Rundbrief III/2024: Lieber im Boden als in der Luft?
In Deutschland will die Bundesregierung den Einsatz von Carbon Capture and Storage (CCS) – der Abscheidung von Kohlendioxid und Deponierung unter dem Meeresboden – ermöglichen. Das wird als unvermeidbar angesichts des Scheiterns echter Versuche zur Senkung von Emissionen dargestellt. Der aktuelle Rundbrief zeigt auf, warum die Implementation der Technologie ein Marketing-Coup der fossilen Industrie ist und dabei aktiv effektiven Klimaschutz ausbremst.
Verschiebung von Verantwortung
Die Gesetzgebung zur Ermöglichung von CCS in Deutschland schreitet rasant voran. Dabei wird vor allem über die Auswirkungen von CCS hinsichtlich seines falschen Klimaschutznarrativs, Dekarbonisierung der europäischen Industrie und Umweltbelastungen durch CO2-Deponien diskutiert. Weniger betrachtet werden die Auswirkungen des Aufbaus einer CO2-Entsorgungsstruktur und CCS-Gesetze auf Länder im Globalen Süden. Diese sind schon jetzt direkt betroffen von CCS-Projekten, und auch ein künftiger Export deutschen CO2-Mülls in den Globalen Süden ist langfristig sehr wahrscheinlich.
Braucht es CO2-Speicherung für den Klimaschutz in Deutschland?
Die Welt strebt an, die globale Erwärmung möglichst bei 1,5°Grad Celsius zu stoppen. Deutschland will bis 2045 treibhausgasneutral werden. Dies erfordert jedoch tiefgreifende Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Treibhausgasminderungen und natürliche Kohlenstoffsenken spielen die entscheidende Rolle. Unter Umständen muss auch auf technische Lösungen wie CCS zurückgegriffen werden, um unvermeidbare Restemissionen auszugleichen.
Carbon Capture als Reperaturtechnologie
Angesichts der nur zögerlichen Fortschritte bei der Vermeidung von Treibhausgasen werden seit einiger Zeit verstärkt technische Maßnahmen zu ihrer Rückholung aus der Atmosphäre diskutiert, vor allem das Carbon Capture and Storage (CCS). Dabei handelt es sich um eine typische Reparaturtechnologie, die nicht das Problem löst, sondern helfen soll, die Folgen in vertretbarem Rahmen zu halten. Jedoch bestehen große Zweifel, ob sich der Klimawandel auf diese Weise nachhaltig, also auf Dauer, umweltverträglich und zukunftsgerecht bewältigen lassen wird.
Wie der Wind sich dreht
2011 hielt Robert Habeck im schleswig-holsteinischen Landtag zur Ablehnung des CCS-Gesetzes im Bundesrat eine Rede. Dabei sagte er unter anderem: „Österreich nutzt die von der EU eingeräumte Möglichkeit, die dauerhafte geologische Speicherung von Kohlenstoffdioxid zu verbieten. Das sollten wir auch fordern, am besten bundesweit. Wenn das nicht gelingt, dann als klaren Satz ohne Abwägungs-Klimbim als Länderklausel. Dafür sollten wir ab heute kämpfen. Am besten wieder gemeinsam. Schleswig-Holstein ist kein Land für CCS.“
Das Industrial Carbon Management Forum
Mit der Verschärfung der Klimakrise besteht breiter Konsens darüber, dass wir entschlossen und unverzüglich handeln müssen, um den Klimakollaps durch Treibhausgasemissionen zu verhindern. Diese drängenden Fakten stehen allerdings im direkten Widerspruch zu Interessen von Unternehmen und Industrie, die von der andauernden Förderung und Verbrennung fossiler Brennstoffe profitieren. Angesichts drohender Profitverluste ist die fossile Industrie nicht bereit, freiwillig ihr Geschäft aufzugeben.
Verkauf falscher Lösungen
Wenn man Politiker:innen und Vertreter:innen von Erdölkonzernen in Brüssel, Norwegen oder Deutschland zuhört, könnte man meinen, dass die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) entscheidend für die Erreichung der europäischen Klimaziele ist. Warum aber wächst dann der Widerstand gegen die CCS-Pläne dieser Länder? Und wieso hat Norwegen einen so großen Einfluss?
Ein riskanter neuer Trend
Unternehmen wollen ihre Emissionen ins Meer leiten, aber diese kostspieligen Bemühungen verzögern nur echte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Obwohl die Injektionssysteme auf dem Meeresboden von Unternehmen und Regierungsvertreter:innen immer wieder als sicher angepriesen wurden, bergen neuartige Offshore-CCS-Projekte unkalkulierbare Risiken, erfordern enorme Anstrengungen und Kosten und haben kaum das Potenzial, die globalen CO₂-Emissionen groß zu beeinflussen.
Schauplatz einer Klimalüge
Öl- und Gasförderung in der Nordsee sind auf dem absteigenden Ast, aber die Nordsee ist bereits das Objekt neuer fossiler Träume europäischer Regierungen. Norwegen, Großbritannien, die Niederlande, Belgien und auch Deutschland wollen ihre CO2-Emissionen unter der Nordsee deponieren. Die vorgesehene Infrastruktur und mögliche Leckagen würden den sensiblen und bereits stark genutzten Unterwasserwelten weiter zusetzen.
Zwischen Geopolitik und fossilen Abhängigkeiten
Südostasien und besonders Indonesien sind zu einem Dreh- und Angelpunkt der globalen CCS-Industrie geworden. Nicht nur weil Politiker:innen der Länder die Technologie fördern, um am fossilen Modell festzuhalten, sondern auch weil Länder aus dem Globalen Norden CCS in Klimakooperationen festgeschrieben haben. Damit fließen wichtige Gelder und Ressourcen in eine umstrittene Technologie, statt in eine Transformation vor Ort. Wie wirkt sich das auf die Gesellschaften aus?