot an erneuerbarem Strom gekoppelt ist – zumindest teilweise. Das gilt übrigens auch, wenn Wasserstoff in Staaten produziert werden soll, die zwar gute Wind- und Sonnenerträge versprechen, aber für den eigenen Energiebedarf noch fossile Quellen nutzen.[4]
Die große Stärke, die Wasserstoff eigentlich als Klimaschützer ins Gespräch gebracht hat, liegt in seiner Pufferfunktion für das erneuerbare Energiesystem. Wenn die Elektrolyseure zu Zeiten laufen, in denen viel Energie im Netz ist, dient der erzeugte Wasserstoff als Speicher. In Zeiten, in denen viel Energie gebraucht wird, ob im Stromnetz oder in der Fernwärme, kann der Wasserstoff dann wieder Energie liefern. Diese wichtige Funktion kann fossiler Wasserstoff überhaupt nicht erfüllen, da er unabhängig von Stromsystem produziert wird.
Um dennoch einen Bedarf für blauen Wasserstoff vorzugaukeln, versorgt uns die Öl- und Gasindustrie mit einem Hochglanzkatalog voller Produkte, die mit Hilfe von Wasserstoff hergestellt oder betrieben werden könnten: Wir sollen Wasserstoff in Pkws und Gasthermen verbrennen, wir sollen mit seiner Hilfe synthetische Kraftstoffe und Gase oder Bioplastik herstellen.
Bei all diesen Anwendungen herrscht in der Forschung Einigkeit: Sie sind viel zu ressourcenintensiv, zumal mit der direkten Nutzung von Strom eine einfachere und billigere Option zur Verfügung steht. Allenfalls in Nischen oder in Bereichen, die stark schrumpfen müssen, wird Wasserstoff für solche Produkte benötigt. Als Argument, um etwa Gasverteilnetze in Betrieb zu halten, reicht das nicht.
Dazu kommt: CCS-Anlagen brauchen viel Energie, die in der Regel fossil gedeckt wird. Selbst industriefreundliche Rechnungen kommen zu dem Schluss, dass eine Kilowattstunde blauer Wasserstoff 1,6 Kilowattstunden Methan erfordert. Blauen Wasserstoff etwa in einer Gasheizung zu verbrennen, verursacht so am Ende höhere Emissionen, als weiter das fossile Erdgas zu verwenden. Schließlich vermehren sich mit dem Verbrauch auch die Vorkettenemissionen. Während der Vorteil dieses Szenarios für die Gasindustrie auf der Hand liegt, wäre es klimapolitisch eine Katastrophe und betriebs- wie volkswirtschaftlich hirnrissig. Schon heute trägt der Hype um blauen Wasserstoff dazu bei, dass überall auf der Welt nach Gas gebohrt wird. Rund um den afrikanischen Kontinent etwa sind Gemeinschaften und Ökosysteme von Gasbohrungen bedroht, oft mit katastrophalen Folgen. Es wird also höchste Zeit, blauen Wasserstoff wieder da zu verorten, wo er hingehört: zu den fossilen Energien, aus denen wir dringend aussteigen müssen.
Neelke Wagner ist Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift e.V.
Quellen:
[1] Corporate Europe Observatory aus Brüssel hat in mehreren Analysen nachgezeichnet, wie die fossile Lobby sich den Wasserstoff-Hype zunutze macht. Hier zeichnet Pia Eberhardt die Situation in Deutschland nach: https://corporateeurope.org/en/GermanysGreatHydrogenRace
[2] Ministerium für Wirtschaft und Energie (2020): „Nationale Wasserstoffstrategie“, Berlin, S. 3
[3] Schlissel, David (2024): „CCS and Blue Hydrogen: Unproven Technology and Financial Risk“, abrufbar unter https://ieefa.org/sites/default/files/2024-07/CCS%20and%20Blue%20Hydrogen%20-%20Unproven%20Technology%20and%20Financial%20Risk_July%202024.pdf
[4] Großprojekte zur Produktion grünen Wasserstoffs sind noch aus weiteren Gründen problematisch. Das behandelt Lasse Thiele ausführlich hier: https://power-shift.de/wasserstoff-und-klimagerechtigkeit/
Bild: Alexander Svensson, Aarhus Harbour Rainbow, Flickr, CC BY 2.0, keine Änderungen vorgenommen.