Negativemissionstechnologien sind kein Klimaschutz
Die Klimapolitik steht vor einem Richtungswechsel: Statt den geordneten Ausstieg aus fossiler Energie zu vollziehen, stellt die Ampelkoalition jetzt eine Vielzahl von Scheinlösungen parat. Diese ermöglichen es Industrie- und Energiekonzernen faktisch, weiter fossiles Erdgas und Erdöl zu nutzen. Darunter fallen auch Negativemissionstechniken wie BECCS und DACCS.
Fast unbemerkt sind mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes im April 2024 die sogenannten technischen Senken (Negativemissionstechniken, NET) als angebliche Lösung der Klimakrise auf den Plan getreten. NETs sollen bereits ausgestoßene Treibhausgasemissionen wieder einfangen und dauerhaft von der Atmosphäre isolieren. Vorrangig geht es um zwei technische Wege: Nutzung von Bioenergie u.a. an Heiz(kraft)werken in Kombination mit CCS (Bioenergy with carbon capture and storage, BECCS) und direktes Filtern von CO2 aus der Luft mit CCS (Direct air carbon capture and storage, DACCS). In neuen Strategien der Bundesregierung und der Bundesländer spielen NETs eine Rolle ebenso wie im Vorschlag für die 2040er-Klimaziele der EU.[i]
Die Idee der Negativemissionen ist verführerisch für die Politik, weil sich das verbleibende CO2-Budget damit größer rechnen lässt, als es real ist. Man verlässt sich darauf, in Zukunft große Mengen an CO2 aus BECCS oder DACCS, die in unterirdische Deponien gepumpt würden, von der realen Emissionsbilanz wieder abziehen zu können. Dabei warnen viele Klimawissenschaftler:innen davor, auf zukünftige Entnahmen von CO2 als Lösung zu vertrauen in der Annahme, die Atmosphäre ließe sich nach einem überhöhten Temperaturanstieg wieder abkühlen. Vielmehr könnten starke Rückkopplungen im Erdsystem zu einer hohen langanhaltenden und irreversiblen Erwärmung führen. Nur stringente und unmittelbare Emissionsreduktion könne das Klimarisiko wirksam begrenzen.
Warum BECCS nicht zu Negativemissionen führt
NETs beschönigen Emissionsbilanzen. Denn bei NETs geht es vor allem um Bioenergie, also das Verbrennen von Biomasse, z.B. Holz. CO2-Emissionen aus Bioenergie werden in den Klimabilanzen der Staaten nicht dem Energiesektor angerechnet, wodurch das Verbrennen von Biomasse als CO2-neutral deklariert werden kann. In Kombination mit der CO2-Deponierung (BECCS) werden dann, auf dem Papier, negative Emissionswerte bilanziert. So könnte BECCS in Zukunft auch in der deutschen Emissionsbilanz gezählt oder sogar als CO2-Gutschriften gehandelt werden.
Sollte jemals die großflächige Anwendung von BECCS möglich werden, würde das den tatsächlichen Anstieg der Nachfrage nach Holz und Land für den Anbau von Energiepflanzen hier und weltweit in absurde Höhen treiben. Bis zu drei Mal die Fläche Indiens müsste für den Anbau zur Verfügung stehen. Tatsächlich geben viele der vom Weltklimarat ausgewerteten Emissionsszenarien das Bild wieder, fortgesetzter übermäßiger Energieverbrauch im Globalen Norden könne durch Beanspruchung enormer Landflächen im Globalen Süden für NETs kompensiert werden.
Im Klimaschutzgesetz hat der Gesetzgeber die besondere Bedeutung der natürlichen Senken gegenüber den NETs immerhin auch festgeschrieben. Aber Deutschlands Landsektor, zu dem u.a. Wälder, Äcker und Moore zählen, entlässt seit einigen Jahren mehr Treibhausgas als dort gebunden wird, v.a. da die wichtige Waldsenke in einem schlechten Zustand ist. Der Grund dafür ist die Kombination von immer extremerem Wetter aufgrund der Klimakrise, intensiverer Abholzung und hoher Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft.
Ein Drittel des eingeschlagenen Holzes wird verbrannt sowie der größte Teil von Sägerestholz und Altholz, obwohl fast alles davon stofflich nutzbar wäre. Das Umweltbundesamt projiziert bereits ohne BECCS einen erheblichen Anstieg der Holzenergie.[ii] Da die CO2-Abscheidung selbst viel Energie verbraucht, müsste deswegen für die gleiche Menge an bereitzustellender Energie sogar noch mehr Holz verbrannt werden.
Nur heiße Luft
Bislang gibt es gar keine Erfahrungen mit der CO2– Abscheidetechnik aus Biomasse in Deutschland, abgesehen von einer kleinen Biomethananlage der MVV Energie AG. Weltweit ist das Abscheiden größerer Mengen CO2 aus der Verbrennung von Biomasse noch nie erfolgreich demonstriert worden. Dennoch werben Energiekonzerne damit, um Genehmigungen und Unterstützung für neue Holzkraftwerke zu gewinnen.
Onyx will das Steinkohlekraftwerk Wilhelmshaven bis 2035 umrüsten, statt es zu schließen. Demnach soll dort in Zukunft „Biomasse“ verbrannt werden mit CO2-Abscheidung zur Herstellung von „grünem“ Methanol. Onyx ist ein Tochterunternehmen der US-amerikanischen Riverstone Holdings, Hauptaktionär des weltgrößten Produzenten von Holzpellets Enviva, der routinemäßig Holz aus dem Kahlschlag hoch biodiverser Laubwälder im Südosten der USA bezieht.[iii]
In Bützfleth, Stade, plant das Unternehmen Hansekraft das bislang größte Holzheizkraftwerk in Deutschland, um dort jährlich eine halbe Millionen Tonnen importiertes Altholz zu verbrennen. Die Verbrennung von Altholz verhindert die stoffliche Nutzung, vor allem für Spanplatten, und trägt so zum intensiveren Holzeinschlag bei. Auch hier wirbt das Unternehmen damit, künftig CO2 abzuscheiden und für die Methanolproduktion zu verkaufen.
Weder Onyx noch Hansekraft haben Pläne vorgelegt, wie sie die Abscheidetechnik entwickeln wollen.
Das Übel sind die Subventionen
Aber selbst wenn großflächige BECCS-Anwendungen möglicherweise gar nicht Wirklichkeit werden, der Hype ist gefährlich: Zum einen legitimieren hypothetische Negativemissionen den weiteren Einsatz fossiler Brennstoffe, aufgrund der falschen Annahme, dass die Schadwirkung von emittiertem CO2 durch NETs „neutralisiert“ oder „kompensiert“ werden könnte. Zum anderen kann der Hype um Negativemissionen Betreibern von großen Biomassekraftwerken helfen, neue Subventionen einzuholen, um ihre naturzerstörenden Geschäftsmodelle fortzusetzen:
In Großbritannien verbrennt der Energiekonzern Drax sechs Millionen Tonnen importierter Holzpellets im Jahr und hat dafür umgerechnet bis Ende 2023 mehr als siebeneinhalb Milliarden Euro an Subventionen erhalten.[iv] Drax erfüllt nicht die britischen Klimaschutzkriterien für Subventionen über 2027 hinaus. Um dennoch weiter öffentliche Gelder zu erhalten, verspricht der Konzern großspurig, in Zukunft vier bis acht Millionen Tonnen CO2 abzuscheiden, obwohl die bisherige, experimentelle Menge mit 27 Tonnen CO2 winzig ist. Weitere Versuche sind nicht vorgesehen. Doch besteht die Gefahr, dass die britische Regierung die Subventionen für den Konzern verlängert, weil dieser verspricht irgendwann ein BECCS-Projekt zu realisieren
In den Niederlanden versucht RWE Ähnliches, um für die Umrüstung von zwei Kohlekraftwerken auf 100 % Holzpellets – das wären 7,5 Millionen Tonnen pro Jahr Fördermittel zu erhalten. Ohne die Technik je ausprobiert zu haben, verspricht RWE große Mengen an CO2 abzuscheiden. Bislang fehlt zum Glück die politische Unterstützung dafür.
Derzeit gibt es keine Gelder aus dem Bundeshaushalt für Biomassekraftwerke mit CCS. Aber mit CO2-Pipelines und BECCS-Gutschriften am Horizont gewinnt die Holzverbrenner-Lobby neue Mitglieder und erhöht den Druck auf die Politik. Lobbyiert wird auch in Brüssel: Die EU verhandelt derzeit über die zukünftige Anerkennung von NETs mit dem Ziel, diese in den EU-Emissionshandel einzubinden. Daraus würden sich große indirekte Subventionen ableiten.
Weshalb DACCS nicht mit dem Ausstieg aus fossilen Energien zu vereinbaren ist
Die zweite Negativemissionstechnik, die durch die Novelle des Klimaschutzgesetzes ins Blickfeld rückt, ist die Abscheidung von Kohlendioxid aus der Luft mit Deponierung (DACCS). Sie ist allerdings extrem energieaufwendig. Um zu illustrieren, um wieviel Energie es geht: Die gesamte Energiemenge, die das Onyx-Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven bereitstellt, müsste aufgewendet werden, nur um das dabei entstehende CO2 wieder abzuscheiden! Es wäre ein absurdes Nullsummenspiel.
Die direkte Abscheidung von CO2 aus der Luft muss, um als Senke zu gelten, emissionsfrei mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Eine Studie hat jüngst berechnet, dass im Jahr 2100 die Hälfte des derzeitigen globalen Energieverbrauchs nur für DACCS aufgewandt werden müsste.[v] So ein gigantischer Energiebedarf würde einem Ausstieg aus der fossilen Energie klar entgegenstehen.
Europas erstes DACCS-Projekt läuft mit geothermischer Energie in Island. Was viele nicht wissen: Island hat wegen seiner extrem klimaschädlichen Aluminiumindustrie pro Kopf die höchsten CO2-Emissionen Europas. Für Island bedeutet DACCS vor allem eins: Greenwashing. Auch Weltkonzerne wie Microsoft schmücken sich mit DACCS, während sie ihren ohnehin übermäßigen Energiekonsum weiter steigern.
CCS, BECCS oder DACCS in großmaßstäblicher Anwendung sind Scheinlösungen, die die Ursache der Klimakrise nicht bekämpfen können, sondern stattdessen gefährliches Nichthandeln gegen die Klimakrise aufrechterhalten. Negativemissionen sind Ausdruck eines Wunschdenkens, die industrialisierten Wirtschaften könnten grenzenlos weiter wachsen auf Kosten anderer. NETs sind nichts anderes als hoch riskantes Geoengineering, das droht, noch weiter geführt zu werden, sollte die Illusionskraft dieser Technofixes irgendwann verblassen.
Die Alternative liegt in unseren Händen: Alle gesellschaftliche Kraft muss dahin gehen, die Wirtschaft schnellstmöglich aus der Abhängigkeit von Erdgas, Erdöl und Kohle zu befreien und dabei den Rohstoff- und Naturverbrauch drastisch zu reduzieren.
Almuth Ernsting ist Ko-Direktorin von Biofuelwatch
Kerstin Meyer leitet das Referat Wirtschaft und Finanzen des BUND.
Quellen:
[i] Real Zero Europe (2024): Don´t fuel the fire! https://www.realzeroeurope.org/statement-on-the-eu-2040-climate-targets
[ii] Umweltbundesamt (2023): Projektionsbericht 2023 für Deutschland
umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/11740/publikationen/2023_08_21_climate_change_39_2023_projektionsbericht_2023_0.pdf
[iii] Cut Carbon not Forests (2023): Global Markets for Biomass Energy are Devastating U.S. Forests
https://www.cutcarbonnotforests.org/wp-content/uploads/2023/06/global-markets-biomass-energy-devastating-us-forests-202306.pdf
[iv] National Audit Office (2024): The government´s support for biomass
nao.org.uk/wp-content/uploads/2024/01/Report-the-governments-support-for-biomass.pdf
[v] Carbon Brief (2019): Direct CO2 capture machines could use ´a quarter of global energy´ in 2100 carbonbrief.org/direct–co2-capture-machines-could-use-quarter-global-energy-in-2100/
Bild: c László Maráz