Braucht es CO2-Speicherung für den Klimaschutz in Deutschland?

Rundbrief 2024/3

Eine Diskussion über natürliche Senken und unvermeidbare Restemissionen

Die Welt strebt an, die globale Erwärmung möglichst bei 1,5°Grad Celsius zu stoppen. Deutschland will bis 2045 treibhausgasneutral werden. Dies erfordert jedoch tiefgreifende Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Treibhausgasminderungen und natürliche Kohlenstoffsenken spielen die entscheidende Rolle. Unter Umständen muss auch auf technische Lösungen wie CCS zurückgegriffen werden, um unvermeidbare Restemissionen auszugleichen.

Die Weltgemeinschaft hat sich das Ziel gesetzt, die globale Erwärmung deutlich unter 2°C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, den Temperaturanstieg möglichst bei 1,5°C zu stoppen. Europa will bis 2050 erster treibhausgasneutraler Kontinent werden und Deutschland strebt an, bereits bis 2045 netto-treibhausgasneutral und nach 2050 sektorübergreifend negative Treibhausgasemissionen zu erreichen. Um dies zu erreichen, braucht es viele Veränderungen und Anstrengungen in der Gesellschaft und Wirtschaft.

Doch wie kann das gelingen? In erster Linie muss die Entstehung von Treibhausgasen und deren Freisetzung in allen Sektoren und Lebens- und Wirtschaftsbereichen vermieden werden. Dies kann beispielsweise durch den Ausstieg aus fossilen Energien und den Ausbau der erneuerbaren Energien, Elektromobilität, Wärmepumpen zum Heizen erreicht werden. Weitere wichtige Hebel sind die Elektrifizierung der Energieverbräuche im Gewerbe, Handel und Dienstleistung sowie der Industrie, neue erneuerbare Verfahren in der Industrie wie die Direkt-Reduktions-Anlagen in der Stahlbranche auf Basis von Wasserstoff statt bisher Kohle. Auch mehr Rad- oder öffentlicher Nahverkehr, eine gesündere Ernährung verbunden mit geringeren Tierzahlen in der Massentierhaltung sowie nachhaltiger Konsum, also langlebigere, reparierfähige Produkte, sind entscheidend für die Treibhausgasminderung. Dennoch werden selbst bei ambitionierter Umsetzung aller realisierbaren Minderungsoptionen in einzelnen Sektoren unvermeidbare Restemissionen bestehen bleiben, insbesondere in der Landwirtschaft, aber auch einzelnen Teilen der Industrie (Zementindustrie) sowie im Abfallsektor. Wissenschaftlichen Studien zufolge ergibt sich je nach unterstellter Anstrengungs- und Veränderungsbereitschaft eine große Bandbreite dieser Restemissionen für Deutschland. Sie liegt im Bereich von 43 bis 70 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente (t CO2 eq).[i]

Restemissionen mit bewährten Mitteln begegnen

Welche Möglichkeiten bestehen für den Ausgleich dieser verbleibenden Emissionen? In erster Linie und bereits gesetzlich verankert gibt es die Möglichkeit der natürlichen Senken. Also beispielsweise die Entnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre und Einspeicherung in unseren Wäldern durch Photosynthese. Im Bundes-Klimaschutzgesetz ist im natürlichen Klimaschutz für den Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderung und Wald (LULUCF) im Jahr 2045 das verbindliche Sektorziel von mindestens -40 Mio. t CO2 eq festgeschrieben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die natürlichen Ökosysteme stärker geschützt und ausgebaut werden. Dies ist mit Blick auf den bereits stattfindenden Klimawandel und den daraus folgenden starken Stress der Ökosysteme eine Herausforderung. Für uns alle ist dies an den deutschen Wäldern sichtbar. Das macht nicht nur den dringenden Handlungsbedarf, sondern auch die „Sensibilität“ im natürlichen Klimaschutz deutlich. Durch beispielsweise flächenwirksame Wiedervernässung drainierter Moorböden, klimaresilienten Waldumbau hin zu Laubmischwäldern sowie die naturnahe Waldbewirtschaftung durch reduzierten Laubholzeinschlag kann die natürliche Senke gestärkt und ausgebaut werden. Auch eine Reduzierung der energetischen Biomassenutzung und vorrangige stoffliche Nutzung in möglichst langlebigen Holzprodukten zur Erhöhung des Holzproduktspeichers kann einen wichtigen Beitrag dafür leisten. Eine verstärkte Holzbauwirtschaft führt außerdem indirekt zu weniger Produktionsbedarf in der Zement- und Kalkindustrie und beeinflusst so die Menge der unvermeidbaren Emissionen hier. All dies braucht Zeit. Je besser es gelingt, die Veränderungsprozesse in Gesellschaft und Wirtschaft umzusetzen und die natürliche Kohlenstoffspeicherung auszubauen, desto weniger wird der Bedarf an zusätzlichen technischen Senken und Carbon Capture and Storage (CCS). Unter idealen Bedingungen kann dieser sehr gering sein oder sogar auf null reduziert werden.

Technische Senken bilden eine letzte Option

Kommen die Veränderungsprozesse und natürlichen Senken nicht ausreichend zum Tragen, braucht es die technischen Senken und CCS. Letzteres dient dazu, den Ausstoß von fossilen CO2-Emissionen in die Atmosphäre an Punktquellen zu verhindern. Bei der Begrenzung auf unvermeidbare Emissionen würde dies nahezu ausschließlich die Abfallwirtschaft, Zement- und Kalkindustrie betreffen. Öffnet man die Debatten darüber hinaus, steigt der Bedarf an geologischer CO2-Speicherung. Dies ist derzeit leider erkennbar: So adressiert die Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung auch schwer vermeidbare Emissionen und die Kraftwerksstrategie erlaubt auch CCS an Gaskraftwerken, also leicht vermeidbare Emissionen. Es besteht die Gefahr, dass die Vorsorge und Priorität der Treibhausgasminderung leicht über Bord geworfen wird und hier falsche Hoffnungen in der Wirtschaft entstehen. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die CO2-Speicherung bisher nur in wenigen Anlagen betrieben und noch nicht dauerhaft erprobt ist. Hinzu kommt, dass CCS an Industrieanlagen oder Kraftwerken selbst unter der Prämisse, dass nur erneuerbare Energien verwendet werden, nicht treibhausgasneutral erfolgen kann. Nur ein Teil kann aufgefangen werden und etwa 15 % des CO2 entweichen weiterhin in die Atmosphäre.[ii] Treten Leckagen bei der Speicherung auf, wird CO2 im Meerwasser oder Grundwasser gelöst und trägt zur Versauerung bei. Dabei steigt das Risiko für Leckagen mit der eingebrachten Menge und den dadurch erzeugten Druckdifferenzen in der geologischen Speicherschicht. Meeresalgen, Fische und weitere Organismengruppen können durch Änderungen des pH-Wertes und der CO2-Konzentration im Meer erheblich beeinträchtigt werden. Andere Gefahren können durch Unreinheiten, Austreten von Formationswasser oder wenn durch die CO2-Einleitung toxische Stoffe in der Speicherformation mobilisiert werden, auftreten. Letztlich ist auch zu bedenken, dass die nationalen geologischen Speicher begrenzt sind. Für den Fall, dass die natürlichen Senken nicht ausreichend oder dauerhaft zum Ausgleich der unvermeidbaren Emissionen beitragen können, sollten diese Speicherkapazitäten als Option erhalten und nicht für vermeidbare fossile Emissionen verschwendet werden.[iii]

Treibhausgasvermeidung ist unabdingbar

Wo stehen wir nun und was bedeutet das konkret für Negativemissionen und CCS? Die Treibhausgas-Projektionen 2024, die den Blick nach vorne in die Jahre bis 2045 richten, zeigen erstmals, dass das Ziel, im Jahr 2030 65 % Treibhausgase gegenüber 1990 zu mindern in greifbare Nähe rückt. Langfristig, also mit Blick auf 2045, sind wir bisher nicht auf Kurs.[iv] In der Klimakrise wie auch anderen Umweltkrisen (Artensterben, Verschmutzung) rennt uns die Zeit davon und wir müssen stärker die sichere Zielerreichung in den Blick nehmen. Im Sinne der Nachhaltigkeit und zur Bewältigung dieser drängenden Herausforderungen gilt es, Synergien von Beginn an mitzudenken und zu heben. Natürliche Senken können dies mit Blick auf Biodiversitäts- und Ökosystemschutz (Artenschutz, Verbesserung des Mikroklimas in Bodennähe und des Wasserhaushalts) leisten. Die Maßnahmen zum natürlichen Klimaschutz sind daher ergänzend zur Treibhausgasminderung umfänglich und zeitnah zu intensivieren und für den Klimaschutz unabdingbar. Darüber hinaus müssen wir verstehen, dass der sicherste und dauerhafteste CO2-Speicher die fossilen Energien sind, die im Boden verbleiben sollten. CCS oder ein etwaiger zusätzlicher Beitrag technischer Senken sollten mit Blick auf eine robuste Senkenstrategie nicht außer Acht gelassen werden. Es muss gewährleistet werden, dass die Technik und Einspeicherung erfolgen kann, wenn sie gebraucht wird. Der konkrete Beitrag sollte sich nachrangig an der ambitionierten Entwicklung der Treibhausgasminderung und der natürlichen Senkenleistung orientieren. CCS sollte auf die wirklich unvermeidbaren Treibhausgase beschränkt werden und zeitnah nur dort erfolgen, wo geringe Lock-in-Effekte hervorgerufen werden und keine Konkurrenz zur Substitution mit erneuerbaren Energien oder alternativen Prozessen entstehen. CCS an Kraftwerken schließt sich daher aus. In der Zementindustrie sind noch etwa ein Drittel der Emissionen energetisch bedingt. Hier gilt es, erst die Energiewende zu vollziehen. Das Umweltbundesamt schlägt daher vor, den Einstieg gezielt und begrenzt bei der thermischen Abfallbehandlung vorzunehmen, wo am Ende einer langen Nutzungskaskade nicht recycelbare Abfälle energetisch verwertet werden.

 

Zur Autorin:

Katja Purr ist promovierte Ingenieurin für Umwelttechnik und arbeitet seit 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Umweltbundesamt und leitet seit 2022 das Fachgebiet „Strategien und Szenarien zu Klimaschutz und Energie“. In diesem Rahmen hat sie die UBA-Arbeiten zum „Treibhausgasneutralen Deutschland“ und zur „RESCUE-Studie“ federführend geleitet.

 

Quellen:

[i] Purr, K; Günther, J; Lehmann, H; Nuss, P (2019): Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität. Studie. Dessau-Roßlau. Download unter: Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität – RESCUE: Langfassung. Download unter: www.umweltbundesamt.de/

[ii] Bisinella, V; Hulgaard, T; Riber, C; Damgaard, A; Christensen, T H (2021): Environmental assessment of carbon capture and storage (CCS) as a post-treatment technology in waste incineration. Waste Management, 2021, 128, S. 99–113

[iii] Purr, K; Spindler, J (2023): Carbon Capture and Storage (CCS) – Diskussionsbeitrag zur Integration in die nationalen Klimaschutzstrategien. Studie. Dessau-Roßlau. Download unter: Carbon Capture and Storage (CCS) – Diskussionsbeitrag zur Integration in die nationalen Klimaschutzstrategien | Umweltbundesamt, Download am 23.09.2024

[iv] Wehnemann, K.; Schultz, K. (2024): Treibhausgas-Projektionen 2024 – Ergebnisse kompakt. Dtudie. Dessau-Roßlau. Download unter: Treibhausgas-Projektionen 2024 – Ergebnisse kompakt | Umweltbundesamt, Download am 23.92024

 

Bild: Amadvr, Wikicommons, CC BY-SA 3.0 EE, keine Änderungen vorgenommen.

 

 

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