Carbon Capture als Reperaturtechnologie

Rundbrief 2024/3

Aus Perspektive der Technikfolgenabschätzung

Angesichts der nur zögerlichen Fortschritte bei der Vermeidung von Treibhausgasen werden seit einiger Zeit verstärkt technische Maßnahmen zu ihrer Rückholung aus der Atmosphäre diskutiert, vor allem das Carbon Capture and Storage (CCS). Dabei handelt es sich um eine typische Reparaturtechnologie, die nicht das Problem löst, sondern helfen soll, die Folgen in vertretbarem Rahmen zu halten. Jedoch bestehen große Zweifel, ob sich der Klimawandel auf diese Weise nachhaltig, also auf Dauer, umweltverträglich und zukunftsgerecht bewältigen lassen wird.

Es klingt verführerisch, das Treibhausgas Kohlendioxid entweder direkt bei der Verbrennung fossiler Energieträger abzuscheiden oder aus der Atmosphäre wieder herauszuholen, es dann zu speichern und schließlich unter hohem Druck in unterirdische Hohlräume zu pressen. Dann schadet es dem Klima nicht mehr, sondern verschwindet dort, woher die fossilen Energieträger selbst kommen: unter der Erde.

Diese Idee wurde bereits vor etwa 15 Jahren breit diskutiert, was sogar zu einer Studie für den Deutschen Bundestag führte.[i] Aufgrund mangelnder technischer Reife, aber auch wegen starker Kritik aus den Umweltverbänden verebbte diese Idee rasch wieder. Dabei spielte auch der teils massive Widerstand in den für eine unterirdische Verbringung von CO2 infrage kommenden Kommunen eine Rolle. Plakate mit der Aufschrift „Kein CO2-Endlager bei uns“ tauchten an vielen Ortseinfahrten auf.

Diese damals eindeutige Stimmungslage scheint sich geändert zu haben. Die gegenwärtige Wiederkehr der CCS-Debatte verdankt sich sicher zu einem guten Teil den bekannten Schwierigkeiten bei der dringend notwendigen, weltweiten Reduktion von Treibhausgasemissionen und den gleichzeitig massiver werdenden Folgen des Klimawandels. Die Sorge wächst, dass Mitigation zu spät kommt, um extreme Entwicklungen zu verhindern.

CCS als Reparaturtechnologie

Beim CCS geht es nicht um die grundsätzliche Vermeidung von Treibhausgasen, sondern darum, sie entweder nicht in die Atmosphäre zu entlassen oder sie, wenn sie schon drin sind, wieder herauszuholen. Der menschliche Fußabdruck auf das Klima soll vermindert werden, auch wenn Treibhausgase weiterhin in hohem und vielleicht weltweit sogar noch steigendem Maße erzeugt werden. Im Idealfall einer vollständigen Rückholung des überzähligen Kohlendioxids könnte der Beitrag der Nutzung fossiler Energie zum Klimawandel sogar auf null reduziert werden. Kohle, Öl und Gas könnten in diesem Idealfall weitergenutzt werden, und zwar klimaneutral. Es müsste nur jede Tonne CO2, die durch die Verbrennung fossiler Energieträger entsteht, abgefangen und unterirdisch gelagert werden.

Mit dem CCS würde also eine Art Gegenmittel zur Erzeugung von CO2 geschaffen, mit dem dessen klimaschädliche Wirkung vermindert oder im Idealfall komplett verhindert werden könnte. CCS ist in diesem Sinne eine Reparaturtechnologie. Sie würde die Erzeugung von Treibhausgasen gar nicht betreffen, sondern mit technischen Maßnahmen verhindern, dass diese das Klima schädigen. Das CO2 würde nach wie vor erzeugt, aber in Bezug auf den Klimawandel neutralisiert. Der klimaschädliche Effekt der Nutzung fossiler Energien würde damit repariert.

Damit ist CCS in guter Gesellschaft. Im Anthropozän, diesem Zeitalter, in dem der Mensch zu dem wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist, steigt der Anteil der Technikentwicklungen, der vorwiegend oder komplett zur Bewältigung oder Reparatur der Folgen älterer Technik benötigt wird. Diese Entwicklung reagiert auf die Zunahme von nicht beabsichtigten und unerwünschten Technikfolgen, die mit der zunehmenden Technisierung der Welt einhergeht,[ii] mit dem in der Moderne typischen Reflex: Sobald ein Problem auftritt, wird nach Technik zur Problemlösung gerufen. Dass Probleme vielleicht auch mit sozialen Innovationen oder Verhaltensänderungen behoben werden könnten, ist meist nicht im Blick und nur schwer vermittelbar. Damit jedoch entsteht eine fatale Dynamik.

Der Teufelskreis von Technik und Technikfolgen

Denn die Technologien, die zur Reparatur der Schäden vorhandener Technologien eingesetzt werden, werden aller Voraussicht nach ebenfalls unvorhergesehene, nicht gewollte, aber unerwünschte Nebenfolgen haben. Zu deren Bewältigung wird dann wieder nach neuer Technologie gerufen, die aber – auch bei erfolgreichem Einsatz gegen die Nebenfolgen der älteren Technik –auch wieder neue Nebenfolgen erzeugen wird. Damit entsteht das Bild einer endlosen Spirale aus technischem Fortschritt, nicht intendierten Folgen seiner Nutzung, weiterem technischen Fortschritt, um mit diesen umzugehen, neuen negativen Technikfolgen und so weiter. Diese Spirale hat kein Ende in sich selbst. Es entsteht das Bild eines Teufelskreises des technischen Fortschritts. Ich sehe drei Argumente, dass CCS letztlich nicht zur nachhaltigen Lösung eines großen Menschheitsproblem führen wird, sondern letztlich nur ein Element in diesem Teufelskreis ist.

Drei Gründe, warum CCS nicht nachhaltig ist

  1. CCS ist bislang weder umfassend in Bezug auf Sicherheit erforscht noch steht diese Technologie zur globalen Implementierung bereit. Insbesondere bestehen große Unsicherheiten in Bezug auf die Langzeitsicherheit. Ein großvolumiges Wiederaustreten des CO2 nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten würde nicht nur erhebliche Risiken für regionale Bevölkerungen mit sich bringen, sondern den eigentlich gewünschten Klimaeffekt zum Teil zunichtemachen.
  2. Die klimawirksame Implementation von CCS-Technologien bedürfte einer globalen, großtechnischen Infrastruktur mit einer ebenso globalen Transportlogistik. Diese müsste Jahrhunderte oder noch viel länger aufrechterhalten werden.[iii] Damit würde erstens zukünftigen Generationen auf unbestimmte Zeit die Bürde auferlegt, diese Infrastruktur zu betreiben.[iv] Zweitens würden diese Generationen mit erheblichen Risiken belastet für den Fall, dass Wirtschaftskrisen oder kriegerische Auseinandersetzungen die Aufrechterhaltung unmöglich machen würden.
  3. Das Prinzip des CCS lädt dazu ein, mit der Nutzung fossiler Energien einfach weiterzumachen. Denn wenn mehr CO2 produziert würde, hätte es im Falle einer globalen Implementation des CCS als zentrale Klimastrategie keine negativen Folgen, da es ja aus der Atmosphäre wieder herausgeholt würde. Damit würde eine Spirale von zunehmender Emission und gleichzeitig zunehmender Rückholungsnotwendigkeit in Gang gesetzt, die künftige Generationen noch weiter belasten würde.

Das Klimaproblem muss an der Wurzel gelöst werden

Der Teufelskreis des technischen Fortschritts charakterisiert die Gegenwart, so die Erfahrungen aus Technikfolgenabschätzung und Nachhaltigkeitsforschung. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass dieses Modell auf Dauer durchhaltbar ist, dass sich der Klimawandel auf diese Weise nachhaltig, also auf Dauer, umweltverträglich und zukunftsgerecht bewältigen lassen wird.

Stattdessen muss es darum gehen, das Klimaproblem an der Wurzel zu lösen, statt nur üble Folgen technisch zu vermeiden. Immerhin helfen Reparaturtechnologien, Zeit zu gewinnen. Dies kann sehr wichtig sein, z.B. um Kippunkte im Klimawandel zu verhindern. Langfristig ist aber auch dann nur etwas gewonnen, wenn die gewonnene Zeit genutzt wird, um neue Wege zu gehen und die Probleme grundlegend zu lösen, statt den Teufelskreis einfach zu perpetuieren.

Die weitere Erforschung und Entwicklung von CCS mag notwendig sein für den Fall, dass Emissionsreduktion nicht schnell genug zu hinreichenden Erfolgen führt. Auch wird selbst im Fall weitgehender Emissionsreduktionen ein CO2-Sockel verbleiben, dessen Kompensation CCS-Technologien benötigt. Jedoch darf CCS nicht als Schlüssel zur Milderung des Klimawandels betrachtet werden – dies würde nur den erwähnten Teufelskreis eine Stufe weitertreiben und die Probleme in die Zukunft verlagern. Stattdessen ist der Emissionsreduktion weiterhin höchste Priorität einzuräumen. Ohne sie können langfristig die Spirale technischer Aufrüstung zur Eindämmung des Klimaproblems bei gleichzeitig zunehmenden Emissionen kein Ende finden und keine Nachhaltigkeit erreicht werden.

 

Armin Grunwald ist Professor für Technikethik und Technikphilosophie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dort leitet er das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) sowie in Berlin das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Armin Grunwald ist Mitglied des Deutschen Ethikrates.

 

Quellen:

[i] Grünwald, Reinhard (2007): CO2-Abscheidung und -Lagerung bei Kraftwerken. Berlin, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000102243

[ii] Grunwald, Armin (2022): Technikfolgenabschätzung. Eine Einführung. NOMOS, Baden-Baden.

[iii] Edenhofer, Ottmar, Franks, Max, Kalkuhl, Matthias, Runge-Metzger, Artur (2023): On the governance of carbon dioxide removal: A public economics perspective. FinanzArchiv 80/1: 70 – 110. https://doi.org/10.1628/fa-2023-0012.

[iv] DER (Deutscher Ethikrat). 2024. Klimagerechtigkeit. Berlin: DER. www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/ klimagerechtigkeit.pdf (abgerufen 23.07.2024).

 

Bild: David Elliott, Grandfather clock being repaired, Flickr, CC BY 2.0, keine Änderungen vorgenommen.

 

 

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